Der Leistungsdruck macht viele Schüler krank. Das sagt der Neudrossenfelder Kinderarzt und Kinderkardiologe Gerald Hofner.
Der Leistungsdruck macht viele Schüler krank. Das sagt der Neudrossenfelder "Kinderarzt und Kinderkardiologe Gerald Hofner, der im Internet auf der Website "derkinderarztblog.com" das Schulsystem kritisiert und sich für eine notenfreie Schule ausspricht, die es speziell für Kinder bis zum zwölften Lebensjahr geben sollte.
Wie häufig werden Sie als Kinderarzt mit Problemen im Zusammenhang mit der Schule kontaktiert?Gerald Hofner: Mehr als 20 Mal klären wir jede Woche vermeintliche Störungen im Zusammenhang mit Schulleistungen ab. Es sind viele Kinder, die mit Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Herzrasen, Schwindel oder noch intensiveren Problemen zu uns in die Praxis kommen. Zu mehr als 80 Prozent sind es Mädchen. Echte organische Befunde sind die Ausnahme.
Was sind die Ursachen?
Alles entsteht durch den Druck, der auf die Kinder einwirkt - durch den Konflikt zwischen Erfolgsstreben (das ja auch seine guten Seiten hat) und Versagensangst. Deshalb sind es auch meist sehr gute und ehrgeizige Schüler, die ich behandle.
Es sind selten die Eltern, die bewusst diesen Druck aufbauen. Er kommt aus der Schule. Nicht persönlich auf ein einziges Kind. Nicht persönlich durch den Lehrer. Es ist das System. Was den Druck auslöst, ist das sich Vergleichen. Das Messen mit anderen. Die Angst, im Leben zu versagen, wenn man nicht der oder die Beste ist.
Sie kritisieren das Notensystem?Kinder werden bereits ab dem frühen Grundschulalter in einem System von besser und schlechter groß. Sie werden in einem Alter, in dem ihre Persönlichkeit noch gar nicht die Reife haben kann, beurteilt, teilweise eben auch abgeurteilt.Wozu dienen Noten aus Sicht der Pädagogen? Sie sollen zu Leistung anspornen. Und Kinder vergleichbar machen. Aber eben nur bezüglich der am Lehrplan orientierten Schulleistungen. Soziale Fähigkeiten, Kreativität oder Problemlösungsfähigkeiten werden weder ausreichend geschult noch besonders geprüft. Obwohl das genau die Fähigkeiten sind, die die Gesellschaft und auch die Wirtschaft brauchen.
Sind es nicht die Noten, die Schüler motivieren, die ihre Lernmotivation steigern und somit auch die Leistung fördern?
"Erlernte" Noten täuschen über einen Mangel an für später viel wichtigeren Fertigkeiten hinweg. Erschwerend kommt hinzu, dass Noten, deren Ziel die Vergleichbarkeit ist, nicht einmal vergleichbar sind. Es ist ja belegt, dass verschiedene Lehrer verschiedene Leistungen unterschiedlich bewerten. Ganz zu schweigen von unterschiedlichen Standards in benachbarten Schulen oder Bundesländern. Alles zu Lasten der Persönlichkeitsentwicklung. Noten sind aus meiner Sicht ein Unfug. Jedenfalls im Alter bis zur Pubertät. Sie schaffen bei vielen Schülern einen falschen Wertmaßstab - und zwar offensichtlich mehr noch bei Mädchen. Noten erhöhen den Stresslevel, führen zu medizinischen Symptomen und belasten das Gesundheitssystem nicht unerheblich.
Tragen Eltern eine Mitschuld?Es gibt praktisch keine Eltern, die ihren Kindern bewusst Schuldruck machen. Aber unbewusst und unterschwellig passiert das dennoch. Und zwar in fast allen Familien. Solange die Reaktion der Eltern dieselbe ist wie die der Schule, unterstützen sie das System und erhöhen bei den empfänglichen Kindern den Druck.
