OB Lehmann: "Mache keine Politik von oben herab"

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Das Rathaus ist seit einem Jahr sein Arbeitsplatz: Am 1. Mai 2020 begann die Amtszeit des neuen Kulmbacher Oberbürgermeisters Ingo Lehmann (SPD).
Das Rathaus ist seit einem Jahr sein Arbeitsplatz: Am 1. Mai 2020 begann die Amtszeit des neuen Kulmbacher Oberbürgermeisters Ingo Lehmann (SPD).
Foto: Stadt Kulmbach

Ingo Lehmann ist seit einem Jahr Kulmbacher OB. Jetzt spricht er über seine Prinzipien, über Corona, den Uni-Campus, hohe Schulden und einen Makel.

Als Ingo Lehmann (SPD) am 7. Mai 2020 vereidigt wird, trägt in der Stadthalle kaum einer Maske. Die Menschen sitzen nebeneinander - fast wie früher. Das Coronavirus macht sich breit, aber die Bedeutung von Masken und Abstand ist noch weitgehend unbekannt.

Ein Jahr später hat sich viel verändert: Die Rathaustür ist verschlossen, auch zum OB-Interview. Einlass gibt es erst nach telefonischer Anmeldung. Und Eintritt natürlich nur mit Maske. Auch der Oberbürgermeister trägt Mund-Nasen-Schutz, das Fenster zum Marktplatz hin ist geöffnet.

Lesen Sie hier, was er über die Prinzipien seiner Politik sagt, über die Folgen der Pandemie für Kulmbach, über hohe Schulden und über einen Makel, mit dem er noch eine Zeitlang leben muss.

Haben Sie im vergangenen Jahr einmal gedacht: Wäre ich bloß Mitarbeiter im Abgeordnetenbüro von MdL Inge Aures geblieben?

Ingo Lehmann (lacht): Als Mitarbeiter der SPD-Landtagsabgeordneten hatte ich eine sehr interessante und vielfältige Tätigkeit. Doch jetzt konzentriere ich mich auf die Stadt Kulmbach. Es ist eine große Herausforderung, Oberbürgermeister zu sein. Es gab von Anfang an keine Schonfrist. Die Aufgabe macht mir sehr viel Freude. Jeder Tag ist anders, abends ist man nie fertig, und man ist rund um die Uhr in Bereitschaft. Aber ich übernehme gerne die Verantwortung, die mir die Kulmbacher übertragen haben. Einziges Manko: Ich sehe meine Frau noch weniger als früher.

Mit dem Wahlsieg konnten Sie nicht wirklich rechnen, oder? Nein, nicht wirklich. Wenn man aber bei Wahlen antritt, muss man dazu bereit sein, dass einem die Menschen ihr Vertrauen aussprechen. Dieses Vertrauen will ich zurückgeben.

Und Sie wussten auch nicht, dass Sie hauptsächlich Krisenmanager in der Pandemie sein müssen.

Die Pandemie verlangt allen, die als Landräte oder Bürgermeister Verantwortung tragen, viel ab. So haben wir wie alle Kommunen mit rückläufigen Einnahmen zu kämpfen. Es scheint so, dass die fetten Jahre vorbei sind. Nach der Pandemie müssen wir Kassensturz machen. Dann wird man sehen, was wir uns noch leisten können. Ich glaube, wir werden nicht mehr alle Wünsche erfüllen können. Was hervorragend läuft: Unsere Verwaltung zieht unter den erschwerten Bedingungen mit Terminvergaben, Homeoffice und Testungen voll mit. Ich bin sehr zufrieden.

Ist der Kulmbacher OB systemrelevant und schon geimpft?

(Lacht) Offenbar bin ich‘s nicht - ich habe noch keine Impfung bekommen. Dieses Privileg sollte den Pflegeberufen, Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten vorbehalten sein - und denen, die aus gesundheitlichen Gründen einen Schutz brauchen. Das können dann auch Politiker sein.

Unter dem Virus leiden vor allem der innerstädtische Einzelhandel, die Gastronomie und die Kultur. Kann die Stadt hier helfen?

Ich weiß, dass es den genannten Branchen sehr schlecht geht. Wir haben in der Vergangenheit schon geholfen und mit Thomas Tischer einen Kümmerer eingesetzt, der sich mit den Anliegen des Handels und der Gastronomie befasst. Wir bewerben intensiv das System Click & Collect und sind den Gastronomen bei der Außenbewirtschaftung - auch finanziell - entgegengekommen. Und wir haben uns für das Tübinger Modell beworben, damit man mit Negativtest einkaufen kann. Außerdem werden städtische Mitarbeiter geschult, damit wir ein eigenes Testzentrum aufmachen können. Wir wollen darauf vorbereitet sein, wenn es Erleichterungen für Handel und Gastronomie gibt.

Unabhängig von Corona, einfach ist das Regieren für Sie nicht. Sie haben keine eigene Mehrheit im Stadtrat.

Deshalb versuche ich, alle Partien mit einzubinden. Meine Vorgehensweise ist transparent. Ich spreche Entscheidungen mit den Vorsitzenden der Fraktionen ab. Dann kann man Mehrheiten im Stadtrat organisieren. Gerade in einer Stadt wie Kulmbach sollten Parteipolitik und Lagerdenken der Vergangenheit angehören.

Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?

Ehrlichkeit und Anstand sind meine Maxime. Das gehört untrennbar zu meinem politischen Selbstverständnis. Die Kollegen in der Verwaltung wissen, dass ich konkrete Vorstellungen habe und klar sage, wohin die Reise gehen soll. Mein Stil ist es jedenfalls nicht, Politik von oben herab zu machen. Ich will die Menschen mitnehmen und die politischen Kräfte einbinden.

