Bis der Erste stirbt: Der Umgang mit den "Klima-Klebern" ist erbärmlich - am Ende will es niemand gewesen sein
Autor: Robert Wagner
Nürnberg, Freitag, 23. Juni 2023
In Nürnberg blockieren Protestierende den Verkehr - und wie andernorts auch, greifen einige Autofahrer zur gewalttätigen Selbstjustiz. Für diese Spirale zunehmender Gewalt sieht Robert Wagner drei Hauptgründe. Ein Kommentar.
Die Aktivisten und Aktivistinnen der "Letzten Generation" haben ein legitimes Ziel. Sie machen sich, unterstützt von tausenden Klimaforscher*innen, berechtigte Sorgen um ihre und die Zukunft des gesamten Planeten. Man kann über ihre Aktionen diskutieren, man kann anderer Ansicht sein und andere Dinge fordern. Was man aber nicht kann und darf: Mit Gewalt reagieren.
Doch genau das wird immer mehr zur Normalität. Bei ihren Straßenblockaden werden sogenannte "Klima-Kleber" regelmäßig Opfer gewalttätiger Übergriffe wütender Autofahrer. So zuletzt auch in Nürnberg, wo mehrere Autofahrer rabiat gegen die am Boden sitzenden Menschen vorgingen, sie traten und von der Straße schleiften.
Beängstigende Gewalt gegen die "Klima-Kleber"
Diese neue Normalität ist nicht nur traurig, sie ist beängstigend. Unterstützt und getragen wird sie von drei Entwicklungen:
Erstens von einem wütenden „Couch-Mob“. Die Umgangsformen bei Facebook, Twitter und Co. degenerieren seit Jahren. Es ist traurig, dass Menschen auf die Idee kommen, es sei angebracht oder auch nur ok, zur Gewalt gegen die Klima-Aktivisten aufzurufen. Es ist erbärmlich, dass Sprüche wie „Ich würde nicht bremsen“ oder „Die würde ich von der Straße prügeln“ noch bejubelt werden. Auf Social Media sind bereits alle Hemmungen gefallen – und wie man in Nürnberg und andernorts sehen konnte, gibt es leider auch genug Menschen, die dann auch zur Tat schreiten.
Angefeuert werden wütende Autofahrer und Klimawandel-Leugner zweitens noch durch eine mediale Berichterstattung, die zum Teil klar gegen journalistische Grundsätze verstößt. So bezeichnet die nie um steile Thesen und geschmacklose Überschriften verlegene Bild die Aktivist*innen konsequent als "irre Klima-Chaoten", denen Einhalt geboten werden muss. Sie befeuert den Hass vieler Autofahrenden auf die Protestierenden und suggeriert, dass da nun endlich mal jemand was unternehmen müsse und "wir uns von denen nicht länger auf der Nase rumtanzen" lassen dürfen. Wenn dann tatsächlich jemand zur Gewalt gegen die Klima-Kleber greifen sollte, wird die Bild dann wieder die erste sein, die verwundert fragt: „Woher kommt der ganze Hass?“
Söder, Merz und Co: Auf populistischem Stimmenfang - sie nehmen Gewalt in Kauf
Bliebe drittens noch die Rolle der Politik. Statt inhaltlicher Debatten kommt von hier brandgefährlicher Populismus: Markige Sprüche, die wohl Wähler-Stimmen gewinnen sollen, aber vor allem Hass fördern.
Bundeskanzler Olaf Scholz nennt die Protestierenden etwa "bekloppt". CDU-Chef Friedrich Merz stimmt ihm zu, und will mit den "Straftätern" nicht sprechen. Alexander Dobrindt ist sich nicht zu schade, ernsthaft von einer "Klima-RAF" zu fabulieren und für seinen Chef Markus Söder handelt es sich nur um eine "kriminelle Vereinigung", die er zu jeder Gelegenheit verhöhnt.