Vor 100 Jahren wichen Bayerns Regierung und Landtag wegen der Unruhen der Räterepublik ins ruhige Bamberg aus. Der Staffelberg war für Abgeordnete, Geheimräte und Sekretärinnen ein beliebtes Ausflugsziel.
Als ein vom Rätekongress im Februar 1919 eingesetzter Zentralrat die Macht in München übernahm, gaben zunächst Schriftsteller und Literaten wie Ernst Toller und Erich Mühsam den Ton an. Doch der Umgang in München wurde bald schon rauer. Der aus der Revolution im Königreich Bayern am 8. November 1918 hervorgegangene und von Kurt Eisner (USPD - Unabhängige Sozialdemokraten) ausgerufene "Freistaat" geriet in die Krise, nachdem Eisner, der erste Ministerpräsident der bayerischen Republik, am 21. Februar 1919 ermordet worden war. Die Verhältnisse in der Landeshauptstadt wurden sehr instabil. Der Landtag wählte in seiner Sitzung am 17. März eine SPD-geführte Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Johannes Hoffmann (MSPD - Mehrheitssozialdemokraten). Weiteren Sitzungen des Landtags widersetzte sich der Zentralrat und rief am 7. April die Räterepublik aus. Regierung und Landtag flohen daraufhin nach Bamberg.
Auf Wikipedia wird das Ende dieser Republik so geschildert: "Die Münchner Räterepublik hatte sich von Anfang an paramilitärischer Angriffe der von Bamberg aus mobilisierten Freikorpsverbände zu erwehren, die wenig später von regulären, durch die Reichsregierung in Marsch gesetzten Armee-Einheiten verstärkt wurden. Bis zum 2. Mai 1919 unterlag die Räterepublik schließlich deren militärischer Übermacht. Rund 2000 vermeintliche oder tatsächliche Anhänger der Räterepublik wurden in den nachfolgenden Wochen mit Haftstrafen sanktioniert, von Standgerichten zum Tode verurteilt oder unmittelbar ermordet."
Regierungssitz Bamberg
Die Neue Residenz in Bamberg war während des fünfmonatigen Exils der Sitz der bayerischen Regierung. Die Sitzung des Landtags, in der die neue bayerische Verfassung beschlossen wurde, fand im Harmoniesaal statt. Dort kam der Landtag vom 7. April bis 17. August zusammen. Am 14. August wurde die neue bayerische Verfassung - auch Bamberger Verfassung genannt - unterschrieben; sie trat am 15. September in Kraft.
So viel zu den politischen Rahmenbedingungen im Frühjahr und Sommer 1919. Während dieser 133 Tage, in denen Bayern von Bamberg aus regiert wurde, hatten Minister, Abgeordnete und Landtagspersonal auch Freizeit. Sie unternahmen Ausflüge ins Umland - unter anderem zum Staffelberg.
Fremdenbücher geben Auskunft
Ernst Paul Wagner hat die 23 Fremdenbücher aus der Zeit zwischen 1881 und 1939 ausgewertet, die in der Staffelbergklause für Besucher auslagen. Vor etlichen Jahren schon hat der heute 87-Jährige akribisch aufgelistet, welche Prominenten von Richard Strauss bis Ernst Thälmann den Berg besuchten. "Der Staffelberg wurde bekannt, als Scheffels Frankenlied durch Valentin Becker vertont wurde und somit in Akademikerkreisen bekannt wurde", sagt der Heimatforscher, der heute in Bamberg lebt. Daraufhin habe der Tourismus am Staffelberg begonnen. In seiner Zeit als Direktor des Staffelsteiner Milchhofs erstieg Wagner zwischen 1973 und 1986 den Staffelberg 1819 Mal, wie er aus seinen Aufzeichnungen ablesen kann. Der Berg war immer etwas Besonderes für ihn.
Schwer Lesbares entziffert
So wundert es nicht, dass Ernst Paul Wagner die Fremdenbücher mit großer Hingabe studierte und die oft schwer lesbaren oder hastig hingekritzelten Einträge entzifferte. Das Sütterlin transskribierte er zunächst handschriftlich, dann mit der Schreibmaschine und schließlich mit dem Computer, so dass die Unterschriften und Notate für heutige Normalbürger lesbar sind. Mehrere Vorträge beim Geschichtsverein CHW (Colloquium Historicum Wirsbergense) hat er in den vergangenen Jahren über diese Bücher gehalten. Nun, zum 100. Jubiläum der Bayerischen Verfassung, durchforstete er seine Aufzeichnungen unter dem Aspekt, Mitglieder der nach Bamberg geflüchteten Regierung und des Landtags zu entdecken. Etliche Abgeordnete und Landtagsmitarbeiter sind wohl mit der Eisenbahn nach Staffelstein gefahren und vom Bahnhof aus auf den Berg gewandert.
Es muss eine illustres Völkchen gewesen sein, das einst auf den Berg stieg, denn die Fremdenbücher sind durch alle Zeiten hinweg mit Zeichnungen und Karikaturen illustriert.