Ein Dreijähriger wird um 1950 in Schönbrunn von seiner Familie getrennt. Jahrzehntelang haben die Geschwister keinen Kontakt. Nun sehen sie sich wieder und lernen sich beim Familientreffen in Oberbrunn erstmals richtig kennen.
Das ist der Stoff, aus dem Romane sind: Geschwister verlieren sich im Kleinkindalter aus den Augen. Für immer, wie es scheint. Sie wissen nichts voneinander. Bis einer aus der Familie nachforscht und die Geschwister nach 69 Jahren zusammenführt.
Am Ende des Krieges muss Frieda Reichert mit ihren sechs Kindern aus Brieg in Schlesien fliehen. Sie kommen 1945 nach Schönbrunn bei Staffelstein. Der Vater ist im Krieg gefallen. Frieda Reichert geht eine Beziehung mit einem Mann namens Walter Schmog ein, mit dem sie drei uneheliche Kinder hat, darunter ist der 1947 in Staffelstein geborene Rudi. Wie damals üblich, bekommen uneheliche Kinder den Mädchennamen der Mutter - und der lautet Schönbrunn.
Es ist eine schwere Zeit für die alleinerziehende Mutter mit den neun Kindern. Der Vater ihrer drei Jüngsten, Walter Schmog, lebt nicht in Schönbrunn, sondern in Burgkunstadt. Als eines Tages der Bruder der Mutter, dessen Ehe kinderlos ist, aus dem Raum Hannover zu Besuch nach Schönbrunn kommt, wird spontan entschieden, dass eines der Kinder aus wirtschaftlichen Gründen zu ihm und seiner Frau ziehen soll. Seine Stiefschwester Elly Endres (84), die heute in Oberbrunn lebt, erinnert sich: "Ich hab' gesagt: Ich geh' net mit. Aber der Rudi schrie: Ja! Ich geh mit!" Die Würfel waren gefallen.
Ein Abschied für Jahrzehnte
So verabschieden sich die Geschwister in Schönbrunn von ihrem dreijährigen Bruder Rudi Schönbrunn, der zum Onkel Schönbrunn nach Niedersachsen zieht. Es sollte ein Abschied für viele Jahrzehnte werden. Doch das wissen die Kinder damals nicht, versucht Elly Endres zu rekonstruieren, denn der Abschied sei zunächst einmal nicht so endgültig erschienen. Ihr Leben lang denkt sie an den verschollenen Bruder: "Des war immer mein kleiner Rudi." Warum der Onkel aus Hannover nie mit dem kleinen Rudi nach Franken zu den Geschwistern reist, bleibt ein Rätsel. Vielleicht, weil er fürchtet, der Junge würde nicht mehr zurückkehren und bei den Geschwistern bleiben wollen.
Jedenfalls verliert die Familie den kleinen Rudi aus den Augen, aber niemals aus dem Gedächtnis. In der Folgezeit suchen Mutter und Geschwister den Jungen immer mal wieder. Er bleibt unauffindbar. Elly Endres: "Später sagte die Mutter, das würde sie nie mehr machen, eines ihrer Kinder hergeben."
Vage Erinnerung an die Schwester
Immerhin erklären die Stiefeltern ihrem Rudi mit 15 Jahren, dass sie nicht seine leiblichen Eltern sind. Dass er so viele Geschwister hatte, bleibt ihm bis vor kurzem unbekannt - "nur von einem größeren Madla" habe er gewusst, erzählt Elly Endres, "und des war ich". Rudi Schönbrunn erinnert sich jedoch, dass seine Familie in Schönbrunn wohnt und er weiß, dass er in Staffelstein geboren ist. Im Alter von 30 Jahren forscht er einmal nach, jedoch nicht besonders energisch, so dass seine Suche vor Ort im Sande verläuft.
Dass die Suche der Familie nach Rudi keinen Erfolg haben konnte, ist inzwischen erklärbar: Rudi Schönbrunn hatte keinen festen Wohnsitz in Deutschland, als Monteur war er fast immer im Ausland unterwegs.