Fall Peggy: Hohlraum, aber keine Leiche

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Der Pressesprecher der Polizei, Jürgen Stadter, spricht am 23.04.2013 vor Medienvertretern in Lichtenberg. Foto: dpa
Der Pressesprecher der Polizei, Jürgen Stadter, spricht am 23.04.2013 vor Medienvertretern in Lichtenberg. Foto: dpa
Mehrere Laster mit Tonnen an Erdaushub verließen gestern die Hofeinfahrt des Anwesens am Marktplatz 33 in Lichtenberg. Das Erdreich wird in der Nähe gelagert und von Spezialisten der Kripo untersucht. Heute sollen die Grabungsarbeiten fortgesetzt werden. Foto: dpa
Mehrere Laster mit Tonnen an Erdaushub verließen gestern die Hofeinfahrt des Anwesens am Marktplatz 33 in Lichtenberg. Das Erdreich wird in der Nähe gelagert und von Spezialisten der Kripo untersucht. Heute sollen die Grabungsarbeiten fortgesetzt werden. Foto: dpa
 
Dieses Haus nehmen die Fahnder der Polizei genau unter die Lupe. Foto: dpa
Dieses Haus nehmen die Fahnder der Polizei genau unter die Lupe. Foto: dpa
 
Gudrun Rödel, die Betreuerin des als Mörder verurteilten Ulvi K., beobachtet in Lichtenberg die Suchaktion der Polizei. Rechts im Hintergrund: das Haus, das die Fahnder genau unter die Lupe nehmen. Foto: Jochen Nützel
Gudrun Rödel, die Betreuerin des als Mörder verurteilten Ulvi K., beobachtet in Lichtenberg die Suchaktion der Polizei. Rechts im Hintergrund: das Haus, das die Fahnder genau unter die Lupe nehmen. Foto: Jochen Nützel
 

Auch nach Tag zwei der Suche auf einem Anwesen in Lichtenberg hat die Polizei noch keine Spur von den vermuteten sterblichen Überresten des Mädchens. Derweil durchsucht die Kripo zwei weitere Objekte in Mittelfranken und Thüringen.

Gudrun Rödel ist sich gestern schon früh am Morgen sicher: "Die finden nichts. Können sie ja auch gar nicht." Der Bagger des Technischen Hilfswerks gräbt sich da gerade zentimeterweise in den Untergrund des Anwesens Marktplatz 33, wo die Kripo Bayreuth den möglichen "Ablageort" der seit zwölf Jahren vermissten Peggy Knobloch vermutet.

Gudrun Rödel ist aus Münchberg hergekommen. Sie lächelt wissend, schlendert dabei die gepflasterte Marktplatzstraße in Lichtenberg auf und ab, als sei sie zufällig da. Eine Touristin, so wie das Salzburger Ehepaar, das zum Burghotel hochfährt und angesichts der vielen Kameras diverser Fernsehsender wissen will, welcher Film denn hier gedreht wird.

Aber Gudrun Rödel macht keinen Urlaub im 1000-Seelen-Städtchen. Die zierliche Frau ist in gar nicht geheimer Mission unterwegs: Als gerichtliche bestellte Betreuerin von Ulvi K., der vor neun Jahren als Peggys Mörder verurteilt worden war, bringt sie ihrem Schützling im Bayreuther Bezirkskrankenhaus die neuesten Nachrichten im Fall Peggy mit. Der Fall, der vor allem auch seiner ist. Wenn die Polizei in Lichtenberg nach den sterblichen Überresten des damals neunjährigen Mädchens sucht, dann geht es dabei auch um ihn, den geistig Behinderten, den viele im Ort für unschuldig halten. Ein juristisches Bauernopfer, als Täter präsentiert, damit die Behörden ihre schlampigen Ermittlungen kaschieren.


Nachrichten für Ulvi

Gudrun Rödel führt als Sprecherin der Bürgerinitiative "Gerechtigkeit für Ulvi" die Phalanx der Zweifler an. "Ich habe ihm ein paar Auszüge aus der Berichterstattung in den Zeitungen vorgelesen", sagt die 64-jährige frühere Rechtsanwaltsgehilfin. "Aber ich weiß nicht, ob er das alles wirklich verstanden hat." Jürgen Stadter huscht an ihr vorbei. Der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberfranken hat ein TV-Team im Schlepptau und murmelt etwas von "Bagger jetzt einen Meter fünfzig tief".

Das alles spielt sich ab hinter dem Haus mit der rosé-farbenen Fassade, das ins Fadenkreuz der Ermittler geraten war. Bleiglasfenster, fein ziseliert, erschweren einen Blick nach innen. Das tun jetzt zusätzlich Absperrbänder und Polizeibeamte, die sich vor dem Anwesen postiert haben. Ein kleiner Durchschlupf zum Nachbargebäude ist mit weißer Folie verhängt.

