Pflegedienste geraten in Not

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Ute Schirmer arbeitet für den mobilen Pflegedienst der Diakonie Kasendorf-Wonsees. Hier kümmert sich die 41-Jährige um Angelika Suske, die seit Jahren schwerst pflegebedürftig und ans Bett gefesselt ist.
Ute Schirmer arbeitet für den mobilen Pflegedienst der Diakonie Kasendorf-Wonsees. Hier kümmert sich  die 41-Jährige um Angelika Suske, die seit   Jahren schwerst pflegebedürftig und  ans Bett gefesselt ist.
Alexander Hartmann
Gerda Lochner, die unter Diabetes leidet, erhält jeden Tag eine Spritze.
Gerda Lochner, die unter Diabetes leidet, erhält jeden Tag eine Spritze.
Alexander Hartmann
Ute Schirmer arbeitet für den Pflegedienst der Diakonie Kasendorf-Wonsees. 
Ute Schirmer arbeitet für den Pflegedienst der Diakonie Kasendorf-Wonsees. 
Alexander Hartmann
"Es ist ein äußerst schwieriges Unterfangen, neue Pflegekräfte zu gewinnen", sagt Sabine Herold, die die Diakoniestation leitet.
"Es ist ein äußerst schwieriges Unterfangen, neue Pflegekräfte zu gewinnen", sagt Sabine Herold, die die Diakoniestation leitet.
privat
Annekatrin Bütterich leitet die Geschäftsstelle "Gesundheitsregion-Plus!".
Annekatrin Bütterich leitet die Geschäftsstelle "Gesundheitsregion-Plus!".
Landratsamt

Nur durch das Zusammenspiel von ambulanten Diensten und Angehörigen ist es vielen möglich, zuhause alt zu werden, wie eine Tour durch Kasendorf zeigt. Doch es fehlt mehr und mehr Fachpersonal.

"Ich möchte so lange wie möglich daheim bleiben." Was sich Gerda Lochner aus Welschenkahl wünscht, ist der Wunsch vieler: Die 90-Jährige kann und darf ihren Lebensabend bis dato in den eigenen vier Wänden verbringen. Weil es ihr Gesundheitszustand ermöglicht, weil sie Hilfe bekommt. Von der Familie, die einkauft und die Wäsche wäscht, aber auch von Pflegekräften wie Ute Schirmer, die sie tagtäglich aufsuchen.

"Ich kann in den Hof"

Ute Schirmer arbeitet für den mobilen Pflegedienst der Diakoniestation Kasendorf-Wonsees. An dem Tag, an dem wir die 41-Jährige auf ihrer Tour begleiten, treffen wir auf schwerst Pflegebedürftige, die teils künstlich ernährt werden müssen, aber auch auf Menschen wie Gerda Lochner, die ihren Alltag noch weitestgehend selbstständig bestreiten. Die 90-Jährige, die unter Diabetes leidet, bekommt täglich ihre Spritze, wird einmal in der Woche von den Pflegerinnen geduscht. "Sie kann zufrieden sein, dass sie soweit noch allein zurechtkommt", sagt Ute Schirmer. Und Gerda Lochner ist zufrieden: "Zuhause kann ich in den Hof, auch mit Nachbarn sprechen. Im Heim würde ich vermutlich die meiste Zeit in meinem Zimmer sitzen."

Kein Zuckerschlecken

Dass die Sehnsucht der Menschen groß ist, in der eigenen Wohnung oder im eigenen Haus alt zu werden, weiß Ute Schirmer, die über zehn Jahre in einem Seniorenheim gearbeitet und die Erfahrung gemacht hat, dass dort Pflegern aufgrund der Aufgabenflut eines fehlt: Zeit, sich fürsorglich um die Bewohner zu kümmern. "Dabei suchen und brauchen viele Senioren das persönliche Gespräch." Natürlich gebe es auch in der ambulanten Pflege Vorgaben, wie lange das Anziehen von Stützstrümpfen oder die Medikamentengabe dauern dürfen, doch habe sie mehr Spielraum, um Zuwendung zu schenken: "Sind die Pflegebedürftigen in der Badewanne, kann ich im Zimmer bleiben und muss mich nicht, wie es im Heim oft der Fall ist, parallel um eine zweite Person kümmern." Viele Familien würden gerne eine Zuzahlung für die häusliche Hilfe leisten, die nicht wie die medizinischen Leistungen über die Krankenkasse, sondern über die Pflegekasse abgerechnet werden. Ute Schirmer: "Weil sie wissen, dass den Angehörigen die Hilfe und die Ansprache gut tun."

