Druckartikel: "Düsseldorfer Patient" von HIV und Krebs geheilt: Entscheidender Durchbruch für die Forschung?

"Düsseldorfer Patient" von HIV und Krebs geheilt: Entscheidender Durchbruch für die Forschung?


Autor: Lea Mitulla

Düsseldorf, Dienstag, 21. Februar 2023

Zum dritten Mal ist es Forschenden gelungen, einen HIV-Patienten vollständig zu heilen. Eine spezielle Stammzellen-Therapie konnte die Viren auslöschen. Doch wieso ist die Heilung des "Düsseldorfer Patienten" so wichtig?
Mediziner des Universitätsklinikums Düsseldorf berichten von der Heilung eines krebskranken HIV-Patienten.


Zum dritten Mal weltweit ist es gelungen, einen krebskranken HIV-Patienten mithilfe einer Stammzellen-Transplantation von beiden Erkrankungen zu heilen. Das berichten Mediziner des Universitätsklinikums Düsseldorf im Fachblatt "Nature Medicine". Nachdem eine derartige Therapie bereits beim "Berliner Patienten" und beim "Londoner Patienten" erfolgreich angewandt wurde, hofft das Forschungsteam auf Behandlungsmöglichkeiten auch für HIV-Infizierte ohne Krebs. Bringen die neuen Erkenntnisse den Durchbruch? Fachleute sind noch skeptisch.

Beim "Düsseldorfer Patienten" war 2011 drei Jahre nach seiner HIV-Diagnose eine akute myeloische Leukämie (AML) - eine Form von Blutkrebs - festgestellt worden. Die Erkrankung verringerte seine Überlebenschance deutlich - war aber seine Rettung. Denn wegen der Leukämie erhielt er 2013 eine Stammzellen-Transplantation. "Ziel der Transplantation war von Beginn an, sowohl die Leukämie als auch das HI-Virus in den Griff zu bekommen", erklärte Guido Kobbe von der Uniklinik Düsseldorf, der den Eingriff durchführte.

Zum dritten Mal HIV vollständig geheilt: Wichtiger Erfolg für neue Therapien

Die Stammzellen verfügten - wie auch jene zweier vergleichbarer Fälle aus Berlin und London - über eine spezifische Genmutation namens CCR5Δ32 (CCR5-Delta32). Diese Mutation kommt vor allem bei Menschen aus Nord- und Mitteleuropa vor, ist insgesamt aber sehr selten. Sie sorgt dafür, dass auf den Immunzellen die Andockstelle für das HI-Virus fehlt. Menschen mit der Genmutation sind somit weitgehend immun gegen HIV

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Das große Problem bei einer HIV-Infektion ist, dass sich das Virus sehr tief in den Körper einnistet, in den Gedächtnisimmunzellen. "Unsere Gedächtnisimmunzellen, die dafür verantwortlich sind, dass wir bestimmte Krankheiten, wie Kinderkrankheiten nur einmal im Leben bekommen", erklärt Infektiologe Björn Jensen, der ebenfalls an der Studie beteiligt war, gegenüber der Tagesschau. "Die Knochenmarktransplantation, die ja eigentlich dazu durchgeführt wird, um eine bösartige Erkrankung wie Leukämie zu heilen, bringt natürlich den größten Teil des Immunsystems um." Dadurch werden auch die meisten HI-Viren zerstört. Die Genmutation wiederum verhindert dann, dass die übrigen Viren das "neue" Immunsystem befallen.

Tatsächlich führte die Transplantation zu einer Remission der HIV-Symptome, so dass das Behandlungsteam 2018 entschied, die antivirale HIV-Therapie abzusetzen. Die folgende mehrjährige Überwachung des Patienten belegte den anhaltenden Erfolg: Heute sprechen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von einer vollständigen Heilung des mittlerweile 53-Jährigen. In den kommenden Jahren könnten übrigens noch zwei weitere geheilte HIV- und Krebspatienten dazu kommen. In den USA wurden erstmals eine Frau sowie der bislang älteste Patient mit der Stammzellen-Therapie behandelt. Im Fall der Frau wurde zusätzlich Nabelschnurblut eingesetzt, um die Behandlung verträglicher zu machen. Beide Betroffenen sind seither virusfrei. Sie werden jedoch weiter beobachtet und gelten noch nicht als vollständig geheilt.

