Kommt Kinderschänder aus Kulmbach frei?

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Die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Bayreuth - in der Mitte Vorsitzender Richter Michael Eckstein - muss im Nachverfahren entscheiden, ob gegen einen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilter Kulmbacher Sicherungsverwahrung verhängt wird. Foto: Stephan Tiroch
Die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Bayreuth - in der Mitte Vorsitzender Richter Michael Eckstein - muss im Nachverfahren entscheiden, ob gegen einen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilter Kulmbacher Sicherungsverwahrung verhängt wird. Foto: Stephan Tiroch
Gerichtssprecher Jochen Götz: Derartige Fälle sind im hiesigen Landgerichtsbezirk tatsächlich recht selten. Foto: Alexander Hartmann
Gerichtssprecher Jochen Götz: Derartige Fälle sind im hiesigen Landgerichtsbezirk tatsächlich recht selten. Foto: Alexander Hartmann
 

Das Landgericht Bayreuth entscheidet im Nachverfahren, ob gegen einen pädophilen Straftäter nach sechs Jahren Haft noch Sicherungsverwahrung verhängt wird.

Für den über zwei Meter großen Mann, der am Montag mit Fuß- und Handfesseln in den historischen Schwurgerichtssaal des Landgerichts Bayreuth geführt wird, steht viel auf dem Spiel: Kommt er nach sechs Jahren Gefängnis wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern frei? Oder folgt auf die Strafhaft die Sicherungsverwahrung?

Es ist ein äußerst seltenes Verfahren, mit dem sich die 1. Große Strafkammer derzeit beschäftigt. Hier gibt es keinen Angeklagten, denn die Schuld des inzwischen 30-jährigen Kulmbachers steht lange fest: Der Verurteilte hat gestanden und ist im Februar 2011 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 43 Fällen schuldig gesprochen worden.

Bestandteil des Urteils: der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung. D. h., die Kammer muss aufgrund der Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und seiner Entwicklung nun entscheiden, ob von ihm weitere schwere Straftaten zu erwarten sind. "Das ist unsere Messlatte", sagt Vorsitzender Richter Michael Eckstein.

Opfer: neun Buben
Opfer des Mannes sind neun Buben im Alter von fünf bis 13 Jahren gewesen. Von 2003 bis 2010 hat er ihr Vertrauen ausgenutzt und sich an ihnen vergangen. Seine Masche ist immer dieselbe: Als Jugendleiter eines Vereins bastelt er mit den Kindern oder fährt mit ihnen Traktor, bevor es zu den Übergriffen kommt. Er greift ihnen in den Schritt, dabei masturbiert er oder fotografiert seine Opfer. Und er will deren Penisgröße messen, nachdem bei ihm wegen eines genetischen Defekts - deswegen muss er Testosteron einnehmen - die Geschlechtsteile unterentwickelt sind.

Im Juli 2010 wird der Ex-Jugendleiter festgenommen. Ein Vater zeigt ihn bei der Polizei an. Die Opfer, die teilweise über Jahre missbraucht worden sind, leiden bis heute unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Ein Junge wird so aggressiv, dass er mit dem Messer auf die Eltern losgeht. Auch eine Mutter braucht noch immer psychotherapeutische Behandlung.

"Ein bisschen Fummeln"
Anfangs verharmlost der Mann seine Taten als "ein bisschen Fummeln". Massive Gewalt habe er schließlich nicht angewendet. Laut Gutachter im ersten Prozess hat er erst bei der damaligen Hauptverhandlung begriffen, welche Schuld er auf sich geladen hat.

Im Gefängnis macht er über Jahre eine Therapie. Behandelt wird seine eigene schiefgelaufene sexuelle Entwicklung, und man bringt ihm bei, mit seinen pädophilen Neigungen umzugehen, ohne straffällig zu werden. In der Rückfallprävention, so der Verurteilte, habe er gelernt, Ärger und Frust zu bewältigen, ohne dass andere darunter zu leiden haben. "Früher war ich gefühlskalt und völlig ungeeignet für die Betreuung von Kindern." Heute könne er sich in die Opfer hineinversetzen.

