Im Raserprozess fällte die Hofer Jugendkammer am Mittwoch ihr Urteil. Für die Familie des getöteten Kulmbacher Berufsschülers eine maßlose Enttäuschung.
Ein junger Kulmbacher ist tot. Er wurde im Februar in Selb von einem Raser über den Haufen gefahren. Nach drei Wochen Blockunterricht wollte der Berufsschüler in einer Bar mit zehn Klassenkameraden feiern. Als der 19-Jährige die Wittelsbacherstraße überquerte, kam der schwarze Audi angebrettert und erfasste ihn frontal. Das Opfer wurde über 50 Meter weggeschleudert und starb an der Unfallstelle.
Dem Todesfahrer wurde in Hof der Prozess gemacht. Am Mittwoch fällte die Jugendkammer des Landgerichts ihr Urteil. Der Angeklagte bekam Bewährung - wegen Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässiger Tötung. Von der ursprünglichen Anklage der Staatsanwaltschaft wegen Mordes und eines illegalen Autorennens blieb nicht mehr viel übrig.
Vier Jahre Gefängnis
Der sechste Prozesstag begann mit den Plädoyers. Nach Ansicht von Staatsanwalt Dominic Pyka hat sich der angeklagte Vorwurf des verbotenen Kraftfahrzeugrennens bestätigt. Eine Vielzahl von Zeugen hätten ausgesagt, dass der schwarze Audi des Angeklagten und ein blauer BMW mit überhöhter Geschwindigkeit und versetzt gefahren seien. Es habe einen Wettbewerb gegeben, ob der eine entkommen und ob der andere mithalten kann.
Nicht bestätigt, so Pyka, habe sich der bedingte Tötungsvorsatz des Angeklagten. Es sei nicht auszuschließen, dass er darauf vertraute, dass es schon noch mal gutgehen werde.
Der Staatsanwalt bewertete die Tat als "klassisches jugendliche Imponiergehabe". Deshalb sei der Angeklagte, der damals noch nicht ganz 21 Jahre alt war, nach Jugendstrafrecht zu verurteilen. Allerdings sei von einem "extrem hohen Grad der Fahrlässigkeit" auszugehen. "Er hat sich bewusst entschieden, mit 80 bis 90 km/h die Wittelsbacherstraße hinunterzufahren", sagte der Staatsanwalt, "er hat ein hohes Maß an Schuld auf sich geladen". Deshalb sei eine Jugendstrafe von vier Jahren wegen illegalen Autorennens und verbotener Fortbewegung im Straßenverkehr erforderlich.
Der Vertreter der Opferfamilie, die als Nebenkläger auftrat, plädierte ebenfalls auf vier Jahre Gefängnis. Allerdings ging der Kulmbacher Rechtsanwalt Frank Stübinger von Erwachsenenstrafrecht aus. Es liege keine jugendtypische Verfehlung vor. Er sah die Voraussetzungen für ein verbotenes Einzelrennen als erfüllt an: nicht angepasste Geschwindigkeit, grob verkehrswidrig und rücksichtslos, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. "Es war kein Augenblicksversagen. Der Angeklagte musste lange aufs Gaspedal treten", sagte Stübinger.
Verteidiger Klaus Wittmann aus Ingolstadt kritisierte die Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft und das Gutachten des Sachverständigen. Dessen Berechnungen seien nicht besonders transparent und nachvollziehbar gewesen. Erst die Rückrechnung aus der Geschwindigkeit bei der Sekundärkollision mit den geparkten Fahrzeugen habe die Unfallgeschwindigkeit von zirka 78 km/h ergeben.