So wichtig ist der "Düsseldorfer Patient" für die HIV-Forschung

Doch was genau bedeutet die Heilung des "Düsseldorfer Patienten" für die Forschung? Jensen bilanzierte: "Wir können nach unserer intensiven Forschung jetzt bekräftigen, dass es grundsätzlich möglich ist, durch Kombination von zwei wesentlichen Methoden die Vermehrung des HI-Virus nachhaltig zu unterbinden." Eine solche Therapie ist derzeit allerdings nur für wenige Patienten möglich: Die Zahl der Stammzellen-Spender mit der Genmutation ist gering. Eine Stammzellen-Transplantation ist außerdem sehr risikoreich. Deshalb wird sie nur im Rahmen der Behandlung anderer lebensbedrohlicher Erkrankungen wie eben Krebs eingesetzt.

Das Forschungsteam hofft aber, dass die Studie "die Grundlage für zukünftige Heilungsstrategien" werden kann. Immerhin lief die Untersuchung des "Düsseldorfer Patienten" mehr als neun Jahre und konnte detaillierte Informationen liefern. Die Wissenschaftler*innen halten es für möglich, dass künftig HIV auch durch Transplantation geneditierter Stammzellen bei Infizierte ohne Krebs behandelt werden kann. Dabei würde die Mutation beispielsweise durch den Einsatz von Genscheren wie Crispr/Cas eingefügt und mit Strategien kombiniert, die die "Nistplätze" des HI-Virus reduziert.

Bis dahin ist es nach Ansicht von Jürgen Rockstroh vom Uniklinikum Bonn allerdings noch ein weiter Weg. Eine Ausweitung des Therapieansatzes auf HIV-Infizierte ohne Krebs bleibe erst einmal unrealistisch. "Hierbei scheint ein Problem zu sein, dass bei entsprechenden gentherapeutischen Ansätzen nachher alle Zellen entsprechend die CCR5-Genmutation aufweisen müssen", erklärte Rockstroh. Dies sei aber nicht unbedingt für alle Zellen erreichbar, so dass immer ein Reservoir von nicht gentherapeutisch veränderten Zellen verbleibe. "Trotzdem gibt es auch hier Einzelfälle nach Gentherapie, die zumindest eine bessere Kontrolle der HI-Virämie nach Absetzen der HIV-Therapie aufwiesen, so dass es sicherlich vielversprechend ist, gentherapeutische Ansätze weiter zu beforschen."

Zukunft der HIV-Therapie: Genschere macht Infizierten Hoffnung

Zu diesen Ansätzen gehört laut Boris Fehse vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Blutzellen vor HIV zu schützen oder sogar, das Virus aus infizierten Zellen herauszuschneiden. Mit Blick auf die von den Autoren beschriebene Hoffnung verweist der Biomediziner zwar auch auf die geringe Zahl geeigneter Stammzellenspender, mögliche Abstoßungsreaktionen und Nebenwirkungen, zeigt sich aber dennoch optimistisch: "Es ist sehr gut vorstellbar, dass in naher Zukunft HIV-Patienten, die aufgrund einer Blutkrebserkrankung eine Stammzelltransplantation benötigen, immer das Angebot erhalten werden, dass das Transplantat vor der Infusion mit einer Genschere behandelt wird." Je nach Erkrankung könnte es sich dabei um Spender-, aber auch um eigene Blutstammzellen des Patienten handeln.

Wie Toni Cathomen vom Universitätsklinikum Freiburg ergänzte, haben HIV-Infizierte mit gut eingestellter Therapie inzwischen allerdings ohnehin eine ähnlich hohe Lebenserwartung wie die Normalbevölkerung: Das Risiko, das zurzeit mit einer Stammzelltransplantation verbunden ist, sei seines Erachtens für "gesunde" HIV-Infizierte daher derzeit nicht vertretbar. Das könne sich aber künftig ändern, so der Molekularbiologe. Denn: "Im Gegensatz zur konventionellen HIV-Therapie, die lebenslang eingenommen werden muss, verspricht der genetische Ansatz nach einmaligem Einsatz der Genscheren eine Heilung, das heißt eine komplette Remission, und damit das Absetzen der antiretroviralen Therapie."

Auch ohne Knochenmarktransplantation oder Genschere soll angeblich eine Heilung möglich sein: Eine junge Mutter berichtet, das HI-Virus auf "natürliche Weise" besiegt zu haben.

mit Material der dpa