Zwei Poetry Slams hat es in Kulmbach schon gegeben. Die Szene blieb dabei weitgehend unter sich. Beim jüngsten Slam war das anders. Weit über 100 Zuhörer kamen - und erlebten ganz außergewöhnliche Beiträge.
Simone Bilz leuchtet. Nicht nur, weil sie gerade direkt unterm Scheinwerfer auf der ansonsten tiefschwarzen Bühne steht. Ihr strahlendes Gesicht verrät vor allem die Freude darüber, dass ihr Projekt in den zurückliegenden drei Stunden erfolgreich den Kinderschuhen entwachsen ist.
Simone Bilz, 32 Jahre alt, Deutschlehrerin von Beruf, hat zum dritten Mal einen Poetry Slam in der Kulmbacher Kommunbräu organisiert. Nach zwei Veranstaltungen, in denen die Szene weitgehend unter sich geblieben war, ist die Resonanz plötzlich groß. An die 120 Menschen haben an diesem Abend den Saal gefüllt. Junge, nicht mehr ganz so junge, Slam-Fans - und Neugierige, die einfach einmal sehen und wollen, wie es so zugeht beim Poetry Slam.
Übersetzen lässt sich der Begriff mit "Dichterwettstreit": Autoren lesen selbst verfasste Texte vor, das Publikum entscheidet, was ihm am besten gefällt. Von Konkurrenz freilich ist wenig zu spüren. Es geht entspannt zu, fast familiär. Daran hat auch "Acoustic Cascade" alias Philipp Stenger seinen Anteil: Der junge Mann präsentiert im Lauf des Abends leise, lyrische Songs zur Gitarre.
Poetryslam Kulmbach - Ausschnitt aus dem Siegerbeitrag von Ben Bögelein by Infranken.de
Zum Auftakt des Wettstreits gleich ein Bruch: Simone Bilz hat erklärt, worum es geht, hat per Los über die Reihenfolge der Auftritte entschieden und die Publikums-Jury in ihre Aufgabe eingewiesen. Auf der Bühne steht jetzt der Mann mit dem Slammer-Namen Paddi. Gestenreich schreit, brüllt, tobt er das Entsetzliche heraus: Gedanken eines Pädophilen beim Anblick seines Opfers. Für manchen unter den Zuhörern ist das zu arg. Die Frage "Muss das sein?" wird mehrfach gestellt.
Aber genau das will ja Literatur: Anrühren, aufrühren. Und wenn es nötig ist, darf sie auch schockieren. Die Slammer schließlich sehen sich nicht als bloße Unterhaltungskünstler. Was sie schaffen, ist Wort-Kunst.
Die Ausdrucks- und Darstellungsformen mögen unkonventionell sein. Das Anliegen aber, das Innerste des Menschen hör- und erfahrbar zu machen, ist das gleiche wie das der Etablierten - die bei der herkömlichen Art der literarischen Lesung nicht selten viel, viel weiter weg von ihrem Publikum sind als die Slammer.
Poetryslam Kulmbach - „Molkerei auf der Bounty“ von Phisigo by Infranken.de
Dennoch: Auch die Jury der "Kommune" kann sich wohl eher für den leichteren, gefälligeren Text erwärmen, den Martin Geier im Anschluss präsentiert. Und so wird die Reminiszenz an Melanie doch höher bewertet und heftiger beklatscht.
Dass ein Poetry Slam nicht nur eine Spielwiese für die ganz jungen Schreiber ist, stellen Mantero mit einem sehr individualistischen Text und Bybercap, der schreibende Lehrer aus Lauf, unter Beweis. Der ist ein langjähriger Mitstreiter im Slam-Betrieb - er qualifiziert sich mit seiner pointierten Betrachtung eines Schulaufsflugs aus Lehrersicht gleich für die Endrunde. Als "alte Hasen" gelten Ben Bögelein, der Titelverteidiger aus Ansbach, und Carsten Striepe aus Hof. Auch sie treten mit sehr persönlichen Texten an. Die Jury punktet durchweg hoch mit nur kleinen Nuancen.
Einzige Frau in der Dichter-Riege ist Lena Hacker. Anders als ihre männlichen Mitstreiter verzichtet sie auf jegliche Aktion. Ruhig und gesammelt trägt sie ihren Text vor - und gibt der Geschichte vom Scheidungskind Sarah, das zerrissen wird von zwei Elternhäusern, damit besondere Tiefe und Eindringlichkeit. Dass es für Lena Hacker nicht für die Endrunde gereicht hat, darf man ruhig bedauern.
Das Finale bestreiten nach dem Willen der Jury dann Ben Bögelein, Bybercap und der Lokalmatador. Als "Phisigo" hat ihn Simone Bilz angekündigt. Auf die Bühne kommt - Philipp Simon Goletz. Als Kabarettist und Entertainer ist er ein Profi. Als Slammer betritt er Neuland. "Ich war neugierig", sagt er. Spontan habe er sich dann dazu entschlossen, eigene Texte zu präsentieren.
Poetryslam Kulmbach - Bilanz von Phisigo by Infranken.de
"Molkerei auf der Bounty" heißt sein aberwitziges Werk, mit dem er in der ersten Runde antritt. Hätte da schon das gesamte Publikum entscheiden dürfen - es hätte womöglich zum Sieg gereicht. Nach der Finalrunde, in der Phisigo von Erfahrungen eines Vaters mit dem volljährig und fahrfähig gewordenen Sohn berichtet und Bybercap einfühlsam eine Mutter-Sohn-Beziehung beleuchtet, wählt das Publikum freilich Ben Bögelein und seinen Text über den ehemaligen Freund und nunmehrigen Nazi zum Sieger.
Der 24-Jährige, der vor gut eineinhalb Jahren zum Slam kam, strahlt. So, wie Initiatorin Simone Bilz. Die strahlt auch Stunden später noch: "Ich habe ganz viel tolles Feedback bekommen", erzählt sie. Ein voller Saal, ein nettes, interessiertes und offenes Publikum - "besser hätte es gar nicht laufen können!" Der Erfolg ist für Simone Bilz auch Ansporn: "Die Kommune slammt" soll sich etablieren in Kulmbach. Den nächsten Slam soll es im Frühsommer geben. Weitere sind geplant. "Mein Ziel sind vier Slams im Jahr." Die Szene ist angekommen in Kulmbach.
Was sich tut in der Szene und wann der nächste Slam stattfindet, steht auf der Facebook-Seite "Die Kommune slammt".