Tanja Pachali fühlt sich wie viele Mütter derzeit oft überfordert. Sie beobachtet mit Sorge, wie ihre Zwillinge unter dem Lockdown leiden.
"Mamaaaa! Maaaamaaaa!" Matteo und Toni toben durch die Wohnung. Die Zwillinge sind sechs Jahre alt, lebhafte Jungs, kontaktfreudig und mit großem Drang nach Aktivität und Abwechslung. Seit Monaten spielt sich ihr Alltag fast ausschließlich zu Hause ab, kein Kindergarten, kaum Kontakte zu anderen Kindern oder überhaupt zu anderen Menschen außerhalb der engsten Familie. "Das ist anstrengend", sagt Mutter Tanja Pachali. Ihre Jungs wollen Aufmerksamkeit, müssen beschäftigt werden. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille - die Seite, die die 42-Jährige gut im Griff hat.
Ängste und Alpträume
Die andere Seite - das sind die Ängste ihrer Kinder, die wachsende Nervosität, das Verlernen sozialer Kompetenzen, Schlafstörungen, Alpträume, Nervosität. "Ich habe nachts ein weinendes Kind im Arm, das mir erzählt: ,Ich habe geträumt, dass Oma wegen mir an Corona gestorben ist. Weil ich sie angesteckt habe.' Bei der nächsten Begegnung mit der Oma sagt mein Sohn zu ihr: ,Oma, du darfst mich nicht küssen. Sonst stirbst du.' Das bricht beiden das Herz."
Zum Beginn der Pandemie vor einem Jahr waren die Zwillinge fünf Jahre alt. "Ein Jahr ist lang für einen Fünfjährigen. Er versteht nicht, warum niemand mehr zu Besuch kommt, warum er seine Freunde nicht sehen darf."
Trotz aller alltäglichen Herausforderungen: "Ich habe es gut, weil ich Zeit habe, mich um die Kinder zu kümmern und keine Existenzangst haben muss", sagt Tanja Pachali. Die Reiseverkehrskauffrau ist in Kurzarbeit. Das Haus bietet Platz, es gibt einen Garten.
Also eigentlich beste Voraussetzungen, um gut durch die Krise zu kommen. Die Pachalis haben es dadurch leichter als Familien in beengten Wohnverhältnissen. Aber das Stresslevel ist trotzdem hoch. Warum das so ist, das zeigt sich im Gespräch mit der BR-Redakteurin. Die Zwillinge sind aufgedreht: Es kommt Besuch. Eine Seltenheit. Die Jungen überbieten sich gegenseitig darin, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Kaum zwei Minuten ruhiges Gespräch sind möglich. Es gibt ständig etwas zu zeigen und zu erzählen oder zu streiten. All das vor allem eines: laut.
"Am Anfang der Pandemie, im ersten Lockdown, hat es sich noch fast ein bisschen wie Urlaub angefühlt. Wir dachten, das ist für ein paar Wochen. Da kriegt man die Zeit auch ohne Kita geregelt." Seit dem zweiten Lockdown sei die Situation aber schon deutlich angespannt. "Ich schlafe schlecht, bin dünnhäutig, lärmempfindlich, habe manchmal einfach keine Geduld mehr, fühle mich überfordert."
Kürzlich habe sie eine Panikattacke erlitten. "So etwas kenne ich normalerweise nicht. Aber meine Hausärztin sagt, das sei derzeit nicht ungewöhnlich. Viele Mütter kämen mit Burn-out-Symptomen in ihre Praxis. Ich stelle mir vor, wie viel schlimmer das für Frauen und Männer sein muss, die alleinerziehend sind oder in finanziellen Nöten."
"So kann man nicht ewig weitermachen"
Dass sich die Corona-Pandemie auf die Psyche von Eltern und Kindern auswirkt, sieht Thomas Koch, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Kulmbach, als erwiesen an. Auch in seiner Praxis in Mainleus häufen sich vergleichbare Fälle. Für den Mediziner ist klar: "Die andauernde Lockdown-Situation schlägt aufs Gemüt. Es muss den Politikern klar sein, dass man so nicht ewig weitermachen kann. Und das sage selbst ich als Mediziner, dem der Infektionsschutz natürlich sehr wichtig ist."
Familien mit Haus und Garten könnten das ständige Zusammensein noch einigermaßen ausgleichen. "Aber es gibt ja nicht wenige, die in ihrer Wohnung ohne Balkon oder Garten über Wochen und Monate zusammengepfercht sind. Das ist eine sehr schwierige Situation, erst recht mit kleinen Kindern. Kein Wunder, dass da die Nerven blank liegen."