Wenn Sie also etwa schlechte Noten bestrafen oder rügen. Aber auch, wenn sie gute Noten bezahlen. Mit schlechten Noten sind Kinder sowieso schon bestraft genug. Und gute Zensuren sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Noten nicht alles sind. Schon gleich gar nicht, bis aus Ihrem Kind eine reife Persönlichkeit geworden ist, die sich über ihre Stärken und Schwächen bewusst ist.
Sätze wie "dafür malst du wunderschön" oder "Einstein hatte auch 5er" können Noten relativieren. Auch gute Noten sollten nicht überbewertet werden. Eltern sollten sich mit dem Kind freuen, aber gute Bewertungen nicht zum Zentrum des Selbstbewusstseins machen.
Sie setzten sich für eine notenfreie Schule ein.
Lehrer und Pädagogen müssen die Bedeutung von Noten abschwächen. Viele Lehrer tun das glücklicherweise sowieso. Auch ihnen ist die Benotung in der Regel ein Graus. Sie führt auch bei ihnen zu Stress mit Schülern und Eltern und zu Konflikten, wenn die rechnerische Note nicht zu den wundervollen sonstigen Fertigkeiten eines Kindes passt.
Würde nicht ein pädagogisches Gutachten am Jahresende reichen, wenn ein Kind im Einzelfall Stoff wiederholen müsste, um nicht mit Lücken in die weiteren Jahre zu gehen? Oder wo soll der wichtige Unterschied sein zwischen einer Zwei oder einer Drei? Es gibt für Noten, auch unter Berücksichtigung medizinischer und entwicklungspsychologischer Erkenntnisse, im jungen Alter keine vernünftige Begründung. Wozu müssen Kinder in diesem Alter vergleichbar gemacht werden? Sie sind nicht vergleichbar.
Schule ohne Noten ist die Zukunft! Zumindest bis das Kind reif genug ist, sein Selbstbewusstsein nicht von Noten bestimmt zu sehen. Das haben andere Schulsysteme belegt, die mit weniger Druck mindestens zum selben Ergebnis kommen - aber gesünder und mit mehr langfristiger Lebensqualität.
Schule ohne Noten? Das sagt das Schulamt
Ist eine Schule ohne Noten die Zukunft? Nein, sagt der Leiter des Staatlichen Schulamtes, Michael Hack. Hack macht deutlich, dass es in Deutschland eine Leistungsgesellschaft gebe. Kinder dürfe man nicht in einem "goldenen Käfig" hüten, sie müssten lernen, dass der Leistungsgedanke zählt. "Der olympische Gedanke reicht nicht.In jedem Sportverein zählt es, zu gewinnen." Noten gäben Eltern wie Schülern zudem die Möglichkeit, die Fähigkeiten einzuschätzen. "Wird ein Test nicht bewertet, wollen zudem ja gerade auch die Kinder oft wissen, was es für eine Note gewesen wäre."
"Eltern machen Druck"
Zensuren gebe es erst im Jahreszeugnis der zweiten Klasse, so Hack. "Bis dahin sind es Wortgutachten." Ein Zeugnis sollte Eltern nicht überraschen. Wer über den Leistungsstand Bescheid wisse, könne frühzeitig reagieren. "Da sind Noten hilfreich."
Kein Systemfehler
Hack sieht keinen Systemfehler, vielmehr die Gefahr, dass Eltern zu großen Druck aufbauen. "Alle wollen, dass ihr Kind auf das Gymnasium oder die Realschule geht." Anspruch und Wirklichkeit klafften gelegentlich weit auseinander. Dabei sollten sich Eltern bewusst sein, dass auch Mittelschülern viele Möglichkeiten offen stünden. Das System sei zudem durchlässig, ermögliche auch nach der vierten Klasse einen Schulwechsel. So könne man in der Mittelschule von der fünften Klasse ans Gymnasium wechseln.
