Hinzu kommen höchstwahrscheinlich zahlreiche Fälle, die polizeilich nicht bekannt sind. Beispielsweise sind Beleidigungen „Antragsdelikte“ – sie werden also nur verfolgt, wenn das jeweilige Opfer die Tat auch zur Anzeige bringt. Dies ist aber gerade bei „kleineren“ Vergehen wie Beleidigungen oder auch dem Anbringen von Parolen und Symbolen selten der Fall. Die Dunkelziffer ist demnach hoch.
Teil des globalen Informationskriegs – Erinnerungen an 2015
Die Gefahr, dass der Konflikt in der Ukraine auch nach Franken schwappt, ist aus Sicht der Polizei in Franken aber gering. Größere Straftaten und Gewaltdelikte mit russen- oder ukrainefeindlichem Hintergrund erwartet man weder beim Polizeipräsidium in Unterfranken, noch in Mittel- und Oberfranken.
Doch auch Franken ist Teil eines anderen Kriegs – nämlich des global geführten Informationskriegs. Und dies ist die zweite Seite der „hoch emotionalisierten“ Lage. „Sowohl das pro-ukrainische als auch das pro-russische Lager innerhalb der Bevölkerung dürfte bei der aktuellen Lage versuchen, über Berichte in den sozialen Medien Anhänger für die eigene Meinung zu gewinnen“, erklärt Polizeihauptkommissar Daniel Ruß vom Präsidium Unterfranken. Dabei ginge es einerseits um gezielte Falschmeldungen, als auch um die „ungeprüfte Übernahme von Mitteilungen aus fragwürdigen Quellen“, um „den eigenen Standpunkt zu rechtfertigen oder Unterstützung für die eigene politische Meinung zu erzeugen“. In diesem Sinne wurde auch der eigentlich harmlose Fall des Zehnjährigen in Rednitzhembach missbraucht.
Zwar seien gezielte Falschmeldungen in Franken noch selten, doch wie weit diese gehen können, zeigt ein Fall aus Euskirchen (Nordrhein-Westfalen): In einem in den sozialen Medien kursierenden Video wurde Mitte März vom brutalen Tod eines russischstämmigen Jugendlichen berichtet, der angeblich von einer Gruppe Ukrainern zu Tode geprügelt worden sein sollte. Doch: der Fall stellte sich als kompletter Fake heraus, die Polizei warnte öffentlich vor der Falschmeldung.
Lawrow instrumentalisiert Fake-News
Michael Konrad fühlt sich in diesem Zusammenhang an zwei andere Fälle erinnert: Zum einen an den eines 13-jährigen russischstämmigen Mädchens aus Berlin, das im Januar 2016 angeblich entführt und vergewaltigt worden war. Da die angeblichen Täter türkischstämmig gewesen waren, wurde der Fall genutzt, um die Vorurteile gegen Migranten und Flüchtlinge in der damals aufgeheizten Lage nochmals zu befeuern. Landesweite gab es einen Aufschrei. Auch in Nürnberg hatte es damals Proteste gegeben, erinnert sich Konrad zurück. Damals hatte sich sogar der noch heute im Amt befindliche russische Außenminister Sergei Wiktorowitsch Lawrow zu Wort gemeldet und der deutschen Polizei Versagen und Vertuschung vorgeworfen: Der deutsche Staat habe „die Lage nicht mehr im Griff“. Lawrows Äußerungen sechs Jahre später klingen kaum anders.
Für Konrad zeigt auch ein Fall aus Treuchtlingen (Weißenburg-Gunzenhausen) dieselbe Logik: Dort hatte ein 22-Jähriger Ende 2015 auf Facebook das Gerücht verbreitet, Flüchtlinge hätten ein zehnjähriges Mädchen auf offener Straße vergewaltigt. Auch diese Tat stellte sich als frei erfunden heraus.
Ähnlich wie 2015 stellt die politische Realität die Gesellschaft vor Herausforderungen: Einerseits reale Probleme ernst nehmen – andererseits Fake-News als solche zu identifizieren und falscher Behauptungen entgegenzutreten. Für das Frühjahr 2022 heißt dies: Straftaten gegen russischstämmige oder ukrainische Mitbürger ernst nehmen und die Täter bestrafen, ohne Kriegstreibern und Propagandisten aller Couleur auf den Leim zu gehen. Eine Aufgabe, die sich nicht nur die Polizei in Franken stellen muss, sondern alle Bürger und Bürgerinnen.
In der aufgeheizten Situation auch noch mit Fake-News über Angriffe zu arbeiten, sollte nun echt nicht sein. Entweder total erfunden oder eine Meinungsverschiedenheit, welche auch völlig ohne nationale Zugehörigkeit stattgefunden hätte zu instrumentalisieren ist nun wirklich nicht nötig.
Aber vielleicht ist auch ein bisschen Sensibilität auch gefordert. Jeder darf sich unterhalten, in welcher Sprache auch immer, aber auch die russische ist oft sehr, sehr laut ohne allzu sanfte "Sprachmeldodie". Wenn bei allen die Nerven blank liegen, kann etwas, das eigentlich völlig normal ist, schnell zu Abwehrhaltung führen, da wäre "Zimmerlautstärke" auch schon hilfreich. Also seid nett zueinander , die Welt ist schon angeschlagen genug.