Zwei Jahre Cannabis auf Rezept: Bedarf steigt, Skepsis bleibt
Zwei Jahre nach der Liberalisierung von medizinischem Cannabis in Deutschland ist die Nachfrage stark gestiegen. Seit dem 10. März 2017 können Ärzte Cannabis-Präparate auf Kosten der Krankenkassen verschreiben. 2018 gaben Apotheken etwa 145 000 Einheiten cannabishaltiger Zubereitungen und unverarbeiteter Blüten auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherungen ab. 95 000 Rezepte wurden bundesweit verschrieben. Die Wirkstoffe von Cannabis können Schmerzen bei Krebserkrankungen, Übelkeit nach Chemotherapien oder Spastiken bei Multipler Sklerose lindern. Teils ist die medizinische Wirksamkeit aber umstritten.
Dr. Markus Schneider verschreibt es nur sehr zurückhaltend. "Cannabis ist kein Schmerzmittel", sagt der Bamberger Orthopäde, Unfallchirurg und Mitglied der Deutschen Schmerzgesellschaft. Die Wirkstoffe der Pflanze könnten Schmerzkranke dabei unterstützen, mit ihren Leiden besser klarzukommen, meint er. "Aber das reine Schmerzempfinden wird nicht nachweislich geringer."
Zweifel an der Wirksamkeit
Dennoch sei Cannabis auch ohne Wirksamkeitsnachweise auf den Markt gekommen. Das habe bei den Patienten Erwartungen geweckt, die Ärzte nicht immer erfüllen können. Zudem seien bürokratische Hürden für Ärzte hoch und die Vergütung spiegele den Verwaltungsaufwand nicht wider. Für Schneider ist klar: "Cannabis muss am Ende der therapeutischen Leiter stehen".
"Für einen breiten Einsatz von Cannabis mangelt es nach wie vor an Belegen zur Wirksamkeit und Sicherheit," sagt Dr. Bettina Dubbick, Referentin für Arzneimittel beim AOK-Bundesverband. Kritisiert wird, dass es keiner üblichen Zulassungsverfahren bedurfte. Anspruch haben Versicherte mit schwerwiegenden Erkrankungen. Welche Diagnose gilt und welche nicht, ist nicht konkret definiert. Ärzte entscheiden, das führt zu Verunsicherungen. Alleine bei der AOK Bayern sind schon fast 5000 Anträge eingegangen. Die Kassen prüfen dann, ob die Voraussetzungen für eine Übernahme der Kosten gegeben sind. Ablehnen musste die AOK Bayern nach eigenen Angaben bisher nur 27 Prozent.
Oft kommt es zu Lieferengpässen
Franjo Grotenheimer überzeugt das nicht. "Gegenwärtig werden Anträge auf eine Kostenübernahme zum Teil mit wenig überzeugenden Argumenten abgelehnt", schreibt der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin. Er fordert, den Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen zu streichen. Die wären dann zur Kostenerstattung gezwungen, wenn ein Arzt eine Therapie für notwendig erachtet.
"Wir wissen nicht, ob alle Patienten, die von medizinischem Cannabis profitieren könnten, Zugang haben", sagt Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer. Aktuell sind sie auf Importe aus den Niederlanden und Kanada angewiesen. Immer wieder kommt es aber zu Lieferengpässen, weil auch dort die Bedarfe steigen.
Kommentar vom Autor: "Versprechen einhalten!"
Gebt das Hanf frei! Zwar haben die Bundeskoalition und noch weniger die bayerische Staatsregierung den Mut, den Konsum von Cannabisprodukten juristisch mindestens (beziehungsweise höchstens) mit dem gefährlicherer, legaler Drogen wie Alkohol und Nikotin gleichzustellen. Noch immer wirkt die auf Kriminalisierung von Kiffern setzende Drogenpolitik wie eine Hexenjagd. Aber seit zwei Jahren dürfen Schwerkranke ihre Schmerzen offiziell mit Cannabis lindern. Immerhin. Hoffnung, von ihren Krankheiten geheilt zu werden, gibt ihnen dieser Freischein freilich nicht.
Aber jede Minute, die ein Joint sie von ihren quälenden Schmerzen abgelenkt, ist eine gute Minute. Noch immer haben wohlwollende Ärzte, Apotheken und Therapeuten mit bürokratischen Hürden zu kämpfen, noch immer werden Betroffene als Drogenabhängige stigmatisiert. Fakt ist doch: Wer meint, dass ihm Cannabis hilft, beschafft es sich. Zur Not illegal.
Um Patienten vor dem oft mit kriminellen Machenschaften einhergehenden Drogenmilieu fernzuhalten, müssen sie auf ihrem Weg unterstützt werden und Stolperfallen verschwinden. Nur so kann der Staat sein Versprechen einhalten, das er mit der Gesetzesänderung im März 2017 gegeben hat.mit dpa