Der Wilde Westen fängt gleich in Spitzeichen bei Ködnitz an. Jedenfalls dann, wenn Thomas Vogt zum Karl-May-Fest ruft und Kenner der Winnetou-Filme aus den 1960er-Jahren mit originalgetreuen Kostümen und Waffen anreiten.
Schon die Auffahrt zum Grundstück ist von einem ungewöhnlichen Begleiter gesäumt: Ein Schild in fremder Sprache, Serbokroatisch, begrüßt den Gast. "Ne prilazite" steht da. Übersetzt: Bloß nicht weitergehen. Ein Totenkopf verweist auf Gefahr. Genauer gesagt: auf Minen. Sprengfallen in Spitzeichen? Thomas Vogt schüttelt den Kopf. Ein Mitbringsel aus Kroatien, aber nicht von irgendwoher. Das Schild warnte einst unterhalb des Tulove Grede vor verbuddelten Todbringern aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg. Mitten im Filmset der Karl-May-Filme aus den 1960er Jahren.
Hier lang geht's zur Sterbeszene Ein Stück die Auffahrt hoch stehen Thomas Vogt, Herbert Pfaffstätter und Wolfram Ball um einen Tisch mit Fotos einer Felsformation: jener Tulove Grede, der steilste Felsenzahn im Mali-Alan-Massiv nahe dem kroatischen Zadar.
"Da ist der Pfad, hier spielte sich Winnetous Sterbeszene ab", sagt Pfaffstätter mit hörbar niederösterreichischem Zungenschlag und deutet auf eine Schneise in der Steinwand, die Fransen am Old-Shatterhand-Kostüm wackeln. Jüngst kehrten er und Ehefrau Christa von einer Reise an die Originalschauplätze zurück.
Aus Christa wird Ribanna Jetzt breiten sie beim "Karl-May-Fest" in Spitzeichen die Bilder aus. Christa Pfaffstätter ist eigentlich eine blonde Frau mit Brille. Bis sie zu Ribanna wird, Winnetous Schwester. Dann trägt sie das indianische Pendant zu Angela Merkel, also eine Art Hosenanzug (ohne Knopfreihen) in Hirschleder, eine schwarze Zopf-Perücke und Mokassins. Auf der Stirn ein Paillettenband, das dem Kostüm aus den Filmen täuschend echt nachempfunden ist.
Pfaffstätters Freund und May-Fan Hans Wedl hat in monatelanger Arbeit und nach akribischem Studium von Setfotos die Cowboy-und-Indianer-Gewänder gefertigt. "Da ist jede Naht originalgetreu. Eine irre Sache."
600 Kilometer haben er und seine Frau im Auto zurückgelegt, um bei der Karl-May-Party von Thomas Vogt und seiner Lebensgefährtin Anja Albrecht in Erinnerung zu schwelgen an die Filme von Regisseur Harald Reinl und Produzent Horst Wendlandt, die auch in Österreich den Kult um einen Apachenhäuptling und seinen "weißen Bruder" begründeten. Die Filmmusik aus der Feder von Martin Böttcher schallt aus Boxen über den Garten, zwischen Bierfass und Grill stehen die Filmplakate mit den leicht verblichenen Konterfeis der Helden aus mancher Jugend.
Wer sich hier in Spitzeichen trifft, der begnügt sich nicht mit einem Videoabend: Der ist das, was man Hardcore-Fan nennt.
Der sich nicht nur zum Filmgucken verkleidet, sondern an den Drehorten die Szenen aus den Winnetou-Klassikern nachstellt. Der nach der Stelle sucht, wo einst Häuptling Klekih Petra auf einem Baum aufgebahrt wurde. "Wir haben auf unserer Reise immerhin noch das Fundament gefunden, auf dem die Filmleute das Requisit aufrichteten", sagt Christa/Ribanna. Sie und ihr Mann übernachten in Crvena Luka ("Rote Bucht") in jenem Bungalow, der einst Lex Barker während der Dreharbeiten als Unterkunft diente.
Sie haben auch das Tal besucht, in dem der deutsche Auswanderer Baumann in "Unter Geiern" seine Ranch hatte. "Heute ist dort eine wilde Mülldeponie." Einem glühenden Verehrer wie Herbert Pfaffstätter blutet bei einem solchen Anblick das Herz. "Die Kroaten merken erst langsam, dass es europaweit einen Kult gibt um diese Filme und die Orte.
Leider ist aber schon vieles unwiederbringlich verloren gegangen.
Ribanna-Double für Pierre Brice Nicht aber die Begeisterung für Winnetou. Und dessen Darsteller Pierre Brice. 2010 gelingt es Pfaffstätters und ihren Gleichgesinnten, den Franzosen, dessen Namen auf ewig mit dem Häuptling der Apachen verbunden sein wird, auf ein Treffen in die Westernstadt "Pullman City" im Harz einzuladen. Stolze 80 Jahre zählte der Schauspieler damals schon. "Aber dieser Legende persönlich zu begegnen, das ist schon krass." Christa Pfaffstätter rollt mit den Augen.
Ein dickes Fotoheft haben sie und ihr Mann mitgebracht, begehrtes Anschauungsobjekt auch in Spitzeichen.
Und Beleg, dass die Österreicherin in ihrem Kostüm bei der nachgestellten Begrüßung zwischen dem Häuptling und der Häuptlingstochter gewiss keine schlechtere Figur machte als damals die "echte" Ribanna Karin Dor, wie auch Thomas Vogt bestätigt.
Der 45-Jährige selber war jüngst wieder in Kroatien. Vor elf Jahren machte er sich das erste Mal auf den Weg ins frühere Jugoslawien. "Ich musste unbedingt die Schauplätze live sehen." Mit einigen Freunden drehte er später dort auch mit seiner eigenen Alan-Film-Produktion einen Winnetou-Streifen. "Damals war noch alles vermint." Ein Führer namens Tomislav, der selber im Bürgerkrieg kämpfte, führte den Deutschen durchs gefährliche Terrain. Vorbei an den rot-weißen Schildern.
"Wir dürften mit die Ersten gewesen sein, die nach Jahren der Kriegswirren wieder am Tulove Grede waren und über jene ,grüne Wiese‘ streiften, über die in ,Winnetou 3‘ die Kavallerie zum Schutz der Apachen anritt." Aber trotz aller Räumaktionen: So ganz gewiss kann man auch heute nicht sein, ob nicht doch noch was im Boden verscharrt ist. "Aber eines steht fest", sagt Vogt lächelnd: "Es ist noch kein Karl-May-Fan in Kroatien umgekommen."