Die Hauptverhandlung bekommt mitunter eine unerwartete Eigendynamik. Diesmal beantragt die Vereidigung die Hausdurchsuchung bei zwei Belastungszeuginnen.
Privat würde es kein Mann wagen, in der Handtasche seiner Frau zu schnüffeln. Oder gar den Inhalt komplett offenzulegen. Michael Eckstein muss es tun. Der Vorsitzende Richter im Missbrauchsprozess vor dem Landgericht Bayreuth reagiert mit seiner "Nachschau" auf einen Antrag von Verteidiger Johann Schwenn, der glaubt, hier wichtige Beweismittel zu finden.
Was die Handtasche so bedeutend macht - sie gehört der Ex-Frau des Angeklagten, dem seit zwei Monaten vor der 1. Großen Strafkammer der Prozess gemacht wird. Er wird hauptsächlich von seiner Tochter sowie von seiner Ex-Frau und zwei Enkelinnen der Vergewaltigung und des sexuellen Missbrauchs bezichtigt, bestreitet jedoch die Vorwürfe.
Weil es keine Zeugen für die angeklagten Fälle gibt, untersucht das Gericht mit großem Aufwand die Glaubwürdigkeit der Belastungszeuginnen. Daher schleppen sich Befragungen oft zäh und schier endlos dahin. Aber manchmal - so wie am Mittwoch- bekommt der Prozess eine unerwartete Eigendynamik.
Steuersparmodell
Die Ex-Frau wird nach zwei Tankbelegen gefragt, kann diese allerdings nicht zuordnen. Zum Beweis dafür, dass der Schwiegersohn der Zeugin die privaten Quittungen in seinem Unternehmen steuerlich geltend gemacht habe, übergibt der Rechtsanwalt der Nebenklägerin, Ulrich Bambor aus Dortmund, dem Gericht mehrere Schriftstücke. "Es scheint mir, als ob Sie die Absicht hätten, ihren Noch-Schwiegersohn anzuschwärzen", meint der Richter.
Verteidiger Schwenn sieht seine Theorie von einem Komplott bestätigt. Sein Mandant sei das Opfer eines Frauenclans geworden, der sich gegen den Patriarchen der Familie verschworen hat. Tochter (48) und Ex-Frau (69) des Angeklagten hätten, so mutmaßt er, scheinbar belastendes Material entwendet, "um eine kleine Erpressung vorzubereiten". Sie hätten auch den Schwiegersohn auf dem Kieker, weil er sich von der Tochter getrennt hat. Schwenn beantragt, schnellstmöglich die Wohnungen der beiden Belastungszeuginnen zu durchsuchen: "Es besteht der Verdacht, dass sich dort noch mehr Unterlagen finden."
Weiße Latexhandschuhe
Außerdem interessiert sich der Verteidiger für den Inhalt der Handtasche, die die Ex-Frau bei sich trägt. Auf Nachfrage der Kammer bringt sie das Utensil zum Richtertisch. Vom Justizwachtmeister mit weißen Latexhandschuhen ausgestattet, übernimmt der Vorsitzende persönlich die heikle Aufgabe.
Handy, Portemonnaie, Brille, Taschentücher, Schmuck und Kugelschreiber - im Beisein der Prozessbeteiligten breitet Eckstein den wenig spektakulären Tascheninhalt aus. Es findet sich noch ein Brief des Angeklagten, der seiner Ex-Frau anbietet, ihr die Rückzahlung eines Darlehens über 3800 Euro zu erlassen. Will er die Zeugin bestechen oder ihr die Rücknahme ihrer Anschuldigungen schmackhaft machen? Erfolgreich ist er offensichtlich nicht gewesen - die Ex-Frau lehnt schriftlich ab.
Allerdings verzichtet das Gericht darauf, Polizeikräfte in Marsch zu setzen. Die Kammer bemüht das Grundgesetz mit der Unverletzlichkeit der Wohnung und betont, dass die Verdachtsmomente, möglicherweise belastendes Material zu finden, nicht ausreichen.
Amouröse Rechnung
Es bleibt im Dunkeln, ob die Belastungszeuginnen über ein Strategiepapier verfügen, wie man unliebsame Männer fertigmacht. Was aber auffällt, in den Firmen der verzweigten Familie ist wohl nicht immer sauber abgerechnet worden. Privatrechnungen werden schon mal umdeklariert und als betriebliche Aufwendung beim Finanzamt angegeben. So sammelt einer private Tankbelege der halben Verwandtschaft oder auch die Rechnung für einen Umzug, um sie in die Firma einzuschmuggeln. Oder: Der Angeklagte trifft sich zum amourösen Stelldichein - und die Hotelrechnung findet sich später in der Buchhaltung des Unternehmens.
"Mich interessieren diese steuerlichen Sachen nicht", sagt Richter Eckstein. Die Kammer, die schwere Sexualstraftaten aufzuklären hat, schaut auf die Motive der Belastungszeuginnen. Aber vielleicht interessieren sich andere Behörden für das Steuersparmodell?
Nebenklage rüstet weiter auf
Mit Rechtsanwalt Wolfram Schädler, Wiesbaden, ist am Mittwoch ein prominenter Jurist neu dazugekommen. Der ehemalige Referent im hessischen Justizministerium und frühere Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof vertritt ab sofort eine Enkelin. Damit hat jede Nebenklägerin einen eigenen Rechtsbeistand.