"Nicht zu entschuldigen" nennt er seine Taten. Er wisse, dass er wegen seiner pädophilen Neigungen kleinen Jungs aus dem Weg gehen muss: kein Schwimmbad, am besten nicht mal Internet einschalten.

Vorbildlicher Gefangener
In der JVA Bayreuth gilt er als vorbildlicher Gefangener, mit dem es keine Probleme gibt. "Keine Vorkommnisse", sagt der Stationsbeamte.

Der Kulmbacher hat im Gefängnis sogar einen Berufsausbildung gemacht: als Metallbauer mit der Fachrichtung Konstruktionstechnik. Note 1,7 bei der Gesellenprüfung. Darauf ist er ein bisschen stolz: "Ich war Zweitbester in Oberfranken." Seine Motivation: "Damit ich einen soliden Grundstock für das Leben nach der Haft habe." Sogar einen Arbeitsplatz hat er schon in Aussicht.

Ob er dort anfangen kann, hängt von der Entscheidung des Gerichts am Mittwoch ab. Wenn es nach den Nebenklägern geht, bleibt er im Gefängnis. Rechtsanwältin Doris Benker-Roth, Bayreuth, und ihre Kollegin Kristina von Imhoff, Coburg, halten es für möglich, dass der Verurteilte seine Therapeuten getäuscht hat. Vor allem glauben Sie ihm nicht, dass er eine Beziehung zu einer Frau möchte.

Ein Wunsch, den der Sachverständige Detlev Blocher für authentisch hält. Der Facharzt und Experte für Forensische Psychiatrie aus Würzburg bezeichnet den Verurteilten nicht als einen Kernpädophilen, der nur auf kleine Jungs fixiert ist. Es liege als Grunderkrankung eine Störung der sexuellen Präferenz vor. Es sei zur Ausbildung von Erregungsmustern gekommen, "die ihm zunehmend gefallen haben".

Risiko unter zehn Prozent
Das Gefährdungs- und Rückfallrisiko bewegt sich nach Ansicht des Gutachters im einstelligen Prozentbereich. Es habe keine überbordende Gewalt gegeben. Entscheidend sei die Nachsorge, die Gespräche einmal wöchentlich bei den Therapeuten in der JVA Bayreuth.



Verfahren mit Seltenheitswert im Landgerichtsbezirk Bayreuth
Zum Thema Sicherungsverwahrung befragten wir aufgrund des aktuellen Falls den Sprecher des Landgerichts Bayreuth, Richter Jochen Götz.

Welchen Zweck hat die Sicherungsverwahrung?
Jochen Götz: Die Sicherungsverwahrung ermöglicht die Unterbringung gefährlicher Täter für die Zeit nach Verbüßung der Strafe. Sie ist an strenge, auch formale Voraussetzungen geknüpft. Insbesondere muss aber die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge seines Hangs zu erheblichen Straftaten - namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden - zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Weshalb gibt es - wie im aktuellen Fall - den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung?
Soweit die formalen Voraussetzungen vorliegen - Vorverurteilungen, Höhe der Strafe etc. - , allerdings noch nicht sicher feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass ein Hang zu erheblichen Straftaten vorliegt, kann die Sicherungsverwahrung vorbehalten werden. Über diesen Vorbehalt wird dann, wie gerade, in einem Nachverfahren geprüft, ob ein solcher Hang vorliegt. Dieses Nachverfahren muss vor Ende der Strafvollstreckung durchgeführt werden.

Wenn Sicherungsverwahrung angeordnet wird: Wann wird diese Entscheidung überprüft?
Die Überprüfung einer angeordneten Sicherungsverwahrung erfolgt nach den Vorgaben des Strafgesetzbuches jeweils nach einem Jahr. Wenn die Unterbringung bereits zehn Jahre besteht, beträgt die Frist neun Monate.

Gibt es solche Nachverhandlungen öfter?
Nein, derartige Fälle sind im hiesigen Landgerichtsbezirk tatsächlich recht selten, vielleicht ein Fall in fünf Jahren.