Ludwigschorgast
Tragödie

Kein Schuldiger? Pauls Eltern sind fassungslos

Vor einem Jahr ist Paul (2) in Ludwigschorgast ertrunken. Dass das Ermittlungsverfahren wegen versuchter Tötung gegen drei Mitarbeiterinnen der Kindertagesstätte jetzt eingestellt worden ist, macht die Eltern fassungslos.
Pauls Grab auf dem Ludwigschorgaster Friedhof
Pauls Grab auf dem Ludwigschorgaster Friedhof Foto: Familie Walther

Es ist ein mehrseitiges Schreiben, dessen Inhalt Anna (29) und Patrick Walther (33) fassungslos macht. Ein Schreiben, in dem die Staatsanwaltschaft Bayreuth den Eltern des kleinen Paul mitteilt, dass kein Strafverfahren eingeleitet wird, dass niemand dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass ihr zweijähriger Sohn ertrunken ist. Paul war (wie mehrfach berichtet) im Juli 2021 unbemerkt aus der Ludwigschorgaster Kindertagesstätte gelangt und in der Folge auf dem Nachbargrundstück in einem Wasserbecken ertrunken. Das Ermittlungsverfahren, das wegen fahrlässiger Tötung gegen drei Mitarbeiterinnen eingeleitet worden war, wurde jetzt eingestellt.

"Sonst wäre das doch nicht passiert"

Wut macht sich in Pauls Familie breit. Und absolutes Unverständnis. Niederschmetternd sei das Ergebnis, sagt Patrick Walther, der nach wie vor davon überzeugt ist, dass es einen Verantwortlichen geben muss. "Sonst wäre das doch nicht passiert." Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft wollen er und seine Frau nicht akzeptieren. "Wir haben über unseren Rechtsanwalt Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft eingelegt." Der 33-Jährige sieht etliche Fehler, schon allein formale, die der Anklagebehörde nicht hätten passieren dürfen. "Paul wurde nicht am 6.11.2018 geboren, wie es in dem Schreiben heißt, sondern am 25.11. Auch unser Nachname wurde falsch vermerkt. Unser Walther schreibt man mit ,h' und nicht ohne."

"Kein hinreichender Tatverdacht"

Die juristische Bewertung der Staatsanwaltschaft, die er überhaupt nicht teilt, lässt sich so zusammenfassen: Die Ermittlungen wurden eingestellt, weil es keinen hinreichenden Tatverdacht gegeben habe. Die beiden Hauptbeschuldigten hätten zwar die Aufsicht über die "Käfergruppe" gehabt, es habe aber keine Verpflichtung zur lückenlosen Beaufsichtigung des kleinen Paul gegeben, zumal dieser sich altersgemäß entwickelt und keine besonderen Verhaltensauffälligkeiten gezeigt habe, wie Leitender Oberstaatsanwalt Martin Dippold unserer Zeitung erläutert. Da der Garten eingezäunt war, hätten die Erzieherinnen nicht damit rechnen müssen, dass Paul aus der Anlage kommen könne.

Vieles bleibt ein Geheimnis

Der Ablauf hat sich laut Staatsanwaltschaft nicht mehr exakt rekonstruieren lassen. Man habe auch nicht klären können, wie lange die Beschuldigten Paul nicht im Blick hatten, wie der Zweijährige aus der Anlage gelangen konnte. Selbst wenn die Beschuldigten den Jungen aufsichtspflichtwidrig nicht im Blick gehabt hätten, könne die Kausalität zur Todesursache nicht nachgewiesen werden. Für die Strafbarkeit muss laut Martin Dippold ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die Aufsichtspflicht und dem Tod bestehen, den es nicht gegeben habe.

Ein Tiefschlag

Ausführungen, die für die Eltern ein Tiefschlag sind. "Es kann doch nicht sein, dass die Betreuerinnen nur zeitweise ihrer Aufsichtspflicht nachkommen müssen", sagt Patrick Walther, für den das Signal, das von der Entscheidung an alle Erziehungsberechtigten ausgehe, beängstigend sei. "Ich gebe meine Kinder doch ab, damit sie beaufsichtigt werden." Der Vater macht in der Begründung auch Widersprüche aus. Zum einen heiße es, dass Paul körperlich gut entwickelt gewesen sei, er nicht ständig unter Aufsicht habe stehen müssen, zum anderen habe man aber nicht erwarten können, dass er über den Zaun klettern kann. "Das passt doch alles nicht zusammen."

Gegen den Grundstückseigentümer hat die Staatsanwaltschaft kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Auch gegen den Träger, die Kirche, die für die Sicherheitsmaßnahmen verantwortlich ist, wird nicht weiter ermittelt. Es könne nicht nachgewiesen werden, dass der Zweijährige an der Stelle über den Zaun geklettert ist, an der dieser nicht die erforderliche Höhe hatte, heißt es zur Begründung.

Vater: Der Zaun war mangelhaft

Auch das kann Patrick Walther nicht verstehen. Die Sicherheitsvorkehrungen seinen mangelhaft gewesen. Der Maschendrahtzaun habe an bestimmten Stellen nicht die erforderliche Mindesthöhe gehabt, zudem habe man unter ihm durchkriechen können. "Das ist immer wieder passiert. Wohl auch deshalb hat man im Frühjahr diesen Jahres den alten durch einen neuen Zaun ersetzt."

Rechtsanwalt: "Absolut unverständlich"

Das untermauert der Rechtsanwalt der Familie Walther, Andreas Piel. Dem Träger wie auch den Erzieherinnen sei bekannt gewesen, dass die Sicherungsmaßnahmen mangelhaft seien. Man hätte einer gesteigerten Aufsichtspflicht nachkommen müssen, "weil man wusste, dass Kinder leicht ausreißen können". Der Träger hätte handeln müssen, weil er gewusst habe, dass der Zaun nicht den Vorschriften entspreche. Ein Versuch einer Mutter habe gezeigt, dass selbst eine 14-Jährige unter dem Zaun durchkriechen könne. Die Kinder hätten problemlos das Gelände verlassen können, wenn keiner aufgepasst habe, sagt Rechtsanwalt Andreas Piel: "Sie haben ja auch immer wieder Bälle zurückgeholt, die über den Zaun gelangt sind." Dass das Verfahren nun eingestellt worden ist, sei für ihn absolut unverständlich.

"Folgerichtig"

Für die Rechtsanwälte der Beschuldigten ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nachvollziehbar. Alexander Schmidtgall, der eine der beiden Hauptbeschuldigten vertreten hat, hatte die Einstellung beantragt, weil seiner Mandatin kein Schuldvorwurf gemacht werden könne. Die Mandantin von Rechtsanwalt Frank Stübinger hatte eine andere Gruppe betreut, die sich wegen Bauarbeiten an dem Tag im selben Gartenbereich wie Pauls "Käfergruppe" aufgehalten hatte. "Sie war für ihre Gruppe zuständig, deshalb ist die Einstellung folgerichtig", stellt Stübinger fest.

Aus menschlicher Sicht sei nachvollziehbar, dass die Eltern mit dem Ermittlungsergebnis hadern, stellt Oberstaatsanwalt Martin Dippold fest. "Wir müssen aber die Fakten und rechtlichen Vorgaben beachten. Ein strafrechtliches Vergehen ist nicht zu erkennen."