Wortgewaltige Unterstützung für Oberfrankens SPDler auf der Zielgeraden: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft lockte am Donnerstag beim "Politischen Sommerabend" rund 200 Besucher ins Dampflokmuseum nach Neuenmarkt. Die 52-Jährige fuhr erst eine Runde mit der Museumsbahn und danach Schlitten mit der Regierung Merkel/Seehofer .
Willy Brandt ist in ihm 1970 zum ersten deutsch-deutschen Gipfel nach Erfurt gedampft; elf Jahre später nutzte Helmut Schmidt den grünen Salonspeisewagen 10 242 für die Rückfahrt nach seinem Gespräch mit DDR-Staatsratsvorsitzendem Erich Honecker in Güstrow. Hannelore Kraft wagt am Donnerstagabend am Randes ihres Wahlkampfbesuchs im Deutschen Dampflokmuseum in Neuenmarkt einen Blick ins Innere des geschichtsträchtigen Verkehrsmittels. Vielleicht mit dem Gedanken im Hinterkopf: Stünde der Waggon noch nicht auf dem Museumsabstellgleis - wann nähme der nächste sozialdemokratische Kanzler darin Platz? Oder eine Kanzlerin? Eine namens Kraft vielleicht?
Runter vom Oppositionsgleis Aufs Abstellgleis der Macht sollen Bayerns Christsoziale geschoben werden.
Dafür haben Oberfrankens Sozialdemokraten die Ministerpräsidentin aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland akquiriert. Gebuhlt haben viele um die 52-Jährige - gekommen ist sie nach Neuenmarkt. "Gell, do glotzt ihr, dass mir sie tatsächlich hergebrocht und den Lokschuppen voll kricht ham", sprudelt es aus einer hochgestimmten Landtagskandidatin Inge Aures heraus.
"Das ist wie Heimat." Hannelore Kraft nickt bewundernd beim Anblick der Lokomotiven. "Ich habe bei mir daheim in Mühlheim an der Ruhr auch so einen Ringlokschuppen, aber der ist bei weitem nicht so gut bestückt wie Eurer." Und diese Museumsstücke stehen noch voll unter Dampf. Davon kann sich die Westfälin bei einer Fahrt im Führerstand überzeugen. "Puh, ist das warm.
Da weiß man, was die Lokführer und Heizer früher geleistet haben."
Eine Viertelstunde später wird sie das Erlebte in ihre Rede einbauen, als es um das Thema Mindestlohn geht. "Wer hart arbeitet, egal in welcher Branche, der hat Anspruch auf eine Bezahlung, von der er leben kann." 8,50 Euro ist die magische Zahl. Hannelore Kraft weiß, dass sie damit punktet bei den Zuhörern in Neuenmarkt. Beifall von den Biertischen, SPD-Fähnchen schwingen unter der Kuppel.
"Ich werde gerne leidenschaftlich" Bei "klassischen" Themen wie der sozialen Gerechtigkeit oder der Kinderbetreuung hebt die Ministerpräsidentin auch mal die Stimme. "Da werde ich gerne leidenschaftlich." Geballte Fäuste am Rednerpult, etwa als sie das CSU-Betreuungsgeld in die Ecke der politischen Verirrungen rangiert.
Die 52-Jährige macht klar: Kuschelwahlkampf gegen das schwarz-gelbe Lager auf Landes- und Bundesebene ist nicht. Nicht mit ihr. "Wenn auch manche sagen, die Volksparteien würden sich nicht großartig unterscheiden - sie liegen mit dieser Einschätzung falsch." Beim Mindestlohn trennten SPD und CDU/CSU/FDP ebenso Welten wie bei der Krankenversicherung, bei der Energiepolitik, bei der Neuordnung des Steuerwesens und der Pflege. Alles Felder, auf denen Angela Merkel und ihre Koalition mit den Liberalen versagt hätten.
Eine Neuausrichtung in diesen Bereichen kostet freilich Geld, da redet Kraft nicht um den heißen Brei herum. Vor allem was die Ertüchtigung der Infrastruktur angeht, stoße die erste Frau im NRW-Staat schon jetzt an ihre finanziellen Grenzen. "Ich muss allein für schlappe 3,5 Milliarden Euro marode Autobahnbrücken sanieren. Der gesamte Haushalt aber umfasst nur 60 Milliarden.
Die Schienen hier im Museum scheinen mir dagegen ja noch sehr in Ordnung", scherzt sie. Gelächter im Lokschuppen.
Hannelore Kraft lacht nur kurz mit, denn die Finanzlage ist ernst. Wenn Länder und Kommunen immer mehr Aufgaben schultern müssten, dann brauche es die nötige monetäre Ausstattung dafür. Deswegen die SPD-Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz. "Die von uns geplanten 49 Prozent treffen gerade fünf Prozent der obersten Einkommensbezieher. Zur Erinnerung: Unter Helmut Kohl waren's 53 Prozent. Und wir reden hier von einem zu versteuernden Bruttojahreseinkommen für Paare von jenseits der Viertelmillion."
Niedriglöhne sozialer Sprengstoff Dem anderen Ende der Verdienstskala widmet sich Bundestagskandidat Simon Moritz.
"Allein in den Landkreisen Kulmbach und Lichtenfels gibt es über 17.000 Männer und Frauen, die bisweilen deutlich unter acht Euro brutto die Stunde verdienen. Ein Fünftel muss sich mit einer Zweitbeschäftigung über Wasser halten." Die Worte des 29-Jährigen beeindrucken offenbar auch den Gast aus dem Westen: "Wer mit so viel Herzblut redet, der muss in den Bundestag als Vertreter für die Menschen hier", sagt Kraft.
Kaum ist sie von der Bühne, bestürmen sie schon Besucher mit der Bitte um ein Foto oder ein Autogramm. "Da steht ja auch Bruder Johannes Rau drin", sagt die Ministerpräsidentin erfreut, als ihr ein Mann Stift und Blockt hinhält. Sie setzt ihre Unterschrift neben die des verstorbenen Grandseigneurs der SPD. Der übrigens nie in einem Salon wagen fuhr.