Pilotprojekt, damit Schweine nicht leiden

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Der Kulmbacher Schlachthof will als erster der Welt Schweine vor dem Schlachten mit Helium betäuben.
Der Kulmbacher Schlachthof will als erster der Welt Schweine vor dem Schlachten mit Helium betäuben.
Foto: Marijan Murat/dpa

Für mehr Tierwohl und eine bessere Fleichqualität will der Kulmbacher Schlachthof Schweine als erster weltweit mit Helium betäuben.

Elektrozange und Kohlendioxid - das sind die gängigen Betäubungsmethoden für Schweine an deutschen Schlachthöfen. Getötet werden die Tiere in der Regel mit einem Stich in die Halsschlagader.

Weder Schmerzen noch Angst

Die Betäubungsmethoden dienen dazu, die Tiere vorher bewusstlos zu machen, damit sie bei der Tötung weder Schmerzen noch Angst spüren. Das schreibt die Verordnung der Europäischen Union Nummer 1099 aus dem Jahr 2009 "über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung" vor. Doch wie schmerz- und stressfrei sind der Stromschlag aus der Elektrozange oder das Einatmen von Kohlendioxid tatsächlich?

Dirk Grühn, Leiter des Kulmbacher Schlachthofs, hat dazu eine klare Meinung: "Ich bin mit beiden Methoden unzufrieden." Der Stromstoß wirke manchmal nicht richtig, dann müsse der Mitarbeiter schnell reagieren und nachbetäuben. Die Betäubung mit Kohlendioxid sei zwar zuverlässig, doch würden die Schweine zuvor zehn bis 15 Sekunden lang "Abwehrbewegungen" zeigen.

Erstickungsgefühl CO2

Was er damit meint, ist in einem YouTube-Video zu sehen. Der Ausschnitt aus der Wissenssendung Odysso des Südwestrundfunks (SWR) wurde im Jahr 2014 veröffentlicht und trägt den Titel "Tierschutz: Besser schlachten?". Das Video hat mittlerweile rund 1,78 Millionen Aufrufe.

Es zeigt drei Schweine in einer Betäubungsanlage. Nach dem Einleiten des Kohlendioxids recken sie ihre Rüssel nach oben und schnappen nach Luft, dann quieken sie und zappeln panisch. Das dauert zwar nur wenige Sekunden, doch lange genug, damit einem Zuschauer flau im Magen wird.

"Die Tiere leiden"

"Die Tiere leiden." So konkret äußert sich in dem Video Professor Klaus Tröger vom Kulmbacher Max-Rubner-Institut zu der bis heute gängigen Betäubungsmethode - laut Statistischem Bundesamt wurden allein im Jahr 2019 in Deutschland 53,2 Millionen Schweine geschlachtet. Tröger und sein Team hatten sich der Suche nach einer stressärmeren Betäubungsmethode verschrieben.

Die Wissenschaftler fanden eine Alternative: das Edelgas Helium. Noch im gleichen Video demonstrieren Tröger und seine Mitarbeiter die Versuchsanlage am Kulmbacher Schlachthof: Ein Schwein steht unter einer Glocke aus Plexiglas und kaut an einem Spielzeug. Kurz nachdem das Helium eingeleitet wird, bekommt es weiche Knie und bricht zusammen. "Das ist das, was sich ein Verbraucher eigentlich unter einer Betäubung vorstellt", kommentiert Tröger.

Stressarme Betäubung mit Helium

Obwohl diese Bilder damals in den Tagesthemen gezeigt wurden und es einen Aufschrei in der Öffentlichkeit gab, tat sich in der Schlachtindustrie nichts. Der Grund: Helium ist teurer als Kohlendioxid und viel leichter.

Derzeit werden die Schweine zur Betäubung in Gruben abgesenkt. Für den Umstieg auf Helium müssten die Betäubungsanlagen komplett umgebaut werden, sodass die Tiere nach oben unter eine mit Helium gefüllte Glocke gelangen. Mit einem solchen Umbau wären hohe Investitionskosten verbunden.

Geheimnisvolle Stiftung

Daher geriet die Methode von Trögers Team beinahe in Vergessenheit, bis sie vor kurzem wiederentdeckt wurde. Aus dem Rathaus der Stadt Kulmbach heißt es dazu: "Im Frühjahr vergangenen Jahres wurde Professor Tröger von einer Stiftung kontaktiert, welche sich verschiedenen Projekten, unter anderem auch dem Tierschutz verschreibt und auf seine Forschungsergebnisse in Bezug auf die Betäubung mit Helium aufmerksam wurde."

Gemeinsam mit der Stiftung, die noch nicht namentlich genannt werden möchte, und dem Kulmbacher Schlachthof entwickelt der mittlerweile emeritierte Professor Tröger nun eine Pilotanlage zur Betäubung von Schweinen mit Helium. Finanziert wird das Projekt von genannter Stiftung.

Momentan ist die Stadt noch auf der Suche nach einem geeigneten Hersteller, der die Anlage bauen kann. "Dass dieser revolutionäre Schritt in unserer Stadt seinen Ursprung findet und unser kommunaler Schlachthof an der Entwicklung maßgeblich beteiligt ist, macht Kulmbach nicht nur zu einem weltweiten Vorreiter, sondern zeigt, dass wir unserem Ruf als Lebensmittelstandort und Zentrum der Fleischforschung nach wie vor gerecht werden", teilt die Stadt mit.

Bessere Fleischqualität?

Was Trögers Team ebenfalls herausfand war, dass mit Helium betäubte Schweine weniger Stresshormone im Blut haben und somit auch die Qualität des Fleischs besser ist. Fleisch von gestressten Tieren ist in der Regel blass und wässrig. Metzgermeister Florian Kleinheinz, Geschäftsführer der Metzgerei Kleinheinz in Kulmbach bestätigt den Zusammenhang zwischen Stress und Fleischqualität, der bereits am Tag der Geburt des Ferkels beginne.

"Jedes Glied in der Kette muss stimmen", so Kleinheinz. Das Schweinefleisch aus der Region sei bereits jetzt ein "Top-Produkt", dadurch dass die Schweine in relativ kleinen Familienbetrieben gezüchtet und gemästet werden, beim Transport keine weiten Strecken zurücklegen müssen und der Kulmbacher Schlachthof ausgezeichnete Arbeit leiste.

Auch für Metzgermeister Bernd Rahm aus Döllnitz ist der stressfreie Umgang mit den Tieren "das A und O". Seine Schweine mästet er selbst. Ihm zufolge haben sie mehr Platz in den Buchten zur Verfügung als es gesetzlich vorgegeben ist. Zudem könnten sich die Tiere mit Kauketten und Spielbällen beschäftigen. Wenn der Schlachtzeitpunkt gekommen sei, würden sie mit Ruhe und Geduld auf den Hänger geladen.

Ein "Meilenstein"

Schlachthofleiter Dirk Grühn spricht von einem "Meilenstein". Denn es könnte sein, dass später andere Schlachthöfe nachziehen. Zwar ist Helium teuer und der Umbau bedeutet eine große Investition, doch Grühn hofft, dass die Verbraucher den Aufwand zu schätzen wissen. "Für jedes Gramm Fleisch lässt ein Tier sein Leben. Diesem Prozess müssen wir mit Respekt gegenüber treten."