In vielen fränkischen Dörfern hatte die Synagoge einst einen festen Platz. Eines dieser früheren jüdischen Gotteshäuser wird im unterfränkischen Wiesenbronn jetzt in neuer Funktion zu neuem Leben erweckt.
Von einem Schlamassel spricht man bisweilen dann, wenn einem etwas nicht ganz koscher ist. Solche Wörter, aus dem Jiddischen ins Deutsche übernommen, haben die Jahrhunderte überdauert
und auch die Verbrechen der Nazis überstanden. Juden und Christen waren in Deutschland und gerade auch in vielen ländlichen Regionen Frankens gute Nachbarn, die allermeiste Zeit jedenfalls.
Menschen wie Reinhard Hüßner kümmern sich um das vielerorts vom Verfall bedrohte bauliche Erbe der jüdischen Kultur.
Über Hüßners Wohnzimmer prangt
ein prächtiger Nachthimmel. Goldene Sterne auf blauem Grund schmücken das hohe Mansarddach, die Wände sind mit gold-roten Blumenmustern verziert.
"Ich weiß selbst noch nicht so genau: Wie viele Möbel verträgt so ein Raum?", sagt der 55-Jährige. Er steht im Betsaal der früheren Synagoge von Wiesenbronn, einer
970-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Kitzingen.
Aus Franken zu Weltruhm Einst zählte der Ort, wie so viele in Franken, eine
lebendige jüdische Gemeinde. Oft ist die Spurensuche schwierig. So manche Synagoge, so manches jüdische Schulhaus, das den Krieg und den Terror der Nazis überlebt hatte, wurde oder
wird dem Verfall oder dem Vergessen preisgegeben. Die Synagoge in Rimpar (Kreis Würzburg) diente lange Zeit als Hühnerstall. Aus diesem Ort stammt die Familie Goldmann, die in der
US-Bankendynastie Goldman-Sachs zu fragwürdigem Ruhm kam: Die Pleite der Banken löste 2007 eine weltweite Finanzkrise aus, deren Folgen bis heute wirken.
Aus Buttenheim bei
Bamberg stammt Levy Strauß, der als Auswanderer in Kalifornien die wohl berühmteste Hose der Welt erfand. Billy Joel ist ein Weltstar, dessen Wurzeln in Nürnberg liegen.
Seine Vorfahren gründeten das Neckermann-Imperium. Und Henry Kissinger, der frühere US-Außenminister, fragt noch heute jedes Wochenende, wie sein Heimatverein Greuther Fürth
gespielt hat.
Steinernes Erbe Das sind nur einige wenige Beispiele von Juden aus Franken, die Weltgeschichte geschrieben haben und noch
schreiben. Die Nazis haben am Ende auch den Krieg gegen die Juden verloren. Deren steinernes Erbe will Hüßner erhalten: Mit seiner Frau Michaela renovierte er das ehemalige Gotteshaus
- und zieht nun ein, wo vor einem Jahrhundert noch die Juden des Dorfs zum Schabbat-Gottesdienst zusammenkamen.
2005 kaufte das Paar das Gebäude und riss erst einmal alles raus, wie
Hüßner erzählt. "Wir haben bewusst versucht, alle Anbauten nach 1938 zu entfernen." Damals hatte die jüdische Gemeinde sich unter dem Druck des Nazi-Regimes aufgelöst und
die Synagoge an Nachbarn verkauft. Sie wurde zu einem Wohnhaus umgebaut.
Die neuen Eigentümer ließen die Synagoge auf die Denkmalliste setzen und machten die Vergangenheit wieder
sichtbar - mit großer Liebe zum Detail. Sie hätten "mit ihrem Mut und ihrem Forscherdrang" ein wichtige Stück jüdischer Geschichte wieder erlebbar gemacht, sagt der
Generalkonservator des Landesamtes für Denkmalpflege, Egon Johannes Greipl.
Aus dem 18.
Jahrhundert Die Synagoge wurde 1792/93 gebaut. Nachdem die Juden aus den Städten vertrieben worden waren, hatten viele von ihnen in kleineren Orten eine Heimat gefunden - man
spricht vom Landjudentum. "Unterfranken hatte im 18./19. und frühen 20. Jahrhundert die höchste Dichte an jüdischen Gemeinden in Deutschland", sagt Greipl.
In Wiesenbronn lebten zeitweise etwa 160 Juden.
"Das ist unheimlich interessant, wie viel Geschichte in so einem Grundstück steckt", sagt Reinhard Hüßner.
Er ist vom Fach, beruflich leitet er das Kirchenburgmuseum Mönchsondheim. Hüßner kümmert sich bereits um den nächsten historischen Fund.
Auf dem Hof des Grundstücks hat er seine eigene Ausgrabungsstätte: Im Schutz eines Zeltes sind Grundmauern eines kleinen Edelsitzes aus der karolingischen Zeit, frühes
Mittelalter, freigelegt. "Ich bedaure Leute, die zuhause vorm Fernseher sitzen", sagt Hüßner. "Das hier ist viel spannender."