Einigung vor dem Richter

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Ulrich Wenzel mit seiner Verteidigerin Katja-Bernadette Günther vor dem Gebäude des Coburger Arbeitsgerichtes. Im Prozess zwischen ihm und der Firma Moll gab es einen Vergleich. Wenzel verlässt das Unternehmen zum 31. März kommenden Jahres. Foto: Tobias Kindermann
Ulrich Wenzel mit seiner Verteidigerin Katja-Bernadette Günther vor dem Gebäude des Coburger Arbeitsgerichtes. Im Prozess zwischen ihm und der Firma Moll gab es einen Vergleich. Wenzel verlässt das Unternehmen zum 31. März kommenden Jahres. Foto: Tobias Kindermann
Die Firma Moll lag in Coburg im Streit mit ihrem Betriebsratsvorsitzenden.
Die Firma Moll lag in Coburg im Streit mit ihrem Betriebsratsvorsitzenden.
 

Vor dem Arbeitsgericht in Coburg standen sich Betriebsratsvorsitzender Ulrich Wenzel und sein Arbeitgeber Moll-Batterien gegenüber. Es ging um Abmahnungen - am Ende gab es einen Vergleich. Der wohl auch die einzige Lösung für beide Seiten war.


Arbeitsrichter Ronny Heinkel hält sich an diesem Donnerstag um 12.30 Uhr nicht lange mit Vorreden auf. Er macht dort weiter, wo man schon im Gütetermin gestanden war. Wie könnte denn ein Vergleich aussehen, wenn Ulrich Wenzel das Unternehmen verlässt?
Denn um dieses Thema war es unter anderem in einem ersten Aufeinandertreffen vor dem Arbeitsgericht gegangen, das erfolglos endete. Heute soll nun die Verhandlung in der Hauptsache anstehen: Hat die Firma Moll den Betriebsratsvorsitzenden zu Recht wegen Verfehlungen in seiner Rolle als Arbeitnehmer sechs Mal abgemahnt oder nicht? Es geht um nicht oder verspätet abgegebene Krankschreibungen - führte Moll an. Und letztendlich will man auf diesem Fundament eine Kündigung aussprechen, deren Einleitung am 27. November verhandelt werden sollte.
Soweit wird es nicht kommen. Wenzel wird das Unternehmen zum 31. März kommenden Jahres einvernehmlich verlassen, mit einer Abfindung.
So sieht es ein Vergleich vor, der rechtskräftig wird, wenn beide Parteien nicht bis Ende des Monats widersprechen. Einvernehmlich ist eine juristische Formulierung, denn einvernehmlich geht es auch an diesem Tag vor der 4. Kammer des Arbeitsgerichtes Bamberg, Kammer Coburg, nicht zu. Während ein Gericht in der Frage zwischen Schuld und Unschuld keinen Spielraum hat, liegen die Dinge vor dem Arbeitsgericht etwas anders. Im Prinzip kann der Kläger zu jedem Zeitpunkt das Verfahren beenden, wenn sich die Dinge für ihn anders geregelt haben. Einfach gesagt: Das Gericht muss nicht entscheiden, ob die Abmahnungen berechtigt waren. Wenn man sich anders einigt. Und dafür gibt es den Begriff Vergleich.
Der Zuschauerraum war mit rund 20 Personen, überwiegend gewerkschaftsnahen Männern und Frauen, ungewöhnlich gut gefüllt. Darunter auch Norbert Jungkunz von der katholischen Betriebsseelsorge in Bamberg. Er bringt es auf den Punkt: "Ein Urteil müsste festlegen, wie die Beteiligten künftig miteinander umgehen. Und das ist nicht möglich."
Es geht also eigentlich nicht um das, was war, sondern das, was sein wird. Selbst wenn Wenzel sich in einem juristischen Verfahren durchsetzen kann, nützt ihm dieser Sieg persönlich etwas?
Nur kurz flackern an diesem Tag die Emotionen auf. Wenzel beklagt, dass er wenig Hoffnung habe, wieder gesund zu werden, wenn diese "Hetzjagd" gegen ihn im Betrieb nicht aufhöre. Wenzel ist wegen Depressionen krankgeschrieben - und man muss kein Arzt sein, um zu sagen, dass so eine Situation die Gesundung verzögert.

