So tickt der Brandstifter von Oberzettlitz

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Der wegen schwerer Brandstiftung und versuchten Mords in vier Fällen Anklagte aus Bad Kissingen - rechts daneben sein Verteidiger, Rechtsanwalt Johannes Driendl aus Bayreuth - erhebt sich, als das Gericht den Sitzungssaal betritt. Foto: Stephan Tiroch
Der wegen schwerer Brandstiftung und versuchten Mords in vier Fällen Anklagte aus Bad Kissingen - rechts daneben sein Verteidiger, Rechtsanwalt Johannes Driendl aus Bayreuth - erhebt sich, als das Gericht den Sitzungssaal betritt. Foto: Stephan Tiroch

Ein Gutachter stellt eine verminderte Schuldfähigkeit fest und steigt tief ein in die Psyche des Angeklagten, der in Oberzettlitz Feuer gelegt hat. Die Freundin weiß nicht, was in dem Mann aus Bad Kissingen vorgegangen ist.

Überführen muss die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Bayreuth den Angeklagten nicht mehr. Daran, dass der 65-Jährige aus Bad Kissingen in der Nacht zum 21. Januar in Oberzettlitz Feuer gelegt hat, besteht kein Zweifel. Er hat zwar kein Geständnis abgelegt, streitet aber die schwere Brandstiftung auch nicht ab, so sein Verteidiger, Rechtsanwalt Johannes Driendl aus Bayreuth.

Anders beim Vorwurf des versuchten Mordes in vier Fällen. "Ich war nicht in der Lage einzuschätzen, was ich tue", beteuert der Angeklagte am Dienstag.

Daher kommt dem Gutachten des Sachverständigen große Bedeutung zu. Auf 87 Seiten erklärt der stellvertretende Direktor der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen, Thomas Wenske, wie der Brandstifter tickt.


Armut und Hunger

Der 65-Jährige sei in Armut aufgewachsen, habe unter einem gewalttätigen Vater ("Knacki und Alkoholiker") gelitten, in der Baracke gewohnt und Hunger erlebt, so Wenske. Daher habe es ihm sehr viel bedeutet, den Aufstieg zu einem erfolgreichen Geschäftsmann geschafft zu haben.

Seine Firma mit 65 Beschäftigten arbeitet für eine Fleisch- und Wurstfabrik in Hammelburg, die 2008 die Verträge kündigt. Deren Geschäftsführer, der mit seiner Familie in Oberzettlitz bei Kulmbach lebt, sieht er als Versucher seines Desasters und seines enormen sozialen Abstiegs. Ihm will er es heimzahlen. Bei sich selbst - weil er möglicherweise zu hohe Lohnforderungen gestellt hat - sucht er die Schuld nicht.

Danach kommt der Mann nie mehr auf die Beine. Seine Ehe geht in die Brüche, finanzielle und gesundheitliche Probleme kommen dazu. Laut Gutachter tritt im Jahr 2014 eine Zuspitzung der psychosozialen Umstände ein. Die Scheidung steht bevor, dazu Schulden und eine reduzierte Rente, mit der er sich die schöne Wohnung und sein Auto nicht mehr leisten kann. Minderwertigkeitsgefühle stellen sich ein. Er greift zur Flasche und trinkt immer mehr.


Keinen Ausweg gesehen

Wenske diagnostiziert beim Angeklagten eine "deutliche depressive Episode". Er habe sich als Opfer gefühlt und habe keinen Ausweg gesehen. Mit seiner Freundin zu reden, die von den Problemen nichts weiß, sei für ihn nicht möglich gewesen. Sonst wäre auch seine neue heile Welt zusammengebrochen.

Dass es über sechs Jahre nach dem Absturz zu der "dramatischen Straftat" gekommen ist, beweist nach Ansicht des Sachverständigen, "wie tiefgreifend es in ihm gearbeitet hat". Er, "der nichts mehr hat", fasst den Plan, das Haus von dem anzuzünden, "der noch alles hat". Er besorgt zwei Kanister und füllt sie mit Benzin. Und fährt am nächsten Tag los nach Oberzettlitz bei Kulmbach.