Neue Konzepte

Die ambulante Pflege wird geschätzt, weil die Betroffenen im häuslichen Umfeld bleiben können, aber auch, weil die Betreuung anders als im Heim nicht so an den Geldbeutel geht. Und ihre Bedeutung wird zunehmen. Das weiß auch Annekatrin Bütterich, die am Landratsamt die Geschäftsstelle "Gesundheitsregion-Plus" leitet und ein Programm begleitet, mit dem die Staatsregierung das Ziel verfolgt, die medizinische Versorgung, die Prävention und die Pflege durch regionale Netzwerke zu verbessern. Neue Konzepte sind gefordert, denn der Blick in die Zukunft zeigt kein rosiges Bild. Gab es 1999 im Kreis 2371 Empfänger von Pflegegeldleistungen, so waren es 2017 schon 3255. Und die Zahl wird in einer immer älter werdenden Gesellschaft bis 2030 weiter deutlich ansteigen, so Bütterich. Wobei parallel die Anzahl der Pflegekräfte sinken wird. Nach einer Prognose, die für den Gesundheitsbericht des Landkreises erstellt wurde, wird - auf Vollzeitstellen umgerechnet - mit einem 20-prozentigen Rückgang zwischen 2013 und 2030 gerechnet.

Personalsuche gestaltet sich schwierig

Helfende Hände sind gesucht. Neue Pflegekräfte zu gewinnen, ist aber ein schwieriges Unterfangen, wie Sabine Herold zu berichten weiß, die die Diakoniestation in Kasendorf leitet. Woran das liegt? Der Pflegeberuf erfahre in der Gesellschaft nicht die Anerkennung, die er verdiene, so Herold. Mit den teils flexiblen Arbeitszeiten könnten sich viele nicht anfreunden. Dass der Verdienst ein Hinderungsgrund ist, um in die Branche einzusteigen, glaubt Mitarbeiterin Ute Schirmer nicht: "Anderswo mag das sein. Wir erhalten Tariflohn. Davon kann man leben."

Um der Personalnot zu begegnen, gehen Betreiber ambulanter wie stationären Dienste immer mehr den Weg, auch ausländische Kräfte zu akquirieren. Einer von vielen Versuchen, Personal zu gewinnen. Dabei kommt es gerade bei der ambulanten Pflege aber nicht nur auf das Pflegepersonal, sondern auch darauf an, ob es Angebote wie etwa die Tagespflege gibt, die pflegende Angehörigen entlasten. Familienmitglieder müssten unterstützt werden, sagt Annekatrin Bütterich. Nicht wenige würden durch die Pflege unter einem großen Stress leiden, die eigene Gesundheit dabei vernachlässigen.

Nach dem Schicksalstag

Dass die häusliche Pflege oft nur im Zusammenspiel von Angehörigen und Pflegedienst funktioniert, wird am Beispiel der Familie Suske deutlich, die wir am Ende unserer Tour mit Ute Schirmer aufsuchen. Angelika Suske ist schwerst pflegebedürftig. Die 75-Jährige wird über eine Sonde mit Nahrung und Medikamenten versorgt. Nach einem Schicksalsschlag 2013 war sie erst im Heim, ehe sie ihr Mann wieder nach Hause geholt hat, weil er sich so mehr um seine Frau kümmern konnte.

"Gewaltige Herausforderung"

Seit dessen Tod 2018 sorgen sich Sohn André und dessen Ehefrau Annette um die 75-Jährige. "Es ist eine gewaltige Herausforderung", sagt der 41-Jährige, der seine Mutter nicht ins Heim "abschieben" will. "Weil wir wollen, dass sie zuhause ist, weil es so einfach möglich ist, sich zu ihr ans Bett zu setzen und ihr etwas vorzulesen, ohne vorher ins Auto steigen zu müssen." Ohne Unterstützung wäre die häusliche Pflege nicht zu stemmen, denn das Ehepaar ist berufstätig. Vier Mal am Tag kommen Diakonie-Mitarbeiter, um die Sonde zu wechseln, Angelika Suske mit Flüssigkeit, Nahrung und Medikamenten zu versorgen, sie zu waschen und umzubetten, damit sie nicht wund liegt. Für Sohn und Schwiegertochter ist die Hilfe ein Segen. Für Pflegekräfte wie Ute Schirmer kann die Hilfeleistung die berufliche Erfüllung sein.