69 Jahre hatte Elly Endres keinen Kontakt zu ihrem Halbbruder Rudi Schönbrunn. Am Wochenende feierten sie das Wiedersehen im Kreis der Großfamilie in Oberbrunn.
Elly Endres (84) ist zusammen mit ihrer Tochter Andrea Hellmuth und deren Lebensgefährten Helmut Vorndran zum Bamberger Bahnhof gefahren. Um 15.30 Uhr soll der Zug mit ihrem Bruder Rudi Schönbrunn (72) ankommen, den sie 69 Jahre nicht mehr gesehen hatte. Die Geschwister hatten sich um 1950 aus den Augen verloren, nachdem die Mutter den dreijährigen Rudi in der wirtschaftlich schweren Nachkriegszeit ihrem Bruder zur Pflege mitgegeben hatte.
Elly Endres und Andrea Hellmuth geben zu, "schon a weng Herzklopfen" zu haben, als der Zug auf Gleis 3 einfährt. "Hoffentlich wart' mer net vergeblich", macht Elly ihrer Spannung Luft. Ob sie den Bruder erkennen werde, daran lässt sie keinen Zweifel ("den erkenn' mer!"). Die zwölf Jahre Ältere hat lebhafte Erinnerungen an ihren "kleinen Rudi" aus der Kindheit - und außerdem hat sie sein Bild auf dem Facebook-Profil im Internet gesehen.
Der muss es sein!
Als der Zug hält, spähen Elly, Andrea und Helmut den Bahnsteig entlang. Nach wenigen Sekunden hat Helmut ihn entdeckt: "Der mit der schwarzen Jacke ist es!" Er ist es tatsächlich. Die Geschwister umarmen sich. Rudi scherzt in nordischem Tonfall: "Was habt Ihr'n ohne mich gemacht 69 Jahre?!" Andrea freut sich: "Der sieht aus wie der Onkel Helmut", nur blonde Locken habe er nicht. "Die hatte ich mal", antwortet Rudi schlagfertig. Und er macht seiner 84-jährigen Schwester ein Kompliment: "Bist ja auch noch frisch und gut drauf, Donnerwetter! 84? Glaub ich nicht!"
Feier mit allen Geschwistern
Der Krimischriftsteller Helmut Vorndran, der im Februar die Initiative ergriffen hatte und im Internet nach dem verschollenen Rudi Schönbrunn suchte, freut sich über diese Familienzusammenführung. Die Wiedersehensfeier aller sechs noch lebenden Geschwister (von ehemals neun) am Wochenende in Oberbrunn sei "ein wunderbares Erlebnis" gewesen, sagt er. Kinder und Kindeskinder hätten mitgefeiert, "und Rudi strahlte den ganzen Tag wie ein Honigkuchenpferd". Die Familie unternahm mit Rudi Schönbrunn einen Ausflug nach Schönbrunn, um ihm sein Elternhaus zu zeigen, an das er keine Erinnerung mehr hatte. Als er es verließ, war er drei Jahre alt.
Bis in die Nacht hinein gequatscht
Und wie empfand Rudi Schönbrunn das Wiedersehen mit den Geschwistern? Im Hannoveraner Slang antwortet er schlagfertig: "Knalle-balle-fulle-balle - also super!" Mit den sechs Geschwistern und den Familienangehörigen sei er bis in die Nacht hinein zusammengesessen: "Wir haben nur gequatscht." Für ihn sei es "ein bisschen anstrengend" gewesen, weil er so viel Neues habe verarbeiten müssen.
Dass es so lange dauerte, bis er seine Geschwister wiedersah, kann sich Rudi Schönbrunn auch nicht schlüssig erklären. Schließlich habe die Familie ihn ja übers Rote Kreuz gesucht, doch die Anfragen seien immer im Sande verlaufen. Er sei bei seinem Onkel auf einem großen Bauernhof im Hannoverschen aufgewachsen, wo es ihm gut ging, erzählt er. So sei es verständlich, dass er keinen Anlass sah, zurückzugehen, denn er habe einfach nichts vermisst. Später war er dann als Monteur auf vielen Großbaustellen in ganz Europa unterwegs, was eine Erklärung dafür sein mag, dass die Familie ihn nicht finden konnte. Dass die Suche der Familie und Helmut Vorndrans jetzt Erfolg hatte, kommentiert er mit dem Schalk im Nacken: "Sie hatten Glück, dass ich mich mit meinem vollen Namen bei Facebook anmeldete."
Wichtig ist vor allem eines: Dass sich die Geschwister überhaupt wiederfanden. "Das ist ein gelungener Abschluss", sagt Rudi und staunt selbst über diese Laune des Schicksals, die ihn mit seinen Geschwistern nach einem ganzen Menschenleben wieder vereinte.