Erregter Konter

Und Bernd Schmitt von der Personalabteilung bei Moll kontert ebenso erregt: "Die Hetzjagd findet außerhalb statt, nicht hier", womit er wohl auch darauf anspielen könnte, dass die IG Metall den Fall Wenzel zum Anlass nahm, am Montag, 7. Oktober, zu einer Pressekonferenz zu laden, in der es auch allgemein um den Umgang und die Zustände im Unternehmen ging.
Wenzel sei der erste freigestellte Betriebsrat im Unternehmen gewesen - und er habe eine Art von Betriebsratsarbeit eingeführt, wie es sie vorher im Unternehmen nicht gegeben habe, stärkte Jürgen Apfel, erster Bevollmächtigter der IG Metall, Ulrich Wenzel dort den Rücken.
In der Tat scheint es Probleme zwischen Betriebsrat, Gewerkschaft und Moll gegeben zu haben, vor allen durch einen Produktionsleiter ab dem Jahr 2010, der nun nicht mehr im Unternehmen ist. Firmenchefin Gertrud Moll-Möhrstedt formuliert es etwas später am selben Montag so, dass wohl einige mit der Wesensart des Mannes nicht so ganz klargekommen seien, was sich zumindest nicht nach einem grundsätzlichen Dementi anhört. Jetzt, das bestreitet auch der Betriebsrat nicht, laufe es besser. Moll gab auch zu bedenken, dass für Wenzel die selben Regeln als Arbeitnehmer gelten würden wie für andere im Betrieb - und darum gehe es im Verfahren, nicht um seine Rolle als Betriebsratsvorsitzender.
Die Kritik der Gewerkschaft an Moll ist die eine Seite - und nicht die, die an diesem Tag zur Debatte steht, aber doch mit hineinstrahlt. Heinkel drängt etwas, vor allem die Arbeitnehmerseite, die zuletzt ein Angebot von 30 000 Euro gemacht hatte - als Gesamtkostenpaket für die Trennung von Wenzel. "Das ist bei vergleichbaren Arbeitnehmern durchaus im Rahmen des Üblichen", wie Rechtsanwalt Jürgen Rödel, der Moll vertritt, geltend machen will, aber dabei schnell vom Richter zu hören bekommt, dass diese Maßstäbe hier nicht angelegt werden dürften. Und er lässt auch durchblicken, dass Moll ein recht hohes Risiko einginge, wenn man den Rechtsstreit fortsetze, der sich zudem über Jahre hinweg ziehen könnte - bis vor das Landesarbeitsgericht: "Noch haben Sie die sechs Abmahnungen." Das klingt nicht so, als sei Heinkel optimistisch, dass alle Bestand haben könnten.
50 000 Euro brutto plus eine bezahlte Freistellung bis zum März 2015 ist die Verhandlungsposition, mit der Katja-Bernadette Günther als Rechtsbeistand von Ulrich Wenzel antritt - angesichts der besonderen Umstände, dass es um einen Betriebsratsvorsitzenden gehe, eine übliche Summe, betont sie. Das wären insgesamt 90 000 Euro brutto geworden.

Eineinhalb Stunden Verhandlung

Nun wird verhandelt, von den eineinhalb Stunden, die das Verfahren dauert, verbringen Gericht und die Parteien den größeren Teil außerhalb des Saales. Das Gericht, um sich zu beraten, Kläger und Beklagte, um sich zu besprechen - erst einzeln, dann auch untereinander.
Schließlich kehren alle vier Beteiligten mit gelösten Gesichtern in den Saal zurück - wo inzwischen Richter Heinkel kurz eine weitere Verhandlung abgewickelt hatte: Eine Putzfrau klagte erfolgreich gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber auf die Zahlung von drei Monatsgehältern, insgesamt 1350 Euro.
Der Vergleich kommt Moll nicht so teuer, wie es sich auf den ersten Blick liest, denn so lange Wenzel im Krankenstand ist, muss ihn die Firma nicht bezahlen. Sollte er vor April 2014 wieder gesund werden, wird sein Lohn mit der Abfindung von 50 000 Euro brutto verrechnet, 15 000 Euro netto bekommt Wenzel schon früher als Vorschuss ausbezahlt. Auch sein Arbeitszeugnis muss einem Gut bis Sehr gut entsprechen - und Wenzel darf eine Formulierung einreichen, die Moll nur mit triftigen Begründungen abändern kann - was aber auch im Sinne des Unternehmens sein kann, damit es nicht zu einem Streit oder gar Prozess kommt.
Gab es nun eine gefühlte Gerechtigkeit für Wenzel? Auch die findet ihren Platz, als Katja-Bernadette Günther beim Ausformulieren des Vergleichs fast beiläufig eine Anmerkung macht: Die Abmahnungen könne man doch fallen lassen - auch als Geste gegenüber dem Arbeitnehmer, damit sie im Zeugnis keine Rolle mehr spielen. Ein Raunen geht durch das Publikum, Bernd Schmitt lenkt ein und stimmt zu, wie überhaupt die beiden Parteien am Ende zügig und ohne Spitzen gegen den anderen den Prozess abwickeln.
Moll hat ein komplexes Verfahren umgangen, Ulrich Wenzel kann sich bestätigt fühlen, da die Vorwürfe gegen ihn vom Tisch sind. Das Unternehmen hat sich im Vergleich auf ihn zubewegt, wird sich Moll anrechnen lassen. Der Frieden heißt aber auch, dass es in diesem Fall keinen Frieden geben wird. Katja-Bernadette Günther sagt: "Es ist immer traurig, wenn ein Arbeitsverhältnis nicht gerettet werden kann." Doch Ulrich Wenzel wirkt nach dem Prozess erleichtert: Nein, er wolle eigentlich keinen Fuß mehr in den Betrieb setzen. Aber er habe reinen Tisch gemacht. Und könne nun an einen Neuanfang gehen.