Antibiotika-Mangel - selbst erfahrene Apotheker schockiert über aktuelle Zustände

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach steht unter Druck. Der Mangel an Antibiotika sorgt für erschreckende Zustände in Deutschland. Ärzte und Apotheker warnen vor den Folgen und stellen klare Forderungen.

Ende Dezember 2022 hatte sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für einen konkreten Plan gegen Arznei-Knappheit ausgesprochen. Finanzielle Anreize sollten es richten, wie inFranken.de berichtet hat. Geklappt hat es wohl nicht. Ein Bericht im Bayerische Rundfunk (BR) zeigt, wie ernst die Lage in den Apotheken ist. Überall in Bayern fehlen Antibiotika für Kinder.

In ganz Deutschland kritisieren Kinder- und Jugendärzte den Gesundheitsminister wegen des seit Monaten dauernden Antibiotika-Mangels. Wie Deutsche Presse-Agentur schreibt, erklärt Dr. Marcus Heidemann aus Bielefeld, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe dazu: "Ich fürchte, dass Herr Lauterbach den Ernst der Lage noch immer nicht begriffen hat." 

Antibiotika-Mangel - schon im Dezember 2022 ein großes Thema 

Mit Blick auf diese doch dramatische Lage mit dem massiven Mangel an Antibiotika erscheinen die Aussagen der Europäische Arzneimittelagentur (EMA) vom Januar 2023 doch sehr fahrlässig optimistisch. Die Pharmazeutische Zeitung schrieb damals über eine Mitteilung der EMA zu dem Thema. Man sich der Lage bewusst, aber: "Basierend auf aktuellen Informationen von Unternehmen und anderen Beteiligten, erwarten wir, dass sich die Lage in den kommenden Monaten verbessert."

Organisation: Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA)
Gründung:  1995
Gründer:  Europäisches Parlament
Hauptsitz:  Amsterdam

Die Verantwortlichen hatten es dabei vermieden zu erwähnen, welche Wirkstoffe genau von einer verbesserten Lage profitieren würden. Es sieht nach einem Versäumnis der Bundesregierung aus. Denn auch die Deutsche Apotheker Zeitung hatte bereits im Dezember 2022 in einem Bericht darüber erwähnt, dass sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ausführlich zum Fiebersaft-Engpass bei Kindern geäußert hat - und, dass im November 2022 der Arzneimittelhersteller Infectopharm auf eine gefährdete Antibiotika-Versorgung für Kinder aufmerksam gemacht.

Der BR-Beitrag spiegelt dazu jetzt in aller Deutlichkeit die Probleme wider, mit denen sich Apotheker*innen derzeit zu kämpfen haben. So erklärt Apothekerin Ingrid Kaiser gegenüber dem Sender, dass sie seit 30 Jahren in diesem Beruf sei,  "aber so etwas wie zurzeit habe sie noch nie erlebt".

Apotheken oft alleine gelassen mit dem Problem - einige stellen Präparate selber her

Besonders Schwangere, Stillende und Kinder müssten unter dem Antibiotika-Mangel leiden. Immer wieder müssen betroffene Personen weggeschickt werden. Dem Bericht nach muss Kaiser selbst das pro Nacht-Notdienst etwa fünfmal tun. 

Weiter heißt es dazu: "Schon jetzt gehen einige ihrer Kolleg*innen dazu über, selber Penicillin- oder Amoxicillin-Tabletten herzustellen, berichtet die Sprecherin des bayerischen Apothekerverbands." 

Der Fehler liege laut Apothekerin in der Spar-Politik der Bundesregierung. Demnach lohnt es sich für die Hersteller einfach nicht mehr, ihre Präparate nach Deutschland zu importieren. In anderen europäischen Ländern sei der Mangel an Medikamenten dem zufolge nicht so groß wie hier.

Münchener Kinderarzt nennt weiteren Aspekt in der Debatte um Antibiotika-Mangel

Einen anderen Aspekt greift im BR-Bericht der Münchener Kinderarzt Philipp Schoof auf. Er sieht die Corona-Pandemie als einen weiteren großen Faktor: "Wir erleben gerade, dass Lockdowns, Kontakt-Armut und das Tragen von Masken die lokale Schleimhaut-Abwehr offenbar aus der Übung gebracht haben."

Unterm Strich bedeutet das dann, dass "die Immunsysteme vieler Kinder durch die vielen Virusinfektionen im ersten Post-Corona-Winter geschwächt waren".  Bakterien wie Streptokokken hätten es jetzt leichter, in den Organismus einzudringen.  Schoof: "Kinder erwischt es dann schneller als Erwachsene, die haben noch nicht so viele Abwehrkräfte." 

Doch sowohl Kinderarzt als auch für die Pharmazeutin sind die derzeitigen Zustände unzumutbar. Man könne derzeit die Eltern aber nur darum bitten, Ruhe zu bewahren - mehr bleibt ihnen leider nicht. Kaiser: "Ich bin für jeden Kinderarzt oder Notarzt dankbar, der vorher in der Apotheke anruft und fragt: Was haben Sie denn da?" Auch Eltern sollten besser immer erst anrufen in den Apotheken. 

Fehlendes Antibiotika - Besserung erst im Sommer erwartet

Eine schnelle Besserung der Lage sehen die Experten nicht. Apothekerin Ingrid Kaiser hat demnach bereits bei den zwei verbliebenen Antibiotikums-Herstellern in Deutschland nachgefragt. Erst zum Sommer wollen die, so heißt es dann im Artikel, ihre Produktion für das Allerwelts-Mittel Penicillin wieder hochfahren.

Und Kinderarzt Schoof hofft darauf, dass die Politik jetzt endlich versteht, dass man die medizinische Versorgung in Deutschland umzustrukturieren müsse. Er wünscht sich "ein funktionierendes System, in dem zwar nicht immer jeder alles bekommen kann – aber alle alles bekommen, was sie wirklich brauchen".

Eine ähnliche Forderung kommt auch von Marcus Heidemann, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe: "Es ist höchste Zeit, dass der Gesundheitsminister die Beseitigung des Mangels zur Chefsache macht. Wir Kinderärzte brauchen zumindest die Gewissheit, jederzeit die wichtigsten Antibiotika zu bekommen: Penicillin, Amoxillin, Cefaclor und Trimethoprim."