Blick auf eine Ecke des Nürnberger Leitfriedhofs: Gräber, in denen niemand liegt. Foto: Ronald Rinklef
Der Name "Mustermann" deutet darauf hin, dass es sich um ein "Schau-Grabmal" handeln könnte. Foto: Ronald Rinklef
Anders ist es bei diesem Grabstein: Der Betrachter denkt, dass hier Inge Gulde begraben liegt - doch der Name ist fiktiv. Foto: Ronald Rinklef
Der Nürnberger Leitfriedhof lässt Freiräume - und legt Wert auf naturnahe Friehofsgestaltung. Foto: Ronald Rinklef
Michael Gärtner vor dem Modell des Leitfriedhofs Foto: Ronald Rinklef
Stein und Holz: Günther Lang aus Eichstätt hat dieses Grabmal 2005 im Rahmen eines Wettbewerbs geschaffen. Foto: Ronald Rinklef
Waldbäume gehören zum Leitfriedhof - im Hintergrund die rund 100-jährige Eiche mit Ruhebank. Foto: Ronald Rinklef
Herbstsonne lässt Stein und Metall in besonderem Licht erscheinen. Foto: Ronald Rinklef
Dieses Grabmal hat sogar einen Preis gewonnen. Foto: Ronald Rinklef
Blick auf die Gräber am Eingang des Leitfriedhofs Foto: Ronald Rinklef
Gräberkreis an einer Birkengruppe Foto: Ronald Rinklef
Michael Gärtner erklärt das 2005 von Andreas Geisselhardt aus Leonberg geschaffene Grabmal. Bei diesem puristisch gestalteten Grabzeichen beziehen sich die fünf quadratischen Durchbrüche auf fünf Namenstafeln aus Bronze.Dabei fällt an markanten Terminen, z. B. die Geburtsstunde, bei schönem Wetter Licht auf die jeweilige Namenstafel. Foto: Ronald Rinklef
Blick durch ein Bronzeloch des Grabmals von Andreas Geisselhardt Foto: Ronald Rinklef
Urnenstein, gefertigt 2005 von Hannes Trommer, Köngshain-Wiederau Foto: Ronald Rinklef
Grabzeichen aus Schmiedemessing (2005, Weber und Hermann, Seukendorf) Foto: Ronald Rinklef
Teil der Inschrift auf dem Grabmal von Weber und Hermann: Der gesamte Text lautet: VORBEI - VERJAEHRT - DOCH NIMMER VERGESSEN. ICH REISE. ALLES, WAS LANGE WAEHRT, IST LEISE. (Ringelnatz) Foto: Ronald Rinklef
Steinmetz- und Steinbildhauermeister Michael Gärtner von der Nürnberger Friedhofsverwaltung erklärt das Konzept des Leitfriedhofs. Foto: Ronald Rinklef
Grabmalberater Michael Gärtner Foto: Ronald Rinklef
Foto: Ronald Rinklef
Eine rund 100-jährige Eiche bildet den Mittelpunkt des Grünraumes. Sie ist zugleich Ruhepunkt des Leitfriedhofes. Foto: Ronald Rinklef
Ein Grabmal kann auch aus Holz bestehen. Foto: Ronald Rinklef
Die optische Leichtigkeit dieser Metallzeichen bietet für die kleine Fläche eines Urnengrabes individuelle Möglichkeiten. Foto: Ronald Rinklef
Im Anschluss an den Leitfriedhof beginnt der 40 Hektar große Südfriedhof. Foto: Ronald Rinklef
Runder Grabstein, nur wenige Zentimeter hoch Foto: Ronald Rinklef
Es müssen nicht immer Blumen sein: pflegeleichte Bodendecker sorgen für Würde auf den Gräbern. Foto: Ronald Rinklef
240 Gräber, in denen niemand begraben liegt: Auf dem Leitfriedhof in Nürnberg können sich Steinmetze und Friedhofsplaner Anregungen holen, welche Formen der Grabkultur möglich sind. Doch seine Tage scheinen gezählt.
73 Jahre alt ist Inge Gulde geworden. Seit 1990 liegt sie hier, so die Inschrift auf ihrem Grabstein. Doch wer den Nürnberger Südfriedhof von Südosten her betritt, und vor dem Grab von Frau Gulde verweilt, wird plötzlich stutzig. Der Blick fällt auf einen Stein schräg vorne, zwei Reihen weiter. Die Inschrift dort: "Inge Gulde. *1917 †1990". Gleich daneben ein dritter Grabstein mit dem Namen der Frau. Inge Gulde liegt in keinem der Gräber. Sie ist auch nicht 1990 gestorben, hat vermutlich gar nicht gelebt. "Hier sind oft fiktive Namen angebracht. Die Inschrift ist ein wesentliches Gestaltungselement. Ohne sie wirkt ein Grabmal nicht", erklärt Michael Gärtner.
