Notfallseelsorge in Kronach: Pfarrer Munzert und der Tod

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Der Schmölzer Gemeindepfarrer Gerald Munzert ist gemeinsam mit elf weiteren Kollegen für die Notfallseelsorge im Landkreis Kronach zuständig. Foto: Anja Greiner
Der Schmölzer Gemeindepfarrer Gerald Munzert ist gemeinsam mit elf weiteren Kollegen für die Notfallseelsorge im Landkreis Kronach zuständig.  Foto: Anja Greiner

Rund zwölf Notfallseelsorger sind im Wochentakt für den Landkreis Kronach im Einsatz. Ihre Aufgaben: Unfallopfer betreuen und gemeinsam mit der Polizei den Angehörigen Todesnachrichten überbringen. Wie es ist, wenn man Menschen in Ausnahmesituationen begleiten muss.

Der Tod fasst sich kurz. In drei Zeilen kommt er bei Gerald Munzert an: "Einsatz für PSMV Kronach. Bitte um Rückruf" steht dann auf dem Display seines Funkmeldeempfängers. Munzerts erster Gedanke: "Wo ist das nächste Telefon?" Er ruft bei der Integrierten Leitstelle an.

Dort erfährt er, was passiert ist und wo er hin muss. In der Woche, in der Gerald Munzert Dienst hat, liegt die gelbe Jacke mit dem Notfallseelsorge-Emblem immer im Auto. Während er zum Unfallort fährt, betet er. Nicht zu sehr, dass es weniger schlimm ist - wenn Munzert gerufen wird, ist es immer schlimm - er betet, dass seine Anwesenheit den Leuten gut tut.


Pfarrer sein ist nicht alles

Gerald Munzert ist 60 Jahre alt, evangelischer Pfarrer und seit 15 Jahren als Notfallseelsorger tätig. Er hat eine therapeutische Ausbildung gemacht - damit er für die Notfallseelsorge besser gerüstet ist.
Dass man als Pfarrer quasi Kraft des Amtes automatisch dafür geeignet ist, daran zweifelt Munzert.

Es gibt drei Fälle, in denen Notfallseelsorger verständigt werden: Zum Überbringen einer Todesnachricht, gemeinsam mit der örtlichen Polizei, bei einem tödlichen Unfall und manchmal in der Notaufnahme, damit jemand nicht allein im Zimmer liegen muss.

Gerald Munzert spricht langsam, bedächtig, wie es wohl nur ein Pfarrer kann. Manchmal schmunzelt Munzert. Bevor er eine Antwort gibt, können auch mal 20 Sekunden verstreichen. Stille macht ihm nichts aus. Sie ist sozusagen sein Handwerkszeug: "Nicht selber sagen, sondern sagen lassen." Seine größte Sorge, wenn er zu einem Einsatz gerufen wird: dass er nicht die richtigen Worte findet.

Zwei Mal im Jahr treffen sich die insgesamt zwölf Seelsorger im Kreis - darunter katholische und evangelische Pfarrer sowie Mitarbeiter des Roten Kreuzes mit Zusatzausbildung. Bei den Treffen werden die Dienstpläne für das nächste halbe Jahr erstellt und fast noch wichtiger: Es wird geredet. Auch Notfallseelsorger brauchen mal jemanden, der ihnen zuhört.

"Wir sind ein Team", sagt Munzert. Wenn er von einem schrecklichen Unfall hört, denkt er immer auch an den Kollegen, der dort im Einsatz war.

Die Bereitschaften werden im Wochenrhythmus eingeteilt - von Montag früh bis Montag früh. "Die Woche ist von der Anspannung eine ganz andere", sagt Munzert. Rund zwölf Wochen hat er im Jahr Dienst, im Schnitt einmal pro Woche piept der Funkmeldeempfänger. Meistens nachts.

Wenn er am Unfallort aus dem Auto steigt, sieht er sich als erstes um, sucht, wo die Betroffenheit am größten ist. "Augen, Ohren, Herz und Verstand aufmachen." Hat er die Person gefunden, stellt er sich vor und sagt so etwas wie: "Ist es Ihnen recht, wenn ich mich hier hin setzte?" Er wurde noch nie weggeschickt.

Es gibt exakt zwei Sätze, die ein Notfallseelsorger nicht sagt. Der eine: "Wie geht es Ihnen?" Der andere: "Das wird schon wieder." Nein, sagt Munzert. "Im Moment geht's eben nicht. Nichts ist gut an der Situation. Es ist einfach nur schrecklich."

