Demenz begegnen: Vergessen ist nicht das Ende
Autor: Stephan Großmann
Redwitz, Freitag, 22. März 2019
Die Betreuung von Menschen mit Demenz stellt unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Das Awo-Sozialzentrum im oberfränkischen Redwitz setzt auf spezielle beschützende Wohngruppen. Wir haben uns die Einrichtung näher angeschaut.
Wenn der Luftballon über den Tisch schwebt, huscht ein Lächeln über Willi J.s Gesicht. Langsam, aber gezielt stupst er den federleichten Ball an, nach einigem Hin und Her landet der auf dem Boden. Macht nichts. Eine Seniorin am Fenster beugt sich hinab und bringt ihn zurück ins Spiel. Der 80-jährige J. nippt an seinem Kaffee. Weiter geht's. Alle Senioren in der Runde wirken nun um einiges frischer als noch beim Frühstück. Fast aufgeweckt. Für einen kurzen Moment gerät die Gemeinsamkeit der Gruppe in Vergessenheit: ihre Diagnose Demenz.
Gundi Haselmann ist an diesem Morgen zufrieden mit ihren Schützlingen. Die Betreuungsassistentin kümmert sich für einige Stunden am Tag um die Menschen der beschützenden Wohngruppe des Awo-Sozialzentrums in Redwitz im Landkreis Lichtenfels. Sie liest mit ihnen, leitet Gedächtnis-Spiele an, hört ihnen beim Spaziergang durch die Frühlingssonne zu. Pflege gehört nicht zu ihren Aufgaben, darum kümmern sich andere.
Einrichtungen trotzen Personalmangel
Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Die Realität stationärer Pflege sieht oft anders aus, wie Berichte immer wieder offenlegen. Hauptproblem ist der Personalmangel. Der führt zu Stress, darunter leidet die Qualität. Stets zulasten der Gepflegten. Das weiß auch Steffen Coburger. Der Leiter der im September 2018 eröffneten Einrichtung in Redwitz möchte es anders machen, besser. Trotz aller Herausforderungen. Auffällig ist er schon von außen, der wuchtige Bau am südlichen Rand des 2000-Seelen-Ortes. Auffällig neu. Dieser erste Eindruck bestätigt sich beim Rundgang durchs Gebäude. Große Fenster werfen viel Tageslicht auf die moderne Ausstattung und die in warmen Farben gestrichenen Wände. Steffen Coburger ist stolz. "Pflegeheim möchte ich es nicht nennen. Wohngruppe trifft es eher."
Durchlässig für alle Bedarfslagen soll es sein, das neue Sozialzentrum. Die Awo beherbergt dort neben ihrem ambulanten Dienst auch Tagespflege, betreute Wohnformen und stationäre Pflege. Letztere bietet Platz für 58 Menschen, aufgeteilt in vier Wohngruppen. Eine richtet den Blick speziell auf Demenz. "Denn Menschen mit diesem Krankheitsbild bedürfen besonderer Betreuung", so Coburger.
Herzstück dieses Bereiches bildet eine offene Wohnküche, in der die Bewohner gemeinsam kochen
und essen. Funkarmbänder verhindern unbemerkte Alleingänge und aufgeklebte Türfolien bilden optische Barrieren: Aus der Tür wird ein Bücherschrank. "Eingesperrt ist aber niemand", sagt Coburger. Wer raus will, kann zum Beispiel im Terrassengarten spazieren gehen.