Nach der Tat will sich der Mann umbringen. Der Psychiater hat keinen Zweifel, dass er zum Suizid fest entschlossen gewesen ist. Der Abschiedsbrief sei authentisch und nicht - wie so oft - ein Hilferuf. Der Brief sollte erst in der Wohnung gefunden werden, wenn er tot gewesen wäre.

Seine Rachegelüste, die er auch schon früher hat, hätte der Angeklagte aber ohne die zusätzliche Enthemmung durch Alkohol wohl nicht in die Tat umgesetzt. Für die Tatzeit gegen 2.30 Uhr geht der Sachverständige von etwa zwei Promille aus, verstärkt durch die Wirkung eines Antidepressivums, das der Mann genommen hat.


Lange Therapie notwendig

Der Arzt für Forensische Psychiatrie bescheinigt dem Angeklagten eine verminderte Schuldfähigkeit. Durch Alkohol und die schwere depressive Episode sei die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen. Er befürwortet eine intensive psychotherapeutische Behandlung - Mindestdauer zwei Jahre. "Andernfalls könnte er bei einer massiven Kränkung wieder so reagieren."

Warum der 65-Jährige die Selbstmordabsicht nicht in die Tat umgesetzt hat, erklärt der Gutachter damit, dass nach dem Brandanschlag ein Teil der Anspannung von ihm abgefallen ist. "Dann hat ihm möglicherweise der Mut gefehlt."

Anhaltspunkte für eine Amnesie sieht der Experte nicht. Man habe es wohl eher mit einem klassischen Verdrängungsmechanismus zu tun. Im Rückblick stelle der Täter fest: So bin ich nicht, so was kann ich gar nicht getan haben.

Nähere Information erhofft sich die Kammer auch von der Freundin des Angeklagten. Doch die Frau, die dem 18 Jahre älteren Mann 2012 näherkommt und zuvor auch kurze Zeit in seiner Firma ("Er war ein guter Chef") arbeitet, hat offenbar von nichts gewusst. Er hält alle Probleme von ihr fern - über Geld, Alkohol, Scheidung, Krankheit oder Selbstmordgedanken wird nicht geredet. "Er war immer ein Gentleman, bei ihm war immer alles gut", sagt die Zeugin.

Kurz vor der Tat haben beide gemeinsam Silvester gefeiert. "Er war wie immer", betont die Frau, "auch in den Tagen danach." Am 20. Januar habe er sie abends noch angerufen, ihr alles Gute für die Operation am nächsten Tag gewünscht und angekündigt, dass er sie besuchen werde. Ins Krankenhaus ist er nicht gekommen. "Das habe ich nicht verstanden", so die 47-Jährige. Noch weniger könne sie sich erklären, wie er zu so einer Tat fähig gewesen ist. "Ich bin mir vorgekommen wie im falschen Film. So habe ich ihn nicht gekannt. Das habe ich ihm nicht zugetraut."


Höchste Gefahr

Doch er hat es getan. Aus dem Brandanschlag hätte ein tödliches Inferno werden können, wäre die vierköpfige Familie nicht rechtzeitig aus dem brennenden Gebäude rausgekommen. Innen war bereits alles verqualmt. Es drohte höchste Gefahr, wie ein Ermittler der Kripo vor Gericht versichert: "Wenn man im Schlaf den Rauch einatmet, hat man keine Chance mehr, das Haus zu verlassen. Das war hochgradig gefährlich."

Zum Glück wurde der 56-jährige Familienvater vom Krach der berstenden Türen sowie durch den Brandgeruch geweckt und konnte seine Frau und die beiden Töchter in Sicherheit bringen.


Flucht endet am Skilift Neubau

Der Brandstifter ergriff die Flucht. Er fuhr offenbar ziemlich planlos durch die Gegend, bis er gegen vier Uhr in der Früh beim Skilift in Neubau landete. Dort sprach er vier Stunden später den Wirt der "Bleaml-Alm" an und bat ihn, die Polizei zu rufen. Er wolle sich stellen, er habe eine Straftat begangen.

Der Prozess wird am Mittwoch mit den Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung fortgesetzt. Es ist zu erwarten, dass das Gericht auch das Urteil fällt.