Krebsforschung: Diese Rolle spielen unsere Nerven bei der Entstehung von Krebs
Autor: Annika Timm
Deutschland, Sonntag, 17. März 2024
Neue Wege der Krebsforschung: Onkologie und Neurologie untersuchen gemeinsam, welche Rolle das Nervensystem bei der Entstehung und dem Wachstum von Krebs haben könnte.
- "Cancer Neuroscience": vom Mikrokosmos des Tumors
- Signalwege des Tumors identifizieren
- Das Nervensystem des Menschen
- Chance, neue Therapiemöglichkeiten kreieren
Krebs ist unter den 10 häufigsten Todesgründen weltweit. In einer neuen Fachrichtung versuchen Neurologie und Onkologie neuartige Therapieformen zu entwickeln. Hierfür versuchen die Forscher zunächst zu klären, welcher Zusammenhang zwischen dem menschlichen Nervensystem und den unterschiedlichen Tumorgeweben besteht.
"Cancer Neuroscience": vom Mikrokosmos des Tumors
"Cancer Neuroscience" nennt sich die Verbindung aus Neurowissenschaft und Krebsforschung. In diesem noch neuen Fachgebiet versuchen Forschende der beiden Forschungsgebiete herausfinden, welcher Zusammenhang zwischen dem menschlichen Nervensystem und dem Wachstum von Tumoren besteht. Bereits in den 90er Jahren wurde bei Männern, die eine Schädigung des Rückenmarks haben, beobachtet, dass diese seltener an Prostatakrebs erkrankten. Aus der Entwicklungsforschung ist bekannt, dass embryonales Wachstum nur möglich ist, wenn sich Nervenzellen bilden. Menschliches Gewebe kann also nur entstehen, wenn Nervenzellen vorhanden sind. Auch durchgeführte Tierversuche konnten bereits zeigen, dass das Nervensystem eine entscheidende Rolle in der Bildung von Tumoren spielt.
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Die "Cancer Neuroscience" beschäftigt sich primär mit dem "tumor microenvironment". Darunter versteht man die direkte Umgebung des Tumors und das Gewebe im Körper, welches in direktem Kontakt mit den bösartigen Tumorzellen steht. Das menschliche Nervensystem ist sehr komplex und engmaschig. Nerven sind ein wesentlicher Bestandteil aller Gewebe im Körper und stehen damit auch in direktem Kontakt mit den Tumorzellen. Untersuchungen konnten bereits bestätigen, dass die Überlebenschance von Krebserkrankten in Zusammenhang mit der Nervendichte im Tumor steht: Je mehr Nerven im Gewebe sind, desto geringer sind die Heilungschancen.
Neuronen und Nervenfasern sind das Kommunikationssystem des Körpers. Sie können zum Beispiel für eine Steigerung des Gewebewachstums sorgen. Wenn der Tumor diese Eigenschaften des Nervensystems für seine Zwecke nutzen kann, würde er so Blutgefäße vermehren können, um seine eigene Versorgung mit Nährstoffen zu verbessern, die für das Wachstum notwendig sind.
Signalwege des Tumors identifizieren
Je nach Gewebeart fällt das Einwirken von Krebszellen auf das Nervensystem unterschiedlich aus. Das Prinzip ist jedoch immer gleich: Der Tumor übernimmt die individuellen Mechanismen der Vermehrung und Entwicklung der unterschiedlichen Zelltypen. So macht sich ein Brusttumor andere Strategien zu eigen als beispielsweise ein Hirntumor, denn es handelt sich in diesen beiden Fällen um unterschiedliche Zellen. Das Drüsengewebe benötigt andere Wachstumsfaktoren und andere Informationen des Nervensystems, um zu wachsen, als die Zellen des Gehirns.
Ein Forschungsteam um den Neurologen Varun Venkataramani konnte beobachten, dass Tumorzellen spezialisierte Verbindungen mit dem Nervensystem eingehen, also ganz eigene Synapsen bilden können. Es wird eine Kopie erstellt, der Tumor baut quasi eine Parallelstraße und nutzt das Nervensystem für seine eigene Zwecke.