Die Pflanze Stevia ist süß, viel süßer als Zucker. Sie greift die Zähne nicht an. Und hat keine Kalorien. Die EU erlaubt seit einem Jahr, dass Süßstoff aus Stevia verkauft wird. Nicht aber die Wunderpflanze selbst- was der Lichtenfelserin Brigitte Zientek allerdings egal ist.
Brigitte Zientek hat ein Faible für besondere Pflanzen. Vor allem für essbare: "Die Chili hat's mir total angetan", sagt die Hobby-Gärtnerin und zeigt auf ein Töpfchen auf dem Fensterbrett ihrer Wohnküche. "Schärfegrad 7. Ich hab auch welche mit Schärfe 10." Höllisch scharf - aber erlaubt. Anders als das kümmerliche Grün, das im Schnapsglas daneben Wurzeln schlagen soll. Das ist süß. Verboten süß. Die Steviapflanze ist in der EU nicht erlaubt. Nur der Süßstoff, der im Labor aus der Pflanze gewonnen wird, bekam vor einem Jahr die Zulassung als Lebensmittelzusatzstoff.
Brigitte Zientek hat Steviolglykosid allerdings schon vorher benutzt. Zum ersten Mal bekam sie es vor gut drei Jahren von ihrem Sohn aus Österreich.
"Mein Mann hatte Diabetes, deshalb war ich so begeistert, dass es einen Süßstoff gibt, der aus einer Pflanze hergestellt wird." Zientek entdeckte in einer Drogerie in Lichtenfels Steviolglykosid, das als "Badezusatz" verkauft wurde. In einem anderen Geschäft erstand sie "Dentalkosmetik". Süßstofftabletten, Streusüße und flüssiger Süßstoff wurden bis zur Zulassung illegal mit solchen falschen Etiketten verkauft.
Schnittchen mit Badezusatz Brigitte Zientek rührte den Badezusatz in Kuchen und Tee und ärgerte sich, dass die EU den Süßstoff nicht erlaubte. "Das wäre doch
das Mittel für Diabetiker", sagte sie unserer Zeitung vor zwei Jahren und servierte dabei leckere Zucchini-Schnittchen mit Badezusatz.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) hatte zu diesem Zeitpunkt bereits bestätigt, dass Stevi olglykoside unbedenklich sind - zumindest in Maßen.
Zientek ist zwar dafür, dass die EU die Verbraucher schützen will, aber die 59-Jährige mag sich nicht vorschreiben lassen, was sie in ihren Garten pflanzt. "Das dauert immer alles so lange in Europa", sagt sie und zieht einen traurigen Stevia-Stängel aus dem Schnapsglas. "Mei süße, grausige Pflanze!" Sie lacht. "Schaut nicht aus, als ob's wurzeln wollte." Zientek steckt das kümmerliche Grün wieder ins Wasser. Wenn's nichts wird, kauft sie im Frühjahr neue. Sie zeigt die Etiketten von zwei Stevia-Pflanzen, die sie im gleichen Gartencenter erstanden hat: "Die eine, wo's noch nicht legal war: Da war's ne attraktive Zierpflanze.
Seit Neustem steht drauf, dass es als gesunde, kalorienarme Süße verwendet werden kann." Das ist gegen das EU-Recht - aber weit verbreitet.
Zientek trocknet im Herbst die Stevia-Blätter als Wintervorrat. "Mache ich mit ins Teesieb rein. Die Oma mag's gern süß." Beim Kochen probiert sie die verschiedenen Stevia-Süßstoffe, die inzwischen legal im Supermarkt verkauft werden: "Ich nehme es überall, wo man wenig braucht. Salatmarinade, Blaukraut, Rote Rüben: Die habe ich mit 18 Gramm Stevia-Süßstoff statt mit 180 Gramm Zucker eingemacht. Aber das kommt auch immer auf das Produkt an. Das eine ist 10 Mal so süß wie Zucker, das andere 50 Mal so süß." Inzwischen hat sie den Süßstoff sogar bei einem Discounter entdeckt und festgestellt, dass es auf der Internetseite
chefkoch.de an die 100 Stevia-Rezepte gibt.
Darunter die Nussmakronen, die heuer bei Zienteks auf dem Plätzchenteller liegen.
Mehr Informationen über die Ursprüge der Pflanze, die Zulassung neuartiger Lebensmittel in Europa, die neuen Produkte und Tipps für Stevia-Weihnachtsplätzchen gibt's oben in unserer Bildergalerie.
Lesen Sie außerdem ein Interview mit Deutschlands bekanntestem Stevia-Forscher Udo Kienle über die möglichen Gefahren, die Strategien der Lebensmittelkonzerne und die Besonderheiten des österreichischen Stevia-Marktes.