Freibad-Unfall: War es doch fahrlässige Tötung?

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Im Himmelkroner Freibad geschah das Unglück am 22. Juli 2014. Foto: BR-Archiv
Im Himmelkroner Freibad geschah das Unglück am 22. Juli 2014. Foto: BR-Archiv

Wendung im Fall der ertrunkenen Vanessa (8): Der Bademeister und eine Übungsleiterin des TSV Himmelkron haben sich womöglich strafbar gemacht. So jedenfalls wertet das Bamberger Oberlandesgericht den Stand der Ermittlungen.

Ihre Tochter Vanessa blickt von einem Foto an der Wand. Die Achtjährige starb am 22. Juli 2014, ertrunken im Himmelkroner Freibad. Ihrer Mutter Ruslana Koska kommen beim Anblick des Mädchens die Tränen. Seit dem schrecklichen Unglück ist die Welt der 39-jährigen gebürtigen Ukrainerin aus den Fugen. Die Ehe mit ihrem Mann ging in die Brüche, sie selber braucht psychologische Betreuung, nimmt Psychopharmaka, um überhaupt durch den Tag zu kommen.
"Das aber ist nun, nach all dem Entsetzen, endlich mal eine gute Nachricht", sagt sie. Ruslana Koska tippt mit ihrem Finger auf das jüngste Schreiben ihres Anwalts Gert Lowack. Darin teilt der Bayreuther Jurist seiner Mandantin mit: Das Oberlandesgericht Bamberg sieht, anders als die Staatsanwaltschaft Bayreuth, durchaus ein Verschulden sowohl des Bademeisters als auch einer Übungsleiterin des TSV Himmelkron, die mit der Schülergruppe damals aufgrund des schönen Sommerwetters eine Sportstunde aus der Turnhalle kurzerhand ins Himmelkroner Freibad verlegt hatte.


Wiederbelebung misslang

Vanessa war, offenbar von den Aufsichtspersonen unbemerkt, im Schwimmerbecken auf den Grund gesunken; als sie geborgen wurde, war sie bereits bewusstlos. Wiederbelebungsversuche scheiterten, das Kind fiel ins Koma und starb sechs Tage nach dem Unfall im Bayreuther Klinikum.
Die Bayreuther Staatsanwaltschaft hatte kein Verschulden der Aufsichtspersonen gesehen und sie von jeglicher Schuld freigesprochen. Ruslana Koska hingegen hatte hatte versucht, eine Klage gegen vier Beteiligte zu erzwingen wegen fahrlässiger Tötung. Nach Paragraf 222 Strafgesetzbuch heißt es dazu: "Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
Nun liegt der Fall beim Oberlandesgericht (OLG) in Bamberg als der höchsten Instanz. Zunächst, so schreibt Lowack, müsse zwar noch die Generalstaatsanwaltschaft dazu Stellung nehmen. Allerdings gehe er davon aus, dass auf Grund der klaren Worte des OLG die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufnehmen werde. Man könne damit rechnen, so der Anwalt, dass sowohl der Bademeister als auch eine der beteiligten Übungsleiterinnen zur Rechenschaft gezogen würden.
In dem Papier des OLG, das der BR vorliegt, heißt es: Der für diesen Fall zuständige 3. Strafsenat neige aufgrund des derzeitigen Stands der Ermittlungen dazu, den hinreichenden Tatverdacht für die Erhebung einer öffentlichen Klage zu bejahen.


Nicht hinreichend informiert?

Der Übungsleiterin legt der Senat unter dem Vorsitz von Richter Wolfgang Schiener unter anderem als schuldhafte Pflichtverletzung aus, sie habe sich nicht hinreichend informiert darüber, ob Vanessa wirklich richtig schwimmen konnte. Vanessas Mutter beteuerte immer wieder, ihre Tochter habe nicht schwimmen können, weswegen sie ihr auch ein Schwimmbrett mitgegeben habe. Die Himmelkronerin könne nicht verstehen, "wieso man mein Kind überhaupt in das Schwimmerbecken reingelassen hat".
Das Oberlandesgericht betont, die Übungsleiterin habe sich auch nicht darauf verlassen dürfen, was Vanessa bekundet habe. Angeblich habe das Mädchen angegeben, es habe das "Seepferdchen" abgelegt und könne sich demzufolge ausreichend sicher über Wasser halten. Die Beschuldigte hätte sich nicht auf die Worte des Kindes verlassen dürfen, sondern sich persönlich und eingehend vergewissern müssen, dass die Achtjährige nicht nur mit vermeintlichen Fähigkeiten prahlen wollte.
Zudem wirft das OLG der Betreuerin vor, für die zwölfköpfige Gruppe Schüler Eis geholt und dadurch für einige Minuten ihre Sorgfaltspflicht verletzt zu haben. Der Frau hätte zudem später - und vor allem zeitnah - von ihrem Standort am Beckenrand aus das Untergehen des Mädchens auffallen müssen.
Die Beschuldigte habe bei ihrer Vernehmung behauptet, Vanessa noch lebend am Rand des Schwimmbeckens gesehen zu haben, etwa zweieinhalb Minuten, bevor ein anderes Mädchen aus der Gruppe Alarm geschlagen hatte, die Achtjährige würde regungslos am Grund des Beckens treiben.
Es spreche laut OLG auch alles dafür, dass dadurch die Rettung des Mädchens zu spät erfolgte. Es sei bereits bewusstlos gewesen, die Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff sei demnach bereits eingetreten, wie auch ein Gutachter bescheinigt habe.
Zur Verschlimmerung der Lage beigetragen habe möglicherweise auch der Wiederbelebungsversuch der Betreuerin. Durch die Reanimation habe sich Vanessa erbrochen, was zusätzlich die Atemwege verstopfte.


Aufsichtspflicht verletzt

Einen hinreichenden Tatverdacht sehen die Richter auch beim Bademeister gegeben. Der Mann hatte - laut Aussage einer Zeugin - von dem Unfall erst etwas mitbekommen, als besagte Zeugin ihn nach der Bergung Vanessas aus dem Wasser in seinem Büro beim Zeitunglesen angetroffen habe. Dieses Verhalten stelle laut Strafsenat einen Verstoß gegen die Richtlinien der "Deutschen Gesellschaft für das Badewesen" dar: Der Beschuldigte habe offenkundig private Belange erledigt und sich nicht um seine Aufsichtspflichten gekümmert.
Die Betroffenen möchten sich wegen des laufenden Verfahrens zu den Vorfällen nicht äußern. Himmelkrons Bürgermeister Gerhard Schneider (CSU) sagte auf Nachfrage, er habe am Rande mitbekommen, dass der "tragische und höchst bedauerliche Unfall" offenbar juristisch weiterverfolgt werde. "Mehr kann ich dazu momentan nicht sagen, die Unterlagen liegen mir nicht vor. Da ist jetzt Sache des Gerichts."