Verschiedene Institutionen bieten Familien in der Krise Hilfe an (siehe Infokasten "Rat und Hilfe für Familien"). Doch die Ursache des Problems bleibt, so lange das Virus gewohnte Strukturen außer Kraft setzt.
In der Beratung noch nicht spürbar
Machen sich coronabedingte familiäre Ausnahmesituationen bei den Beratungsstellen bereits konkret bemerkbar? Das Erzbistum Bamberg bietet in Kulmbach psychologische Beratung bei Ehe-, Partnerschafts-, Familien- und Lebensfragen an. Petra Heckel, Sozialpädagogin und systemische Familientherapeutin, sieht sich bislang noch kaum mit derartigen Problemen konfrontiert - aber nicht etwa, weil es sie nicht gäbe. "Das wird später kommen, nach der Pandemie. Im Moment kommt mit diesen Sorgen niemand in eine Beratung. Man hat ja gar keine Möglichkeit dazu, gerade wenn zu Hause Kinder betreut werden müssen."
In der Beratung hat Petra Heckel derzeit die Klienten, die auch vor der Pandemie schon da waren, vor allem Paare in schwierigen Lebenssituationen. Aber dass es in der Folge der Corona-Krise noch vieles aufzuarbeiten geben wird, daran hat sie keinen Zweifel.
"Singen ist gefährlich"
Matteo und Toni gehen jetzt montags wieder zur Notbetreuung in die Kita Höferänger, während ihre Mutter arbeitet. "Toll", freut sich Toni. Seine Freunde hat er sehr vermisst. "Aber es ist nicht alles wie früher. Wir dürfen nicht singen. Wegen der Aerosole. Die sind gefährlich."
Tanja Pachali machen solche Aussagen Sorge. Das sind keine Dinge, über die sich ein Vorschüler Gedanken machen sollte, findet sie. Sie bedauert, dass in der Diskussion über die Folgen von Corona die Jüngsten vergessen werden. "Man redet über Friseure und Baumärkte, doch darüber nicht."
Letztlich hat die Krise der Mutter aber auch Positives gezeigt, das ihr Hoffnung macht. "Die Kita-Mitarbeiterinnen sind über sich hinausgewachsen, um den Kontakt zu ihren Kindern zu halten, haben sich immer wieder Aktionen für zu Hause ausgedacht. Und die Solidarität der Mütter untereinander ist eine Hilfe. Man betreut abwechselnd mal ein Kind mit, um der anderen Mutter Zeitfenster für Termine zu schaffen, zu denen sie derzeit kein Kind mitbringen darf."
Kommentar: Generation Corona
Was macht die Pandemie aus unserer Gesellschaft? Seit einem Jahr gibt es nur noch das eine Thema: Covid-19. Das Virus dominiert alle Lebensbereiche, auch den Alltag der Kleinsten. Kindergartenkinder sprechen fehlerfrei vom Sieben-Tage-Inzidenzwert, fürchten sich vor Aerosolen, haben Angst, dass andere ihretwegen krank werden.
Ein Jahr ist viel Zeit im Leben der Generation Corona. Kontaktbeschränkungen, Menschen mit Maske, Lockdown und Hilflosigkeit werden später für ein paar Jahrgänge zu den frühesten Erinnerungen gehören.
Sich in große Gruppen zu integrieren, unbefangen auf andere Menschen zuzugehen, das müssen die Kleinen neu lernen. Grundschullehrer, die ab September Erstklässler unterrichten, werden ihnen Dinge beibringen müssen, die normalerweise im letzten Kindergartenjahr gelehrt werden.
Bei allen notwendigen Diskussionen über Gastronomie und Einzelhandel, über Dienstleister und Senioren, medizinisches Personal und Lehrer werden die Kita-Kinder meist vergessen. Als gäbe es das Problem für sie nicht, weil sie ja noch klein sind.
Doch diese Kleinen bekommen täglich sehr direkt mit, dass etwas nicht stimmt in ihrem Leben. Sie tun sich nur wesentlich schwerer damit, es zu verstehen. Das macht das Problem freilich nicht kleiner. Auch für die Eltern nicht, die keine befriedigenden Antworten auf viele Fragen ihrer Kinder haben. Sie wissen ja selbst nicht, wie es weitergeht.