Bayreuther Gericht macht Hausbesuch in Kulmbach

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Die Prozessakten im Verfahren gegen eine psychisch schwer kranke Frau aus Kulmbach können weggeräumt werden. Das Verfahren wurde vorläufig eingestellt. Symbolbild: Daniel Karmann/dpa
Die Prozessakten im Verfahren gegen eine psychisch schwer kranke Frau aus Kulmbach  können weggeräumt werden. Das Verfahren wurde vorläufig eingestellt.  Symbolbild: Daniel Karmann/dpa

Im Verfahren gegen eine psychisch kranke Angeklagte war vor allem das Fingerspitzengefühl der Strafkammer gefragt.

Alle sind da: die Strafkammer mit ihrem Vorsitzenden Michael Eckstein, Staatsanwalt Jochen Götz, Verteidiger Volker Beermann und der psychiatrische Gutachter Klaus Leipziger. Nur eine fehlt am Mittwoch im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Bayreuth: die Angeklagte aus Kulmbach. Ohne sie kann der Prozess nicht beginnen.


Kammer will sich selbst ein Bild machen

Eckstein weiß, dass er in diesem Fall - es geht um gefährliche Körperverletzung - mit der Härte des Gesetzes nicht weiterkommt. Er entscheidet: "Wir fahren nach Kulmbach und machen uns selbst ein Bild." Er kennt die Frau. Sie ist schwer krank, psychisch verwirrt.

Die Strafkammer vertagt sich: Hausbesuch statt Hauptverhandlung. Das hat man noch nie gemacht. Mit dem Audi A6 des Gerichts reist die Delegation ab. Mit dabei: der Vorsitzende, der Verteidiger, der Sachverständige und die Betreuerin der Frau.


Der Ex-Mann ist die Verbindung

Derweil müssen die Zeugen warten, auch die Opfer. Die beiden Frauen wurden im Herbst 2015 von der Angeklagten angegriffen: eine mit einem Pflasterstein, eine mit einer Spitzhacke. Beide blieben unverletzt. Die Verbindung von der Täterin zu den Opfern: der Ex-Mann der Angeklagten. Eine Zeugin ist dessen neue Frau, die andere dessen Mitarbeiterin.

Es zeichnet sich ab, dass die Kulmbacherin wohl ihre Scheidung vor 18 Jahren nicht verkraftet hat. Wobei die Zeuginnen andeuten, dass sie die Angeklagte für gefährlich halten. Angeblich soll sie sogar Kampfsport betreiben.


Wartezeit drei Stunden

Die Wartezeit im Gerichtssaal wird lang. Es dauert drei Stunden, bis der A6 wieder zurückkommt. Aber die Fahrt nach Kulmbach ist nicht vergebens. Der Richter und seine Begleiter treffen die Angeklagte zu Hause an. Die Tür öffnet sie den Besuchern aber nicht. In die Wohnung werden sie nicht vorgelassen. Man unterhält sich durch eine geschlossene Glastür. Die Frau scheint keinem zu trauen. Ihren Ex-Mann bezichtigt sie der Bigamie. Außerdem glaubt sie, bei der Scheidung über den Tisch gezogen worden zu sein.

Eckstein berichtet hinterher, dass sich das Gespräch fast ausschließlich um die gescheiterte Ehe drehte. Die Erklärungen des Richters, warum es notwendig sei, dass sie als Angeklagte an der Hauptverhandlung teilnimmt, versteht sie nicht. Auch ihr Verteidiger bestätigt, dass es ihm nicht gelungen sei, ihr den Sachverhalt klarzumachen. Die Frau habe nicht realisiert, was ein Strafverfahren ist, sagt der Bayreuther Rechtsanwalt.


Schwere seelische Störung

Vom Gericht befragt, diagnostiziert der Sachverständige eine schwere und chronische seelische Störung. Nach seiner Ansicht liegt eine paranoide Schizophrenie vor. Ihr wahnhaftes Denken kreise nur um ihre gescheiterte Ehe, so der Facharzt für forensische Psychiatrie und frühere Chefarzt des Bezirkskrankenhauses Bayreuth.

Leipziger bezeichnet die Angeklagte als verhandlungsunfähig. Sie könne in ihrer aktuellen Situation den Verfahrensgegenstand nicht erfassen.

Eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie ist nach seinen Worten nicht möglich. Es liege weder eine Selbstgefährdung vor noch eine Gefahr für die Öffentlichkeit. Er glaubt, dass mit einer langfristigen Psychotherapie eine Besserung zu erzielen sei.


Einer müsste wegziehen

Allerdings werde die schwierige Situation der Frau noch dadurch verschärft, dass ihr Ex-Mann sein Büro im Nachbarhaus hat. Man sehe sich regelmäßig. Besser wäre es, einer der Beteiligten zieht weg.

Eckstein ("Aus den Augen - aus dem Sinn") sieht sich bestätigt: Es wäre falsch gewesen, die Angeklagte durch uniformierte Beamte vorführen zu lassen oder einen Haftbefehl zu erlassen. Möglicherweise wäre die Frau dadurch völlig aus der Bahn geworfen worden. Nicht absehbar, was man damit ausgelöst hätte. Zumal die Tatvorwürfe nicht besonders schwerwiegend seien.

Das Gericht setzt die Hauptverhandlung aus und stellt das Verfahren vorläufig ein. Wie es weitergeht? "Das muss man abwarten", sagt Eckstein. "Die Sitzung ist geschlossen."