Munzert bleibt solange, bis sich die Situation stabilisiert hat oder bis andere Leute, Nachbarn, Bekannte, da sind. Das kann eine halbe Stunde dauern, das kann auch zwei Stunden dauern. Wenn er dann nach Hause kommt, geht er eine Runde mit dem Hund. Egal zu welcher Uhrzeit.

Nach jedem Fall muss Munzert einen Einsatzbericht ausfüllen - wo, was, wer dabei war, wen er betreut hat. Am Ende ist noch ein Feld zum Ankreuzen: "Einsatz zufriedenstellend abgeschlossen" steht da. Zufriedenstellend heißt für ihn: "Was ich leisten konnte, habe ich geleistet." Tote wieder lebendig machen, das kann er eben nicht.
"Wir arbeiten im Extremen", sagt er. "Das ist immer mit viel Emotion verbunden." In das Leben der Menschen tritt das Extreme dann in Form von zwei Polizeibeamten und dem Notfallseelsorger. Da steht es dann vor der Haustür. Und wenn einer der Polizeibeamten beginnt zu sprechen, reift langsam die Erkenntnis, dass nichts mehr so sein wird, wie es war. Die Beamten sagen wer verstorben ist, erklären die Todesumstände. Bevor sie gehen, lassen sie Adressen da - ihre Dienststelle, vielleicht die eines Psychologen.

Eine Unterrichtsstunde "Wie überbringe ich eine Todesnachricht" ist im Ausbildungsplan der Polizei nicht vorgesehen. Uwe Herrmann, Polizeichef in Kronach, zweifelt auch, ob das überhaupt Sinn machen würde. "Es gibt so unterschiedliche Situationen", sagt er. "Wenn man sieht wie eine ganze Familie vor einem zusammenbricht, dann fehlen einem die Worte."

Überbracht wird die Todesnachricht in der Regel von den Kollegen, die am Unfallort waren. Leben die Angehörigen weiter weg, wird die dort örtliche Polizei verständigt, die ihren eigenen Seelsorger hinzuzieht.
Wenn Menschen an ihre emotionalen Grenzen kommen, muss es jemanden geben, der sie wieder zurückholen kann.

Herrmann war noch Polizist in Hof, da wurde er zu einem Unfall gerufen: eine Mutter mit Kleinkind war tödlich verunglückt. Hinter den beiden war die Großmutter in ihrem Wagen gefahren. Sie hatte alles gesehen, den Unfall, die Toten. Als Herrmann und seine Kollegen am Unfallort eintrafen, habe die Frau getobt, geschrien. "Nervenzerfetzend", sagt Herrmann. An dem Tag hatten sie eine junge Kollegin dabei, Praktikantin vielleicht, so genau weiß er es nicht mehr. "Sie ist dann zu der Frau gegangen und hat sie umarmt." Als sich die Frau beruhigte, waren "auch wir gestandenen Polizisten" froh, dass das Mädchen einfach in dem Moment wusste, was richtig ist.


Wenn der Tod begriffen wird

Die Nachricht vom Tod eines Kindes zu überbringen, "das ist das Allerschlimmste", sagt Herrmann. Andererseits ist der Schock über den Tod eines Angehörigen keine Frage des Alters - noch nicht einmal eine der Erwartbarkeit. Da gab es einmal einen Vermisstenfall - ein älterer Mann, es war zu 99 Prozent davon auszugehen, dass er nicht mehr lebend zurückkommen werde. Das war auch den Angehörigen klar, sagt Herrmann. Schließlich wurde der Mann in einem Wehr angespült. Und Herrmann stand vor der Tür der Angehörigen. "Selbst da, wo eigentlich mit dem Tod gerechnet wurde, sind die Angehörigen regelrecht ausgeflippt."

Diese Ungewissheit, wie die Angehörigen reagieren, das ist für Herrmann der schlimmste Moment. Unweigerlich versetze man sich selbst in die Situation - wie wäre es, wenn mir jemand so eine Nachricht überbringen würde? Kurzum: Es ist eine Ausnahmesituation für alle.

Darum sind die Seelsorger auch so wichtig.

Der schlimmste Moment für Gerald Munzert ist, wenn die Menschen begreifen, da ist jemand nicht mehr da und kommt auch nicht mehr wieder. "Dann wird es richtig schmerzhaft."Es gibt Situationen, die hätte er lieber nicht erlebt. Eltern den Tod des Kindes mitteilen ist so eine. Auch wenn das Kind schon erwachsen war.

Wie viele Einsätze er hatte? Er hat sie nie gezählt, es käme ihm zynisch vor. Ob er sich an jeden erinnern kann? Aus dem Stegreif nicht, aber jeder Einsatz hinterlässt Spuren - Bilder, Namen, Orte. Würde man ihm eines davon geben, er würde sich an alles erinnern.