Nur dreimal in Deutschland
Der 46-Jährige hat einen außergewöhnlichen Beruf. Er ist Grabmalberater. "Meinen Job findet man nur an drei Stellen in Deutschland. Es gibt noch einen Kollegen in Stuttgart und drei in München", erzählt Gärtner. So ausgefallen wie seine Tätigkeit ist auch der Ort, den der Mitarbeiter der Nürnberger Friedhofsverwaltung präsentiert. Ein ehemaliges Waldstück, das man freigelegt hat. 1981 wurde es als Leitfriedhof eröffnet, als Impulsgeber für Friedhofsplaner und Steinmetze, mit zahlreichen Beispielen und Ideen für zeitgemäßes Gestalten von Friedhöfen.
Gegen das Schablonendenken
"Früher war ein gängiger Friedhof ganz eng gerastert. Hier auf dem Leitfriedhof nutzte man erstmals Freiräume - eine hochwertige Gestaltung, die Ruhe und Geborgenheit ausstrahlt", sagt Gärtner. Und noch etwas anderes bewog die damaligen Initiatoren. Grabmale wurden in den 1970er Jahren immer mehr industriell gefertigt. Eine schablonenhaften Massenindustrie warf die klassischen Grundlagen über Bord. Man wollte mit einem neuen Leitbild gegensteuern. Platz ist genug vorhanden. Auf den mehr als 6000 Quadratmetern Fläche kann der Besucher 240 Gräber betrachten. Jedes Grabmal ist anders. In Stelen- oder Quaderform sind viele gemeißelt, einige bestehen aus Metall, auch Holzformen tauchen mitunter auf. Alle diese Beispiele haben Steinmetze oder Metall- und Holzgestalter hier kostenlos und dauerhaft aufgestellt. In würdevoller Form: Werbeschildchen gibt es nicht. "Es sollte von Anfang an kein Ausstellungsgelände für Steinmetze sein", sagt Gärtner.
Kreative Steinmetze
Matthias Claudius (1740 - 1815) steht auf einem der Steine. Auch Schriftsteller Max Frisch ist auf dem Nürnberger Leitfriedhof zu finden. Fiktive Namen waren einigen Steinmetzen wohl zu langweilig. "Die meisten Steine wirken irgendwie zeitlos, obwohl sie schon seit 30 Jahren dastehen", sagt Gärtner. Seit zehn Jahren ist der Steinmetz- und Steinbildhauermeister sowie geprüfte Restaurator in der Nürnberger Friedhofsverwaltung tätig, seitdem auch Ansprechpartner für den Leitfriedhof. Die Gräber sind laut Gärtner so angelegt, dass sie leicht zu pflegen sind. "Es gibt hier aber keine Bodenplatten, weil das mit dem Konzept Waldfriedhof kollidiert", berichtet Gärtner. "Wir zeigen hier: Man kann ein pflegefreies und dennoch würdiges Grab schaffen." Auf vielen Sandsteinen haben es sich Moos und Flechten bequem gemacht. Die natürliche Verwitterung sei gewünscht, erklärt Gärtner. Ein Stein zeige sich so einem Menschen ähnlich. "Viele Menschen können sich damit identifizieren, dass der Stein in Würde altert."
"Echtzeiterlebnis geht verloren"
Neue Gräber kommen nicht mehr dazu. Der Leitfriedhof soll sukzessive aufgegeben werden, hat ein Kuratorium, dem unter anderem Fachverbände des Handwerks angehören, im Sommer dieses Jahres beschlossen. "Früher sind die Gemeindevertreter hierher angereist, heute wird oft nur im Internet geklickt. Im medialen Zeitalter hat sich diese Art Friedhof leider überholt. Die Wertschätzung dieses Echtzeiterlebnisses geht immer mehr verloren. Doch das ist in vielen Bereichen so", sagt Gärtner.
Selten länger als 20 Jahre
Wenn kein Interesse mehr am Fortbestand des Nürnberger Leitfriedhofs besteht, dann könnte den meisten der Gräber hier am Ende das übliche Schicksal vieler Grabstätten auf dem direkt angrenzenden Nürnberger Südfriedhof widerfahren. "Die Ruhefrist beträgt bei uns zehn Jahre. Länger als 20 Jahre werden hier ganz wenige Gräber genutzt", berichtet Gärtner.