Im Bayreuther Missbrauchsprozess bröckelt die Anklage

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Im Bayreuther Missbrauchsprozess scheint die Anklage zu bröckeln. Jedenfalls hat sich das Gericht zu einem Tatkomplex ungewöhnlich deutlich geäußert. Symbolfoto: Christopher Schulz
Im Bayreuther Missbrauchsprozess scheint die Anklage zu bröckeln. Jedenfalls hat sich das Gericht zu einem Tatkomplex ungewöhnlich deutlich geäußert. Symbolfoto: Christopher Schulz

Die 1. Große Strafkammer lässt umfangreiche Nachermittlungen durchführen. Deren Ergebnisse stützen offenbar die Angaben der Hauptbelastungszeugin nicht - im Gegenteil.

Für die Anklage wird die Luft im Bayreuther Missbrauchsprozess dünner. Nachdem im Laufe des langwierigen Verfahrens bereits zwei Alibis aufgetaucht sind und nach Wegfall des dringenden Tatverdachts der Haftbefehl aufgehoben worden ist, hat sich die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Bayreuth am Mittwoch ungewöhnlich deutlich zu einem mutmaßlichen Tatkomplex geäußert.

Der 71-jährige Angeklagte, der von seiner Tochter der mehrfachen Vergewaltigung bezichtigt wird und sich auch an seiner Ex-Frau und seinen beiden Enkelinnen vergangen haben soll, kommt wohl für eine schwere Straftat am 2. Dezember 2010 nicht in Frage. Es gibt Beweise für einen gemeinsamen Hotelaufenthalt des Angeklagten und seiner neuen Frau sowie für seine Teilnahme an einer abendlichen Würfelrunde im Tennisklub.


"Eins und eins zusammenzählen"

"Wir haben in alle Richtungen nachermittelt", so Vorsitzender Richter Michael Eckstein. Die Ergebnisse seien aber nicht mit den Angaben der Hauptbelastungszeugin in Einklang zu bringen. "Da muss man nur eins und eins zusammenzählen", sagt Eckstein. Die Anklage bröckelt.

Auch was einen weiteren Vergewaltigungsvorwurf am 9. Mai 2011 angeht, tun sich Fragen auf. So betont die Ex-Freundin des 71-Jährigen, die am Mittwoch zum zweiten Mal vernommen worden ist, dass sie zusammen mit dem Angeklagten dessen Tochter vom Dortmunder Hilton-Hotel abgeholt habe. "Sie sah an dem Abend sehr gut aus, war gebräunt, und sie trug ein rotes Sommerkleid", erinnert sich die Zeugin. Allerdings könne sie nichts zum Termin sagen.

Möglicherweise handelt es sich hier um eine Verwechslung. Denn im Kalender der Zeugin findet sich für den 7. Juni 2010 ein Eintrag mit dem Namen der Tochter. Daraus könnte man schließen, dass nach deren Angaben bei der Polizei ein falsches Datum in die Anklageschrift gelangt ist. Dass es den Aufenthalt in Dortmund aber sehr wohl gegeben hat.


Was geschah in der Küche?

Auch zur Erhellung eines dritten Tatkomplexes, der sich am 2. Mai 1999 zugetragen haben soll, kann die Ex-Freundin wenig beitragen. Damals geht die ältere Enkelin zur Erstkommunion. Deren Nebenklagebeistand, Rechtsanwalt Wolfram Schädler aus Wiesbaden, fragt nach einem Vorfall am Vorabend der Feier im Wohnhaus der Eltern. Sie sei schon im Bett gewesen, so die Zeugin, aber ihr Freund sei nicht gekommen. "Da bin ich runter, um nachzusehen." In der Küche habe sie den Angeklagten und seine Tochter angetroffen. Sie vermute, dass er sich ihr habe annähern wollen. "Für mich war die Situation unangenehm", so die Ex-Freundin.

Verteidiger Johann Schwenn gibt zu erkennen, dass er der Zeugin misstraut und ihr deshalb "auf den Zahn fühlen" will. "Sie hat ein massives Rachemotiv", erklärt der Anwalt aus Hamburg. Sie habe sehr gut auf Kosten des Angeklagten gelebt.


Kritik an Polizei

Was Schwenn aber noch mehr stört, sind die Ermittlungen der Polizei. Es sei versäumt worden, die Ex-Freundin zu einzelnen Tatvorwürfen mit einem konkreten Datum zu befragen. Im Protokoll fehle eine genaue zeitliche Orientierung. "Man muss erwarten, dass Vernehmungen korrekt geführt werden", sagt er, "ich versuche, eine polizeiliche Schlechtleistung zu erfragen." Auf Vorhalt des Verteidigers bestätigt die Zeugin, dass sie bei der Polizei nur über Auffälligkeiten, Begebenheiten oder Charaktereigenschaften des Angeklagten habe berichten sollen.

Nun folgt erneut eine längere Gerichtspause. Der Prozess wird am 18. Dezember fortgesetzt.