Zwei Nürnberger Seniorinnen erzählen von ihrer ehrenamtlichen Arbeit - die Aufwandsentschädigung brauchen sie dringend.
Das Berchtesgadener Land bringt Elisabeth Müller* den Tränen nahe. "Einfach in die Ferne schauen und entspannen." Vielleicht kann sie sich das in drei, vier Jahren noch einmal leisten. "Wenn ich dann noch gesund bin", sagt die Seniorin, und da muss sie nach einem Taschentuch suchen.
Elisabeth Müller ist eine adrette alte Dame, sie trägt ein pastellfarbenes Tuch, Schmuck. Sie sieht nicht arm aus. Aber sie lässt sich nur von hinten fotografieren und in Wirklichkeit heißt sie auch nicht Elisabeth Müller.
Der Behördenstress war ihr zu viel
Sie sitzt im Senioren-Service-Büro der Awo in der Nürnberger Gartenstadt und erzählt von den Briefkuverts, in denen sie sich Geld für Geburtstage, Physiotherapie und Kleidung zurücklegt. Etwas mehr als 500 Euro hat sie im Monat. Sie ist arm. Und sie schämt sich dafür. "Ich war 35 Jahre lang kaufmännische Angestellte", erzählt sie. Seit ihr Arbeitgeber vor zehn Jahren Insolvenz anmeldete, hat sie nicht mehr gearbeitet. Sie ist erst 63 und bekommt noch keine eigene Rente, nur die Witwenrente ihres früh verstorbenen Mannes. Staatliche Unterstützung erhält sie nicht. Anspruch hätte sie zwar, aber sie verzichtet darauf, weil sie es nicht verkraftet, wie sie sagt. "Das Arbeitsamt hat mich mit Stellenangeboten bombardiert. Immerzu wollen die irgendwas, ich habe das nervlich nicht verkraftet. Auch jetzt, wenn ich darüber spreche, steigt mein Blutdruck."
Ehrenamt bei der Awo
Weil sie ihren Vater zwei Jahre pflegte, merkte sie, dass sie anderen Menschen helfen kann. "Bei der Awo betreue ich zwei Damen, die an Demenz erkrankt sind." Sie spielt Rummy oder Mensch-ärgere-dich-nicht mit ihnen, versucht Kreuzworträtsel zu lösen, singt Kinderlieder. "Die sind auch bei Demenzkranken noch gut in Erinnerung", erklärt sie. "Es geht darum, dass die Menschen aktiv sind. Und das gibt den Angehörigen Zeit." Finanziert wird es über Entlastungsleistungen der Pflegeversicherung; es ist ein Ehrenamt, aber eine kleine Aufwandsentschädigung bekommt Müller.
Auch Natalia Spivakova* arbeitet ehrenamtlich bei der Nürnberger Awo, weil sie die 200 Euro im Monat braucht. "Ich habe noch Kraft zu arbeiten, ich möchte aktiv sein", erklärt die 65-Jährige. Sie kam 1998 als Kontingentflüchtling aus Russland und leitet eine russischsprachige Gruppe mit Überlebenden des Zweiten Weltkriegs. Für diese Generation ist das ein Lebensthema. "Aber wir sprechen auch über das, was heute in der Welt passiert, über aktuelle Probleme, wenn einer den Partner verloren hat." Spivakova war in Russland Psychologin, aber ihr Studium wurde hier nicht anerkannt. "Ich habe eine Zeit als Pflegerin gearbeitet." Aber die körperliche Arbeit war zu schwer für die Seniorin.
Das Ehrenamt macht sie gern. Und es ermöglicht ihr, den Enkeln 'mal was zu kaufen. "Das Geld ist immer knapp. Wenn einer Geburtstag hat, muss ich das früh planen, dann gehe ich zum Beispiel nicht ins Schwimmbad."
Tafel ist nur für Fitte
Marina Naydorf ist wie Birgit Staib Seniorenberaterin bei der Nürnberger Awo und hat die agile Russin begleitet. Naydorf weiß Bescheid über die speziellen Probleme der Kontingentflüchtlinge, die Schwierigkeiten haben, weil sie nur wenig Geld vom russischen Staat bekommen. Naydorf und Staib, die beiden Beraterinnen, kennen unzählige Schicksale von Senioren, die mit ihrem Geld nicht auskommen. Bei der Awo bekommen sie beispielsweise Hilfe bei Wohngeld- oder Grundsicherungsanträgen. Rentner tun sich mit diesen Dingen oft schwerer als jüngere. Auch Hilfsangebote wie die Tafeln sind für sie nur bedingt geeignet. "Da ist sehr viel los und man muss gut stehen können und mobil sein. Das ist nur was für fitte Senioren", sag Staib. Problematisch werde es oft, wenn die Leute nicht mehr so fit sind. "Gesundheitskosten steigen. Autofahren geht nicht mehr, Bahn und Taxi sind teuer."