Kommen wir zu Ihren Wahlkampfthemen. Was ist im Bereich Wohnungsbau und bezahlbare Wohnungen passiert?

Wir haben mit der Städtebau GmbH die Aufgabe, günstigen Wohnraum zu bauen. Und das machen wir auch. In Petzmannsberg entstehen 13 Wohnungen, in der Tilsiter Straße zwölf, ebenfalls barrierefrei. Im Bereich Melkendorf-Siegberg treiben wir den dritten Bauabschnitt voran. Dort sollen Einfamilienhäuser gebaut werden. Am Metzdorfer Hang will ein Privatinvestor Häuser und Wohnungen bauen. Das Projekt soll den Bürgern vorgestellt werden, sobald es die Pandemielage zulässt. Das gilt ebenso für ein Bauvorhaben in der Wickenreuther Allee.

Ist die angekündigte Altstadtsatzung in Arbeit und was soll sie regeln?

Wir wollen damit den baulichen Charakter der Kulmbacher Altstadt bewahren. Veränderungen sollen nur möglich sein, wenn sie nach Art und Maß die Substanz der Altstadt nicht beeinträchtigen. Um es klar zu sagen: Ein Flachdach hat in der Altstadt nichts verloren. Hier wurden in der Vergangenheit Entscheidungen getroffen, die das historische Erbe der Altstadt beeinträchtigen - das sollte allen Parteien bewusst sein. Die Altstadtsatzung wird im Bauamt vorbereitet, aber andere große Aufgaben wie Kaufplatzgelände, Grünes Zentrum und Uni-Campus sind vordringlicher. Aber die Altstadtsatzung ist nicht vergessen.

Was halten Sie davon, den ÖPNV komplett kostenlos zu machen?

Ja, so was wäre der Idealfall. Aber das können wir uns derzeit nicht leisten. Insgesamt sind wir beim Nahverkehr auf einem guten Weg. Nach Pfingsten soll die Abendlinie starten, ein Service, den man per Anruf oder übers Internet buchen kann und der für die Spätschicht im Klinikum, für Sportler oder Dämmerschöppler gedacht ist.

Wie weit ist das Radwegekonzept? Das Radwegekonzept befindet sich in der Abstimmungsphase. Es wird aktuell ämterübergreifend abgestimmt und mit dem Radwegekonzept des Kreises abgeglichen. Wir werden auch diesen Prozess transparent gestalten und das Konzept voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte den Bürgern vorstellen.

Viel diskutiert wird über die Erschließung der Plassenburg. Eine Seilbahn wäre ein modernes Verkehrsmittel und eine Attraktion für Kulmbach, oder?

Zunächst einmal ist es gut, dass die unsägliche Buchwald-Trasse vom Tisch ist. Dafür habe ich mich stark gemacht. Mit den Befürwortern der Seilbahn finden nächste Woche Gespräche statt. Entscheidend sind die Kosten von mehreren Millionen Euro - die kann die Stadt nicht tragen. Wenn man so etwas will, muss man sich über die Finanzierung unterhalten. Nebenbei müssen die Museen der Burg auf Vordermann gebracht werden. Der Posten des Museumsleiters ist immer noch unbesetzt. Die Stelle ist ausgeschrieben. Wir haben viele Bewerbungen bekommen. Aber der Auswahlprozess ist noch nicht abgeschlossen.

Ist Kulmbach pleite?

Wir haben in der letzten Stadtratssitzung gehört, dass Kulmbach einen Spitzenplatz bei der Verschuldung in Bayern belegt und das Landratsamt schon seit 2013 angemahnt hat, Konsolidierungshilfen des Freistaats zu beantragen. Die Stadt hat trotz gegenteiliger Behauptungen seit Jahren eine hohe Pro-Kopf-Verschuldung. Zum 1. Januar 2021 beträgt diese 1314 Euro. Zusammen mit den Eigenbetrieben liegt sie sogar bei 3806 Euro. Damals waren es wirtschaftlich sehr gute Zeiten. Jetzt haben wir wirtschaftlich schwierige Zeiten. Daher wird unser Kämmerer ein Konsolidierungskonzept erarbeiten. Die Fraktionen werden hier einbezogen. Dann werden sich der Stadtrat und ich weitere Schritte überlegen. Wir erhoffen uns in der Gesamtheit mehrere Millionen Euro Stabilisierungshilfen, um Schulden abzubauen. Auf der anderen Seite ist uns bewusst, dass die Stadt dann in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt ist.

Wissen Sie, ob es beim Uni-Campus auf dem Güterbahnhofsgelände vorangeht?

Die Kulmbacher Brauerei, der zwei Drittel des Geländes gehören, und die Immobiliengesellschaft des Freistaats Bayern sind in Verhandlungen. Die Preisvorstellungen liegen aber offenbar noch auseinander. Doch auf beiden Seiten ist der Wille vorhanden, die Grundstücksverhandlungen zu einem guten Abschluss zu führen. Mit dem anderen Drittel der Fläche, das im Eigentum der Stadt Kulmbach steht, dürfte es keine Probleme geben.

Was glauben Sie: Wann werden Sie ein richtiger Kulmbacher OB sein? Warum? Bin ich wohl ein falscher OB?

Nein, aber Sie durften noch kein Bierfest eröffnen.

(Lacht) Das ist natürlich sehr traurig, dass die Bierwoche heuer noch mal ausfällt. Aber ich bin guter Dinge, dass ich am 30. Juli 2022 endlich das erste Fass anzapfen kann.

Das Gespräch führte Stephan Tiroch.