Viele Proteine gelten gerade bei Fitnessbewussten als das Gebot der Stunde. Doch Forscher aus den USA warnen eindringlich vor dieser Ernährungsweise - nur eine Gruppe ist ausgenommen.
Proteinreiche Lebensmittel sind vor allem bei Sportlern und figurbewussten Menschen beliebt, da sie Sättigung fördern, den Muskelaufbau unterstützen und wenig Kohlenhydrate enthalten. Allerdings weisen immer mehr Experten darauf hin, dass eine unausgewogene Ernährung mit zu wenig Ballaststoffen langfristig negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann, insbesondere auf die Darmgesundheit und das Mikrobiom. Das kann zu schwerwiegenden Krankheiten führen. Wer hingegen viele Ballaststoffe zu sich nimmt, verzeichnet ähnliche Wirkungen wie bei Blutdruckpillen.
Der Stanford-Wissenschaftler Justin Sonnenburg forscht seit vielen Jahren zu diesen Fragen. In einem Gespräch mit dem Wall Street Journal warnt er jetzt vor einer mittlerweile weit verbreiteten Ernährungsform, die zwar viel Eiweiß enthält, aber kaum Ballaststoffe. Bereits 2016 stellte er die These auf, dass "der westliche Lebensstil, der eine Ernährung mit geringem Anteil an mikrobiotaverfügbaren Kohlenhydraten (Anmerkung d. R.: umgangssprachlich als Ballaststoffe bezeichnet) umfasst" zu einer problematischen Darmflora führt.
Alarmierend: Viel Protein aus Fleisch erhöht Sterberisiko um 75 Prozent
Eine bahnbrechende Studie der University of Southern California zeigte zwei Jahre zuvor grundlegende Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Proteinkonsum und Gesundheit. Die Analyse von 6.381 US-Amerikanern über 50 Jahren offenbarte alarmierende Zahlen: Menschen zwischen 50 und 65 Jahren, die viel Protein konsumieren, hatten ein um 75 Prozent erhöhtes Sterberisiko und ein vierfach höheres Risiko, an Krebs zu sterben. Diese Ergebnisse basierten auf einer 18-jährigen Nachbeobachtung der Teilnehmer. Auch die DGE empfiehlt weniger Fleisch und mehr Vollkorn in ihren aktuellen Ernährungsrichtlinien.
Die Studie teilte die Probanden in drei Gruppen ein: niedrigen Proteinkonsum (weniger als 10 Prozent der Kalorien), moderaten Konsum (10 bis 19 Prozent) und hohen Konsum (20 Prozent oder mehr der Kalorien aus Protein). Besonders beunruhigend: Bereits moderate Proteinmengen erhöhten das Krebssterberisiko um das Dreifache. Ein Schlüsselbefund der Studie betrifft die Proteinquelle. Die negativen Effekte waren hauptsächlich auf tierisches Protein zurückzuführen. "Wenn der Anteil der Kalorien aus tierischem Protein kontrolliert wurde, verschwand der Zusammenhang zwischen Gesamtprotein und Gesamtsterblichkeit oder Krebssterblichkeit oder wurde deutlich reduziert", berichten die Forscher.
Dies deutet darauf hin, dass nicht Protein per se das Problem ist, sondern spezifisch tierisches Protein. Pflanzliche Proteine zeigten diese schädlichen Effekte nicht. Als Ursache für diese Effekte identifizierten die Wissenschaftler den Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor 1 (IGF-1). Hoher Proteinkonsum führt zu erhöhten IGF-1-Spiegeln, die wiederum Zellwachstum und Krebsentwicklung fördern. Die Studie zeigte, dass "für jeden 10 ng/ml Anstieg von IGF-1 das Krebssterberisiko bei Personen zwischen 50 bis 65 Jahren in der hohen Proteingruppe um zusätzliche 9 Prozent steigt". Das deckt sich mit weiteren Studien, die einen Zusammenhang zwischen bestimmten Fleischsorten und Krebsentwicklung nahelegen.
Überraschung: Ab bestimmtem Alter wird viel Protein plötzlich gesund
Ab dem 65. Lebensjahr kehrten sich die Effekte dramatisch um. Ältere Menschen mit hohem Proteinkonsum hatten eine um 28 Prozent reduzierte Gesamtsterblichkeit und ein um 60 Prozent verringertes Krebssterberisiko im Vergleich zu jenen mit niedrigem Proteinkonsum. "Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass niedrige Proteinzufuhr im mittleren Alter, gefolgt von moderatem bis hohem Proteinkonsum im hohen Alter, Gesundheitsspanne und Langlebigkeit optimieren könnte", folgern die Autoren. Auch die Inhaltsstoffe von Produkten wie Proteinriegeln sind häufig mehr als fragwürdig.
Mäusestudien bestätigten die menschlichen Befunde eindrucksvoll. Mäuse mit niedriger Proteinzufuhr (4 Prozent der Kalorien) zeigten eine um 10 bis 30 Prozent geringere Tumorentstehung bei Melanom- und Brustkrebs im Vergleich zu Mäusen mit hoher Proteinzufuhr (18 Prozent). Auch das Tumorwachstum war bei niedriger Proteinzufuhr um bis zu 78 Prozent langsamer. Bei alten Mäusen (24 Monate) führte eine sehr niedrige Proteindiät jedoch zu 10 Prozent Gewichtsverlust, während junge Mäuse (18 Wochen) ihr Gewicht hielten.