Reinhard Kube stellte sein Buch in Kronach vor. Auf 96 Seiten schildert der evangelische Pfarrer sehr persönliche Kindheitserinnerungen eines Nachkriegskindes.
"Ich will keinen Vater, mein Vater ist im Krieg. Mutti gehört dann dem fremden Mann und wir haben keine Mutti mehr" - Reinhard Kube war knapp fünf Jahre alt, als sein Vater aus der französischen Gefangenschaft heimkehrte. Ein Vater, der ihm fremd war und der ihm immer fremd blieb - Zeit seines Lebens. So schonungslos offen wie in seinem Buch war der Pfarrer auch bei dessen Vorstellung im Café Lorla. Das war so voll, dass sogar noch Stühle dazugestellt werden mussten.
"Es ist kein lustiges, kein fröhliches Buch", warnt der 71-Jährige sein Publikum schon einmal vor, und erst recht kein Buch, wie man es vielleicht von einem Pfarrer erwarte. Es sei nicht fromm und es handele nicht von Gott. Mit "Der fremde Mann, mein Vater" sei auch nicht Gott gemeint, wie vielleicht der Titel vermuten lasse. Vielmehr sei es seine ganz persönliche Geschichte - und die gibt er so direkt und offen wieder, dass einem bisweilen das Zuhören weh tut.
Radikale Seelenschau Kube kehrt damit sein Innerstes, seine intimsten Gedanken nach außen - die radikale, zutiefst ergreifende Seelenschau ist eine Reise in die Vergangenheit, die bis heute großen Einfluss auf sein Leben hat. "Ich habe keine Angst vor dem Alleinsein, aber ich habe Angst vor dem Verlassensein. Abgelegt und vergessen zu werden, davor habe ich Angst - eine Höllenangst", bekennt der Pfarrer, der ein halbes Jahr alt war, als sein Vater in den Krieg eingezogen wurde. Zurück kam er als "fremder Mann".
Zuerst wollte Kube seine Geschichte nur für sich selbst schreiben, um sich ein Stück weit näher zu kommen und weil seine Erinnerungen wie eine Art "Leiche" in seinem Keller lägen - unbearbeitet. Er könne keinen Film sehen, in dem Menschen gequält werden. Er könne es nicht ertragen, wenn es ungerecht zugeht, wenn er den Terror in Syrien und Libyen sehe. "Ich kann das nicht, ich gehe dann weg. Das muss doch Gründe haben, auch dass ich Pfarrer geworden bin. Ich komme doch aus keiner Pfarrersfamilie. In meiner ganzen Ahnenreihe ist kein einziger Pfarrer dabei. Das waren alles Handwerker und Bauern. Das muss doch Gründe haben?", sprudelt es aus ihm nur so heraus. In gewisser Weise sei es natürlich auch ein religiöses Thema. Es handele ja von der Beziehung zwischen Vater und Kind und von dem, was ihn berühre.
Für viele Menschen interessant Zunächst habe er gedacht, seine Erinnerungen seien etwas ganz Privates. Sie gingen niemanden etwas an. Dann habe er sie für seine Geschwister aufschreiben wollen und auch für die eigenen Kinder. Dann aber habe er gedacht, dass es so viele Menschen etwas angehe. Es gebe so viele Nachkriegskinder; seine Erlebnisse seien die Geschichte einer ganzen Generation. "Viele haben ihren Vater so spät kennengelernt. Nicht nur im Krieg, auch heute wachsen viele Kinder ohne Vater auf - beispielsweise nach einer Scheidung. Viele haben auch wechselnde Väter", weiß der 71-Jährige.
Seine erste Begegnung mit dem "unbekannten" - in seine Familie "eindringenden" - Mann schildert er so: "Er soll wieder fortgehen, der fremde Mann. Ich habe Angst und verstecke mich hinter meiner Schwester, die zwei Jahre älter ist. Doch der fremde Mann will nicht gehen. Ist eure Mutter nicht da, fragt er". Seine Familie - das sind für den Jungen seine Mutter und seine drei Geschwister. Der Autor schreibt davon, wie sein Vater ein Stück Schokolade aus der Tasche holt - etwas, das süß und gut ist. Aber er - der kleine Reinhard - kennt es nicht. Er kennt nur Kartoffeln, die in einer grünen Brühe gekocht werden.
Später möchte der fremde Mann, dass Reinhard mit ihm ins Allgäu geht - auf einen Bauernhof mit vielen Tieren, wo es immer genug zu essen gibt. Erst soll nur Reinhard mitkommen, später die ganze Familie. Aber er wollte nicht mit ihm fort. "Nein, nein, nein! Ich gehe niemals mit dir fort. Nein - geh weg, fremder Mann!", habe er geschrien und nur noch gewollt, dass er verschwindet.
Kein Happy End Wenn ihn sein Vater doch lieb gehabt hätte, warum habe er ihn dann verlassen? "Ich musste weg. Es war Krieg und ich musste in den Norden, wo es immer nur kalt ist, wo immer nur Winter ist. Ich hatte aber immer dein Bild bei mir", habe ihm sein Vater erzählt. Reinhard geht mit ihm ins Allgäu, später auch der Rest der Familie. Dort bauen sie sich eine Existenz auf - ein Happy End!? Der Mann bleibt ihm fremd, Zeit seines Lebens.
Momente der Stille und der Ruhe nach der Lesung. Die Zuhörer sind ergriffen. Ein Applaus bleibt zunächst aus. Kube setzt sich ans Klavier, das Stück hat er nicht zufällig ausgewählt. Er spielt "Yesterday".