Hinter der Szenerie ragt der weiß gekalkte Turm der evangelischen Kirche in die Höhe. Der Glockenschlag ist schwerer zu vernehmen als sonst. Gottes Geläut zieht gegen irdischen Baulärm den Kürzeren. Der THW-Bagger rupft zunächst das Pflaster in Herbstlaubfärbung aus der kleinen Hofeinfahrt raus. Zaunelemente wackeln; auf den Pfosten einer Mauer ruckeln tönerne Pinienzapfen. Unter einem Metall pavillon reckt eine Frau aus weißem Kunststein, die Brust entblößt, ihre Arme in die Höhe. Sie ist die Figur auf einem Brunnen. Angeblich ist der gespeist aus einer unterirdischen Quelle. Eine Zisterne, die den Bayreuther Kripofahndern eine genauere Betrachtung wert ist.

Eine Kanalreinigungsfirma schaut bereits am Vortag mit einer Kamera rein. "Da unten ist ein Hohlraum", bestätigt Jürgen Stadter. Der TÜV Rheinland rückt mit Bodenradar an. Am Nachmittag spricht die Polizei nicht mehr von einer Zisterne, sondern einer Sickergrube mit abzweigendem Röhrensystem. Schwierig zu graben, heißt es.


Hausbesitzer wird nur "befragt"

Zeitgleich zu den Tiefbau arbeiten in Lichtenberg muss sich der Hausbesitzer bei der Kripo in Bayreuth erklären. "Er wird befragt, nicht verhört", betont Jürgen Stadter. Er verneint vorschnelle Vermutungen, wonach bereits der Haftbefehl ausgestellt sei. Kurz nach Mittag ist der Befragte entlassen. Heim darf er indes nicht, denn noch ist sein Anwesen polizeiliches Einsatzobjekt. Und umgepflügt.

Wie der 63-Jährige Frührentner ins Visier der Ermittler geriet? Er, der im Jahr 2001, kurz nach Peggys Verschwinden, schon einmal "befragt" wurde? Der 2008 sein Patenkind und seine Enkeltochter unsittlich berührte und deswegen drei Jahre in Haft saß? Kein Kommentar dazu seitens der Polizei.

"Die wissen heute nicht mehr als damals." Gudrun Rödel wendet sich vom Pulk der Medienvertreter ab. Ina Jung gesellt sich zu ihr. Auch sie recherchiert wie Gudrun Rödel in Lichtenberg - allerdings nicht nur für Ulvi, sondern auch für ein Buch über den Fall Peggy. Das ist fertig, soll Anfang Mai erscheinen. Womöglich muss es um ein Kapitel ergänzt werden, wenn plötzlich doch die sterblichen Überreste des wie vom Erdboden verschluckten Kindes auftauchen.

Einmal keimt Hoffnung beim Team jenseits des mit Planen zugehängten Bauzauns. Es heißt, der Leichenspürhund habe angeschlagen. Später stellt sich heraus: Offenbar hat die Spürnase sich vom Geruch aus dem offenen Kanal irritieren lassen. Höhnisches Gelächter brandet auf bei den Zaungästen. "Ihr findet hier schon Knochen, aber die sind älter als neun Jahre", steckt ein Lichtenberger Bürger wütend einem Mitarbeiter des THW. Die Gebeine von Menschen, die hier offenbar früher auf einem - mittlerweile aufgelassenen - Friedhof oder in einer Gruft unterhalb der Kirche bestattet worden sein sollen.

"Die finden hier gar nichts, denn die Peggy ist nicht tot. Sie ist nicht Opfer eines Mordes geworden, sondern einer Entführung." Gudrun Rödel lächelt nicht, als sie das sagt. "Es gibt einen Videofilm vom Tag ihres Verschwindens, auf dem ein Auto mit tschechischem Kennzeichen zu sehen ist. Es gibt Zeugen, die fast mit dem Wagen zusammengestoßen wären." In diesem Auto soll Peggy am frühen Abend des 7. Mai 2001 gesessen haben. Mehrere Stunden, nachdem Ulvi sie verfolgt und erwürgt haben soll.

Dieser Film muss doch bahnbrechend sein für die Ermittlungen, oder? "Ist nie von der Polizei ernst genommen worden", tupft Gudrun Rödel hin. "Angeblich sieht man das Kennzeichen nicht und könne auch so nix erkennen. Blödsinn. Man wollte dieser Spur einfach nicht nachgehen, wie so vielen anderen."


Hoffnung, dass Peggy noch lebt

Und trotzdem hofft auch sie, dass irgendeine dieser Spuren auf Peggys Fährte führt. Ob sie nun tot ist oder immer noch lebt, irgendwo im Ausland, wie manch einer in Lichtenberg vermutet. Für die Familie, für den Ort, für Ulvi K. wäre es das beste, würde Peggy lebend auftauchen. Doch selbst wenn ihre sterblichen Überreste gefunden werden, würde das eben nicht automatisch die Unschuld des heute 35-Jährigen bedeuten.

Das weiß auch Gudrun Rödel. "Der Schuldspruch von 2004 ist höchstrichterlich abgesegnet. Ein Skandal, aber es ist verflixt schwer, dagegen anzugehen." Die Münchbergerin hat eng mit Ulvis Anwalt Michael Euler aus Frankfurt kooperiert. Herausgekommen ist ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. "Wir suchen nach nichts Geringerem als der Wahrheit", sagt Gudrun Rödel. "Für Ulvi und für Peggy."