Polizei am Pranger
Der Polizei warf Wittmann vor, nicht an der Wahrheit interessiert gewesen zu sein. Sie habe verbotene Vernehmungsmethoden angewandt. Zeugen seien suggestive Fragen gestellt worden, ihnen sollten Begriffe wie "Autorennen" oder "Katz-und-Maus-Spiel" untergejubelt werden. Daher seien die Aussagen nicht verwertbar. "Der Ermittlungsauftrag war ganz klar, einen Mord nachzuweisen", sagte der Rechtsanwalt. Der Verfolgungsdruck habe auch zu dem "unsäglichen Fahrversuch" des Sachverständigen und des Staatsanwalts mit Tempo 100 in der Wittelsbacherstraße geführt.
Wegen der schwerwiegenden Folgen der Tat - Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässige Tötung - hielt Wittmann eine kurze Jugendstrafe von maximal sieben Monaten für gerechtfertigt. Sein Mandant habe eine schwere Zeit in der Untersuchungshaft verbracht. Er sei nach dem Unfall in eine fast existenzielle Krise gestürzt.
Täter bittet um Chance
"Ich möchte noch mal sagen, wie leid mir alles tut", erklärte der Angeklagte in seinem Schlusswort. Die Zeit im Gefängnis sei "sehr schlimm" gewesen. Er habe viel nachgedacht und erkannt, "wie sehr man beim Autofahren aufpassen muss". Er bat darum, "mir eine Chance zu geben".
Die Jugendkammer folgte weitgehend der Argumentation der Verteidigung. Der Mordvorwurf sei nicht haltbar, denn allein die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung reiche nicht aus, um einen bedingten Tötungsvorsatz anzunehmen. Geschwindigkeiten von 170 km/h oder das Überfahren von roten Ampeln, wie bei der jüngsten BGH-Entscheidung zugrunde gelegt, habe man hier nicht. Die zwei Stadtrunden hätten keinen Renncharakter gehabt, sondern seien mit Imponiergehabe, Angeberei und Selbstdarstellung zu erklären. Auch für ein illegales Einzelrennen lägen keine Indizien vor. Aus der Geschwindigkeit von 78 km/h lasse sich dies nicht ableiten. Der Angeklagte sei rücksichtslos und grob verkehrswidrig gefahren, die Folgen seien für ihn vorhersehbar und vermeidbar gewesen.
Das Gericht verhängte eine Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Sie wird auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Neben 250 Sozialstunden wurde der Entzug der Fahrerlaubnis für vier Jahre angeordnet.
Aufgrund der Schwere der Schuld, so Vorsitzender Richter Jochen Götz, sei eine Jugendstrafe zu verhängen. Deren Dauer orientiere sich am Erziehungsgedanken. Völlig aus dem Nichts kam es zu einem überflüssigen Unfall, der ein jugendliches Leben gekostet hat", stellte Götz fest. Das Leid der Hinterbliebenen lasse sich nicht ermessen.
"Schlag ins Gesicht"
Die Familie des getöteten Berufsschülers reagierte mit Unverständnis auf das Urteil. "Es ist wie ein Schlag ins Gesicht. Wir sind sehr enttäuscht. Der Angeklagte kommt hier als freier Mann raus, obwohl er jemand umgebracht hat." Man denke darüber nach, so hieß es, "ob wir in die Revision gehen". Dafür hat man eine Woche Zeit. Dann müsste der Bundesgerichtshof das Verfahren auf Rechtsfehler überprüfen.
Der Richter sollte sich schämen. Ein weiteres Urteil, in einer Reihe von Urteilen, die das Vertrauen in die Rechtssprechung und den Glauben an Gerechtigkeit stark beeinträchtigen. Wäre ich der Vater des getöteten Jungen, könnte ich dieses Urteil nicht akzeptieren.
Nicht zu fassen. Als ob wir im Kindergarten wären, wo dem Angeklagten nicht bewusst ist, dass es bei Raserei mit Autos zu tödlichen Unfällen kommen kann! Also welche Naivität wird da vorausgesetzt!
Gerade ind er ländlichen Gegend ist das den jungen Erwachsenen durchaus bewusst!
Es wäre näher zu überprüfen, wie das Gericht zu solch einer harmlosen Einschätzung kommen konnte. Würde mich nicht überraschen, wenn...