Es gebe auch Entwicklungen, die vom reinen Faktenlernen hin zu einer anderen Leistungsbewertung gingen. So werde im Lehrplan plus an der Grundschule Projektarbeit bewertete. Und Hack macht deutlich, dass Schüler, die durch Leistungsdruck krank werden, für zeitlich befristet oder generell sogar eine Notenbefreiung erhalten könnten.
Die Aussage des Leiters des Staatlichen Schulamtes Michael Hack ist unlogisch. Wenn Herr Hack das aktuelle Benotungssystem als sinnvoll und richtig erkennt, wieso gibt es dann für Schüler, die durch „Leistungsdruck krank werden“, die Möglichkeit, die Kinder befristet oder generell von der Benotung freizustellen? Allein dies ist doch schon eine klare Bestätigung der Aussage des Kinderarztes Gerald Hofner, dass das aktuelle Benotungssystem zwar nicht alle, aber doch viele Kinder krank macht. Und dass dieses Problem signifikant ist, lässt sich anhand der Anzahl der diesbezüglichen ärztlichen Behandlungen (mehr als 20 pro Woche bei einem! Kinderarzt) ableiten. Die Schulen haben eine Schwerpunktverpflichtung ein Klima für unsere Schulkinder zu gestalten, in dem sowohl physische, als auch psychische Überbelastungen verhindert werden. Wenn also eine solch große Anzahl von Schulkindern aufgrund psychischer Probleme ärztlich behandelt werden müssen, dann liegt selbstverständlich ein Systemfehler vor. Dass andere Länder (z.B. Finnland) uns hier weit voraus sind, ist kein Geheimnis. Man muss es nur sehen wollen. Es wird endlich Zeit, der Gesundheit unserer Kinder mehr Beachtung zu schenken und das Schul- Benotungssystem darauf auszurichten.
Mit Verlaub, es ist Unsinn, daß uns Finnland weit voraus ist. Die erfolgreichen PISA Ergebnisse des Landes stammten aus der Zeit des guten alten Frontalunterrichts und wurden mit Einführung sogenannter neuer Modelle schlechter. Wattebäuschchenwerfen hilft hier nicht, spätestens im Berufsleben werden die notenlosen "Überflieger" wieder krank, weil die Leistung fehlt. Dieser Vorschlag soll extrovertierte Lautsprecher fördern, die auf dem Notenblatt das Nachsehen haben. Es sind aber oft die Stillen, die eine Gesellschaft voran bringen.
Herr Hack hat völlig recht mit seiner Einschätzung!
Die Betrachtung „nur der Sieger zählt“ oder wie es der Leiter des Staatlichen Schulamtes, Herr Hack, ausdrückt „in jedem Sportverein zählt es, zu gewinnen“ führt ja genau dazu, dass die von dem Kinderarzt Gerald Hofner beobachtete gefährlich Zunahme von Erkrankungen unserer Schulkinder auftritt. Durch diese wenig durchdachte und viel zu kurz gegriffene Haltung erzeugt man zwar einen glücklichen Sieger, dafür aber eine große Anzahl frustrierter Verlierer. Und diese „Verlierer“ werden dann zusätzlich noch von „schulsystem-verstörten“ Eltern, die meinen, dass ein Kind nur was wert ist, wenn es Abitur hat, unter Druck gesetzt. Ganz ausgeblendet wird hierbei, dass es sich hier um keine Leistungssportler, sondern um unsere Kinder handelt, die für Aufgaben begeistert und nicht gedrillt werden sollten. Es erschüttert mich schon, dass die für die Ausbildung und Entwicklung unserer Kinder Verantwortlichen, die Kinder immer noch als Fässer sehen, die – zum Teil mit unsinnigen Informationen – gefüllt werden müssen, statt sie als aufkeimendes Feuer zu sehen, das entfacht werden muss. Und genau hieraus würde eine Begeisterung und Kreativität entstehen, die dringend erforderlich für unsere gesellschaftliche und auch ökonomische Entwicklung im globalen Markt ist. Fazit: Herr Hack hat nicht recht.