Vor 30 Jahren war Richard Bosmann aus Ottawa/Kanada als Sprachschüler zum ersten Mal in Kulmbach. Er ist seitdem etliche Male wiedergekommen. Als er nun mit seinen Kulmbacher Freunden Silvester feierte, erwartete ihn eine ganz besondere Überraschung.
Der Text sitzt immer noch: Kaum haben seine Freunde ihm das weiße Engelsgewand umgehängt, die Flügelchen auf den Rücken geschnallt und den Heiligenschein aufgesetzt, sorgt Richard Bosman mit einem lautstarken "Luja sog i" für schallendes Gelächter. Keine Frage: 30 Jahre nach der Uraufführung ist der Kanadier wiederum ein höchst überzeugender "Münchner im Himmel".
Der Auftritt Bosmans in der kurzen Szene von Ludwig Thoma ist Höhepunkt einer Silvesterfeier im Kauernburger Schützenheim, in der es einigen alten Freunden nicht nur darum geht, den Jahreswechsel gemeinsam zu begehen. Sie feiern auch das 30-jährige Bestehen keineswegs alltäglichen Freundschaft.
Im Mittelpunkt: Richard Bosman, 49 Jahre alt, und zu Hause in Ottawa in Kanada. Außerdem die Familie Krauß aus dem Kulmbacher Ortsteil Aichig.
Richard und die "Krauß-Family", wie er sie nennt, haben sich im Sommer 1983 kennen gelernt.
Land und Leute kennenlernen Der junge Kanadier kam damals mit einer Schülergruppe nach Kulmbach, um Deutsch zu lernen. Organisiert hatte die Sprachferien das Internationale Sprach- und Begegnungszentrum Kulmbach (ISB). Seit Anfang der siebziger Jahre waren auf Vermittlung des ISB immer wieder Schülergruppen aus ganz Europa, aber auch aus USA und Kanada in Kulmbach zu Gast. Gründer und Motor des ISB war Bernd Titus, seinerzeit Lehrer am Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium, Stadtrat und zeitweilig dritter Bürgermeister der Stadt.
Ihm war es stets ein Anliegen, jungen Leuten nicht nur fremde Sprachen, sondern auch die Kultur anderer Länder nahe zu bringen.
Deswegen gehörte es zu den Grundsätzen des ISB, die Sprachschüler stets in Gastfamilien einzuquartieren: Besser ließen sich Land, Leute und Lebensart kaum kennenlernen.
Richard Bosman war während des dreiwöchigen Sprachkurses bei der Familie Krauß untergebracht. Ein Glücksfall, wie alle Beteiligten heute noch überzeugend versichern. Rudolf und Bernhard Krauß und ihre Schwester Erika (heute Lutz), alle etwa im gleichen Alter wie ihr Gast aus Übersee, bezogen Richard in alle Aktivitäten mit ihren Freunden ein: Altstadtfest, Gregori, Blaicher Kerwa - die Eindrücke, die der 19-jährige sammelte, müssen so nachhaltig gewesen sein, dass ihm noch heute, 30 Jahre später, das "Prost, prost Kameraden" nahezu akzentfrei über die Lippen kommt.
Unvergessliches Theaterstück Am Ende des Sprachkurses reisten Richard und seine
Mitschüler wieder zurück nach Kanada. Aber er blieb mit seinen neuen Kulmbacher Freunden in Verbindung. Man besuchte sich gegenseitig. Beim letzten Besuch brachte Richard seine Frau Debbie mit. Die begleitete ihn auch beim Jubiläumsbesuch.
Eine gemeinsame Silvesterfeier war geplant. Was die Bosmans nicht wussten: Auf dem Programm der Feier stand auch ein kurzes Theaterstück. Zu gerne erinnerten sich die Kulmbacher nämlich an den Abschiedsabend vor 30 Jahren, als Richard in die Rolle des "Münchners im Himmel" geschlüpft war und dem Unmut des Dienstmannes Aloisius über das Ansinnen, Halleluja zu singen und zu frohlocken, so beherzt Ausdruck verliehen hatte, dass nicht wenige im Publikum Tränen lachten.
Die kurze Szene sollte nun wiederholt werden, so der Plan. In der Hauptrolle: Natürlich Richard Bosman.
Der ahnte nichts, kombinierte beim Auftritt des ersten Engels allerdings haarscharf: "Oh my god - Aloisius!" - und zeigte, dass er auch 30 Jahre nach dem ersten Auftritt noch frohlocken kann wie einst.
Die Aktion rührte den Gast aus Kanada zu Tränen. Die Zeit in Kulmbach, so versicherte er, sei eine der besten seines Lebens gewesen - und die Kulmbacher Freunde trotz der großen Entfernung über mehrere tausend Kilometer die besten, die er habe.
ISB besteht nicht mehr Das ISB gibt es längst nicht mehr, auch wenn es offiziell nie aufgelöst wurde. Bernd Titus zog sich altersbedingt aus der Organisation zurück. In den Herkunftsländern der jungen Leute war das Interesse an der deutschen Sprache zeitweilig gering. So schliefen die Aktivitäten allmählich ein.
Auch die einstigen Deutschlehrer, die die Kurse unterrichteten, haben längst andere Betätigungsfelder gefunden. Dass es ausgerechnet seine ehemalige Deutschlehrerin Katrin Lauterbach war, die nun als BR-Redakteurin Katrin Geyer über den Jubiläumsbesuch berichtete - das freut Richard Bosman übrigens ganz besonders.