Entscheidungen der Europäischen Union begleiten uns täglich. Wo wie viel EU drinsteckt? Wir zeigen es am Beispiel einer (fiktiven) Kulmbacher Familie.
Europa wählt am 26. Mai bei der mittlerweile neunten Direktwahl die neue Zusammensetzung seines Parlaments. In Deutschland, wo annähernd 65 Millionen Menschen wahlberechtigt sind - darunter 4 Millionen Unionsbürger anderer Länder, die in der Bundesrepublik leben - stimmten beim Urnengang 2014 nicht einmal die Hälfte ab. Was sind die Gründe fürs Fernbleiben? Ist es der Unmut über die Politik aus Brüssel, über unerwünschte Einflussnahme, zu viel Kontrolle oder Bürokratie? Oder ist es schlicht Ignoranz? Dabei sollte die Gemeinschaft jedem von uns wichtig sein, denn Entscheidungen und Beschlüsse wirken bis in den Alltag hinein, wie das folgende (fiktive) Beispiel aus Kulmbach verdeutlicht.
Mittwochmorgen, 6.30 Uhr. Hannes und Martina Kulmbacher sitzen an ihrem Küchentisch aus nordischer Fichte, gekauft in der Fürther Filiale des schwedischen Möbelhauses mit dem blau-gelben Schriftzug, und frühstücken. Hannes greift zum Brötchen mit Käse, den die Kulmbachers im Osterurlaub aus Holland mitgebracht haben. Im Kofferraum ihres Wagens hatte das Paar Platz für zwei kleine Gouda-Laibe, die kostenfrei die Grenze passierten, denn: Zölle fallen in der EU für Mengen des Eigenbedarfs nicht an.
Kaffee aus Italien
Martina trinkt derweil ihren Kaffee: italienischer Mokka, gekauft im Supermarkt vor Ort. Möglich macht das der Binnenmarkt der EU. Über ihn landen Speisen und Getränke aus ganz Europa auf deutschen Tischen. Die EU-weiten Lebensmittelverordnungen sollen gewährleisten, dass die rund 515 Millionen Bürger des Kontinents alles bedenkenlos verzehren können. Hannes blickt auf die Küchenuhr. Er räumt seinen Teller in die Küche, schnappt sich Arbeitstasche und Autoschlüssel.
Vor dem Haus des Kulmbachers wartet das jüngst erworbene Elektroauto der Familie. Hannes und seine Frau haben für die Anschaffung die E-Auto-Prämie der Bundesregierung genutzt - nachdem diese 2016 von der EU-Kommission genehmigt und nicht als Beihilfe für die Autoindustrie eingestuft wurde. "Betankt" wird der kleine Franzose mit den blauen Lichtern über eine auf dem Garagendach installierte Photovoltaikanlage mit Modulen aus China (da hat das Reich der Mitte der EU den Rang abgelaufen) - dafür ist der Batteriespeicher für den selbst erzeugten Strom aus deutsch-französischer Fertigung. Hannes Kulmbacher arbeitet bei einem der vielen im Landkreis ansässigen Mittelständler. Bei diesen handelt es sich oft um versteckte Marktführer, sogenannte "Hidden Champions". Gerade hat Kulmbachers Arbeitgeber einen Großauftrag von einem Kunden aus Belgien erhalten. Dementsprechend viel gibt es im Moment zu tun. Immer wieder erhält die Firma Aufträge aus den Nachbarländern der Europäischen Union. Euro und gemeinsamer Binnenmarkt erleichtern die Geschäfte.
Vorteil Niederlassungsfreiheit
Auf dem Gang begegnet Hannes seinem Kollegen Morten. "Na, schon eingelebt?", fragt Hannes. Morten nickt. Der Däne ist jüngst mit seiner Verlobten in den Landkreis gezogen. Die Niederlassungsfreiheit machte dem EU-Bürger den Umzug leicht. Seine Freundin, die ausgebildete Dolmetscherin ist, hat eine Anstellung bei einem international tätigen Spediteur in der Kundenbetreuung gefunden.
Nach Dienstschluss nutzt Hannes das verzweigte Netz der Genussregion Oberfranken mit vielen heimischen Köstlichkeiten - zum Teil gefördert aus Mitteln des Leader-Programms der EU. Hier kommen auf 5511 Einwohner eine Brauerei, auf 2080 Bürger eine Bäckerei/Konditorei und auf 1540 Einwohner eine Metzgerei. In seinem Stammgeschäft besorgt Hannes 200 Gramm Schinken vom Schwein aus ökologischer Haltung, die ein Landwirt im Landkreis anbietet. Das Fleisch gibt es später zum Spargel.
Geschützte Köstlichkeiten
Als Hannes die Haustür öffnet, steigt ihm schon der typische Duft in die Nase. Martina nimmt den fränkischen Spargel aus dem Topf. Dazu gibt es Kartoffeln der Sorte "Bamberger Hörnla". Die EU-Kommission hatte 2013 und nach fünfjährigem Prüfverfahren die geografische Angabe in das europäische Register regionaltypischer Spezialitäten aufgenommen. Dazu gibt es für Hannes ein Kulmbacher Bier, seine Frau trinkt fränkischen Weißwein aus dem - seit 1989 urheberrechtlich geschützten - Bocksbeutel.