Ein bisschen irritierend finde ich, dass die eine Dame mit 53 arbeitslos wurde, "vom Jobcenter mit Stellenangeboten bombardiert" wurde, aber trotzdem die letzten 10 Jahre nicht gearbeitet hat. Warum denn nicht? Und diese Aussagen wie "35 Jahre gearbeitet" sind auch nie sehr aussagekräftig. Viele, viele Frauen arbeiten nämlich nur auf Minijobbasis, weil sie da keine Steuern und Sozialabgaben zahlen müssen - und dabei kräftig sparen. Da für kriegen sie dann keine Rente, weil sie ja nichts eingezahlt haben. Leider macht man mit solchen Aussagen natürlich weniger Stimmung, zu einer ordentlichen Berichterstattung wäre das aber mal wichtig zu beleuchten. Keiner ist um Alter arm, der Vollzeit 35 Jahre gearbeitet hat.
Die Dame hat 35 Jahre lang als kaufmännische Angestellte gearbeitet. Das ist keine Arbeit auf Minijobbasis. Wenn sie mit 53 Jahren aufgrund der Insolvenz des Arbeitgebers arbeitslos wurde, gehörte sie eh "zum alten Eisen". Die Art der Stellenangebote vom Jobcenter ist vielen Lesern sicherlich bekannt. Und was glauben Sie, was die Dame nach 35 Jahren an Rente einmal bekommen wird? Nach Abzug der Kranken- und Pflegeversicherung bleibt ihr nicht viel Rente übrig.
Lieber intelligenterautofahrer,
Ihre Frage ist berechtigt - die Antwort von adolphcd trifft es größtenteils, als Autorin des Artikels möchte ich aber noch ergänzen: Frau Müller hatte nach der Insolvenz ihres Arbeitgebers tatsächlich kurzzeitig eine andere Stelle, bei der es aber nicht klappte - die Gründe dafür sind so kompliziert, wie es das eben oft Leben ist und hätten den Rahmen des Artikels gesprengt. Vor allem, weil es nur ein Detail war, bei dem es um wenige Monate ging, habe ich mich entschieden, es wegzulassen. Mir ging es darum, im Rahmen der Vorsorgeserie für das Thema Altersarmut zu sensibilisieren, ein bisschen zum Nachdenken anzuregen - und ggf. eben auch dazu, selbst vorzusorgen, wenn man nicht genug einzahlt.
Die Frau war 35 Jahre in Vollzeit beim gleichen Arbeitgeber, dass sie danach nicht mehr (abgesehen von dem kurzen Intermezzo) gearbeitet hat, liegt vielleicht auch daran, dass sie - so mein Eindruck im Interview - ein harmoniebedürftiger Mensch ist, der sich leicht verunsichern lässt, wenn Druck, Konkurrenzdenken und rauher Umgangston herrschen. Sie verzichtet ja auch auf staatliche Leistung, weil sie den Papierkrieg nicht führen kann oder will. Lieber verdient sie sich etwas dazu. Das ist halt ihre Art, mit der Situation umzugehen.
Trotzdem ist es eine Mischung verschiedenster Gründe, warum es bei ihr mit dem Job nicht mehr geklappt hat. Ein wichtiger Aspekt war auch, dass ihr Vater schwer erkrankte. Sie kümmerte sich um ihn, weil sie arbeitslos war und Zeit hatte. Als die Krankheit fortschritt, war sie zwei Jahre lang nur mit seiner Pflege beschäftigt, bis er verstarb.
Bei jedem Einzelschicksal spielen viele Faktoren zusammen - ich hoffe, dass ich Ihre Fragen einigermaßen beantworten konnte. Aber die individuelle Biografie ist eben nur ein Beispiel dafür, wie es einem ergehen kann. Ich habe zusätzlich zu diesem Artikel eine Menge Zahlen und Fakten zum Thema Rente zusammengetragen, die Sie ebenfalls im Dossier zur Serie "Vorsorge" finden.