Von hinten machte der starke Marathon-Läufer Aernouts Tempo und auch der Ex-Radprofi Cameron Wurf, der eine Rekordzeit über die Radstrecke angekündigt hatte, kam bis auf 3:43 Minuten heran. Dreitz fuhr währendessen ruhig seinen Stiefel herunter, stilistisch hervorragend auf dem Rad, während seine beiden Begleiter unruhig mit dem Kopf beziehungsweise mit dem Oberkörper wackelnd in die Pedale traten.
Auf der zweiten 90-Kilometer-Runde fuhr Dreitz als Führender den Solarer Berg hinauf. "Das war eines meiner Ziele", sagte er hinterher, "ein Riesenhighlight. Das sind Momente, wofür man als Sportler lebt", beschrieb er seine Gefühle bei der Fahrt durch das Spalier der tobenden Fans. Da inzwischen auch die Amateure auf der Strecke waren, gestaltete sich das Überholen durch die Menge als sehr schwierig. So steckte etwa Potts am Solarer Berg im Verkehr und musste den Rückstand auf 1:41 Minuten anwachsen lassen.
Zwischenzeitlich gingen Böcherer und Potts in Führung, doch nach der letzten Verpflegungsstelle attackierte der Michelauer, obwohl er bis dahin bereits einen Schnitt von 42 Kilometern pro Stunde aufwies. Potts musste abreißen lassen. Selbst Verfolger Wurf verlor eine Minute auf das deutsche Andi-Duo, das gemeinsam zum zweiten Wechsel kam.
Zwei unterschiedliche Socken
Hier sah man, dass Dreitz nichts dem Zufall überlässt. Um die fußgerecht geschnittenen Socken nicht zu verwechseln, zog er sich rechts einen weißen und links einen schwarzen Socken an. Potts schnürte mit dreieinhalb Minuten Rückstand seine Laufschuhe. Weitere zwei Minuten dahinter gingen Wurf und Svensson auf die Marathon-Strecke, die über viele Kilometer eintönig am Main-Donau-Kanal entlangführte. Der Roth-Sieger 2017, Aernouts, hatte über neun Minuten Rückstand, gilt aber als starker Läufer.
Böcherer und Dreitz, beide mit einer Marathon-Zeit von rund 2:50 Stunden gleich eingeschätzt, drückten sofort aufs Tempo. Als Böcherer kurz im Gebüsch austreten musste, ging der Oberfranke in Führung, die er bis zum Ziel nicht mehr abgab. Nach acht Kilometern betrug sein Vorsprung eineinhalb Minuten auf den 36-jährigen Freiburger.
Zeitweise machte ein strammer Gegenwind den Läufern zu schaffen. Böcherer, der sich im Höhentrainingslager in St. Moritz vorbereitet hatte, brach zur Hälfte des Marathons ein und musste Svensson und Wurf passieren lassen. Vorne spulte Dreitz mit seinem kräftigen Schritt Kilometer um Kilometer ab, ohne den mit kurzen Schritten, aber mit hoher Frequenz laufenden Schweden herankommen zu lassen. Nach 25 Kilometern hatte selbst der im Marathon gefürchtete Aernouts nur sechs Sekunden auf Dreitz aufgeholt.
Experte Lothar Leder, mehrfacher Sieger in Roth und Hawaii, beschrieb diese Phase so: "Andi bekam bei 25 Kilometern den Euphorieschub und ließ sich den Sieg nicht mehr nehmen." Und so war es auch. Dreitz ließ Svensson auf den letzten 15 Kilometern nicht mehr als auf drei Minuten herankommen und kontrollierte das Rennen von vorne. Böcherer, der immer weiter zurückfiel, kam Dreitz auf der letzten Schleife von Roth nach Büchenbach und zurück ins Ziel entgegen und zeigte Sportsgeist.
Große Geste von Böcherer
Der Freiburger blieb fast stehen und zog den Hut vor dem Michelauer. Der lief danach das Rennen nach Hause, auch wenn er hinterher gestand: "Der Anstieg nach Büchenbach und ich werden keine Freunde mehr."
Einige 100 Meter vor dem Zieleinlauf in Roth zog Dreitz - ganz der Profi - sein Trikot zu, um seine Sponsoren auch kameragerecht zu präsentieren, und lief strahlend über den roten Teppich ins Ziel ein. Dort erwartete ihn schon seine Freundin Isabel Gillain. "Andi hat sich den Sieg so sehr gewünscht. Ich habe bis zum Schluss gehofft, dass es alles klappt", sagte die Hobby-Triathletin, die Dreitz beim Schwimmtraining in Bayreuth kennengelernt hatte. In Roth versorgte sie mit Trainer Rainer Skutschik und weiteren Helfern den späteren Sieger an den Verpflegungsstationen mit den vorbereiteten Energie-Gels und Getränken.
Nun geht es für Dreitz und seine Freundin in den Urlaub nach Norwegen. Beim Reiseziel hatte sich Isabel durchgesetzt. Der Michelauer freut sich neben dem Urlaub erst einmal auf ein fränkisches Schäuferla. Nach einer Pause wird sich der 30-Jährige auf die 70.3-Weltmeisterschaft am 7. September in Nizza vorbereiten. Danach steht noch der Höhepunkt am 12. Oktober in Hawaii bevor, wo Dreitz im Vorjahr Platz 13 belegte. Nach dem Sieg gestern dürfte er dort nicht mehr als Außenseiter gelten.