Budapest, Riga, Pilsen, Graz? Es gibt 25 potenzielle Kooperations-Kandidaten für das Modellprojekt "Medizin-Campus Oberfranken".
Der Numerus clausus (Nc) gilt nicht wenigen in der Universitätslandschaft als Relikt. In Fächern wie Medizin aber hält das deutsche Hochschulsystem an dieser Zugangsvoraussetzung fest. Die Folge kennt man aus der Wirtschaft: Wo die Rahmenbedingungen nicht stimmen, wird eben abgewandert. Nach Ungarn zum Beispiel, in die Schweiz oder nach Österreich. In der Alpen republik spricht man schon von "Piefkeschwemme" auf den Campus-Fluren, böse Zungen reden von "Nc-Flüchtlingen".
In der Tat schreiben sich mittlerweile jedes Jahr mehr als 10 000 junge Menschen aus Deutschland an einer Hochschule im Ausland ein, um Medizin zu studieren. Die bevorzugten Ziele sind Budapest, Prag, Wien, Zürich.
"Irrsinn", sagt Oberbürgermeister Henry Schramm (CSU) angesichts dieser Abwanderung von Intelligenz und frischem Blut.
Beides fehlt hier zu Lande - auch in einer Stadt und Region wie Kulmbach, die dem demografischen Wandel wie viele andere Kommunen schutzlos ausgeliefert zu sein scheint. Das Stadtoberhaupt will dem nicht tatenlos zusehen. "Wo Hochschuleinrichtungen sind und junge Menschen, da herrscht eine unglaubliche Dynamik." Die gelte es zu nutzen. Die Idee vom "Medizin-Campus Oberfranken" war geboren. "Laut EU-Recht ist es möglich, dass ausländische Universitäten unsere Medizinerausbildung betreiben - mit dem Klinikum Kulmbach als Partner."
Mit im Boot ist die Universität Bayreuth. Eine Machbarkeitsstudie der Hochschule soll zeigen, ob die Idee realisierbar ist und sich eine ausländische Uni als Kooperationspartner findet, die bereit ist, eine Art Zweigstelle in Kulmbach zu eröffnen.
Hier soll der Nachwuchs einen international anerkannten Abschluss in Humanmedizin ablegen (Nebenbei bemerkt: Oberfranken ist der einzige bayerische Regierungsbezirk ohne Ausbildungsstätte für Mediziner.)
Der Projektzeitraum ist auf drei Jahre angelegt, die Oberfrankenstiftung übernimmt die Finanzierung; die Rede ist von rund 600 000 Euro.
Unterversorgung gegensteuern
In der Stadtratssitzung am Donnerstag verdeutlichte Schramm nochmals das Potenzial, das er hinter dem Vorhaben sieht: "Unser Klinikum hat eine gute Entwicklung genommen, wir werden auch künftig gute Ärzte hier vor Ort brauchen." Und: Der Medizinernachwuchs könnte zugleich helfen, der Unterversorgung mit Ärzten auf dem Land gegenzusteuern.
Wenn Studenten das Klinikum sowie Praxen im Umland kennen und so ein Arbeiten in der Region womöglich schätzen lernten: Wer weiß, ob sich nicht mancher hier niederlässt in einem Landstrich, den er ohne Ausbildung wohl nie als seinen Lebensmittelpunkt in Erwägung gezogen hätte.
An das Klinikum soll der Medizin-Campus angedockt werden, so strebt es Schramm an. Die Einrichtung mit ihren 450 Betten und etwa 1500 Mitarbeitern ist nicht bloß ein ganz wichtiger Arbeitgeber für die Stadt - sie schreibt auch schwarze Zahlen. Nicht viele kommunale Krankenhäuser können das von sich behaupten.
Der Schulterschluss der Stadt mit der Bayreuther Hochschule soll helfen, die Fühler auszustrecken nach möglichen Kandidaten für Kulmbach. Die Lage sondiert Klaus Nagels.
Der Professor für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften hat selber Medizin und Pharmazie studiert, zunächst in Bonn, später als Stipendiat an der ETH in Zürich. Nach seiner Approbation als Apotheker wurde er 1988 an der Uni Düsseldorf zum Medizinstudium zugelassen, er studierte aber auch in den USA.
"Ich glaube, dass der Medizin-Campus machbar ist", sagte Nagels im Stadtrat. Die Ärzteschaft überaltere zusehends, Nachwuchsförderung sei dringend geboten. "Das Angebot von Medizinplätzen in Deutschland ist zuletzt nahezu gleich geblieben - aber die Zahl der Bewerber liegt um ein Vielfaches höher. Das bedeute auch: Exzellente Kandidaten kommen bei uns gar nicht zum Zug."
Die zielgerichtete und bedarfsgerechte Ausbildung von Ärzten ist der eine Vorzug der Idee, sagte Nagels.
"Eine sehr gute medizinische Versorgung kann ein großer Pluspunkt für eine Region sein." Der andere: Wenn es gelänge, zugleich ein Unternehmen der Medizintechnik nach Kulmbach zu lotsen, dann wäre das Wirtschaftsförderung par excellence. Derzeit stehe Nagels in Kontakt mit 20 bis 25 potenziellen Partnern, darunter Budapest, Graz, Pilsen, Maastricht und Riga. "Wir haben mehrere Eisen im Feuer", ergänzte Henry Schramm.
Vergleich mit Nürnberg
Kulmbach würde mit diesem Modell in jedem Fall eine Vorreiterrolle übernehmen. Allerdings hat die Stadt Nürnberg, wie jüngst "Die Welt" berichtet, seit 2014 eine in etwa vergleichbare Kooperation der österreichischen "Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg" mit dem Klinikum Nürnberg und dessen Tochter, der "Klinikum Nürnberg Medical School". Der Zeitung zufolge läuft derzeit das Auswahlverfahren
für die 50 Studienplätze im zweiten Jahrgang. Die Kosten seien demnach aber heftig: 13 900 Euro pro Jahr, Stipendien und Finanzierungsmodelle würden jedoch angeboten.
So weit ist man in Kulmbach noch lange nicht. Aber die Liste der Fürsprecher für den Medizin-Campus ist lang, angefangen von der Landtagsvizepräsidentin Inge Aures (SPD) über ihren Landtagskollegen Martin Schöffel (CSU) bis hin zu Bayreuths Uni-Präsident Stefan Leible. Der sieht in dem Modell keine Konkurrenz und schon gar keine Bedrohung für die staatliche Medizinerausbildung.
Bayerns Landesärztekammer ist da weniger euphorisch. Präsident Max Kaplan wird, auf das Kulmbacher Modell angesprochen, so zitiert: "Ein Mehr an Studienplätzen ist zwar zu befürworten und auch eine gewisse Konkurrenz für die Universitäten durch derartige Privathochschulen. Dies darf aber nicht auf Kosten der Wissenschaftlichkeit und Unabhängigkeit etwa bei Drittmitteln gehen."