Jeden zweiten Erwachsenen plagen Kopfschmerzen. Arbeitsausfälle durch Migräne kosten Milliarden. Doch zu wenig Betroffene werden ärztlich behandelt.
Stechend oder drückend, sporadisch, regelmäßig, manchmal überfallartig: Kopfschmerzen sind eine Volkskrankheit, von der rund 47 Millionen Erwachsene zumindest zeitweise geplagt werden. Bei 25 Millionen Menschen handelt es sich um Spannungskopfschmerz, bei 18 Millionen Betroffenen um Migräne, wie Hartmut Göbel, Gründer und Chefarzt der renommierten Schmerzklinik Kiel sagt.
Besonders stark beeinträchtigt eine chronische Migräne: Ein bis zwei Prozent der Bevölkerung - also bundesweit 1,66 Millionen Menschen - leiden an mindestens 15 Tagen im Monat unter erheblichem Migräneschmerz, der den gesamten Körper in Mitleidenschaft ziehen kann.
Kopfschmerzen und Migräne: Noch viel Luft nach oben beim Wissen über die Erkrankungen
Experten weisen darauf hin, dass es beim Wissen über die Erkrankungen noch viel Luft nach oben gebe. "Migräne steht weltweit an zweiter Stelle der am meisten beeinträchtigenden Krankheiten", schildert Göbel. Sie trete vor allem zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr auf, bei Frauen zwei- bis dreimal häufiger als bei Männern. Aber auch bei Kindern und Jugendlichen komme sie zunehmend vor.
Migräne und chronische Kopfschmerzen gehören zu den häufigsten Gründen für kurzfristige Arbeitsunfähigkeit, betont der Neurologe und Psychologe. Vor allem bei chronischer Migräne sei der Leidensdruck enorm. Und: "Arbeitsunfähigkeit durch Migräne allein kostet 3,1 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland." Plus Produktivitätsverlust nichtbezahlter Arbeit - in Haushalt, Kindererziehung oder bei der Angehörigen-Pflege.
Schmerz führe zu Einschränkungen im Berufs- und Sozialleben, berichtet Charlie Gaul, Generalsekretär der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. Den Betroffenen sieht man die Krankheit nicht an, sie ziehen sich bei Attacken zurück, oft ins abgedunkelte Zimmer. Viele sind extrem licht-, lärm- und geruchsempfindlich, sie kämpfen mit Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Kreislaufschwäche. Manche haben mit Störungen wie Lichtblitzen oder verschwommener Sicht - Aura - zu tun.
Betroffene setzten sich häufig unter Druck
Die chronisch Betroffenen setzen sich oft unter Druck, erleben sich selbst als "unzuverlässig" und haben vor anstehenden wichtigen Ereignissen Angst vor der nächsten Attacke, weiß Neurologe Gaul. Der Leistungsdruck sei allgemein hoch, "Funktionieren" werde erwartet. Migräne sei aber weniger schambesetzt als noch vor 20 Jahren. "Betroffene machen die Erfahrung, dass sie auf mehr Verständnis treffen, wenn sie offen kommunizieren." Allerdings sei dieser Zustand längst noch nicht überall erreicht.
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"Das Wissen über die Natur und den Verlauf der Migräne ist im Alltag bei Nicht-Betroffenen gering", meint Göbel, der für seine Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Es kursierten viele Mythen über Migräne. Die Erkrankung sei in der sozialen Welt mit einem Makel verbunden. Zugleich haben Kopfschmerzen und Migräne - eine neurologische, genetisch verankerte Erkrankung - zugenommen. Dennoch: "Migräne ist unterdiagnostiziert und unterbehandelt." Ein Problem auch, weil bei starker Migräne zusätzlich ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Herzinfarkt oder auch Schlaganfall besteht.