Nordhalbener erinnern sich an Einmarsch der Amerikaner

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Georg Simon (vorne) blickt bei seiner Präsentation mit seinen Weggefährten auf den April 1945 zurück (hinten von links): Ilse Dauer, Betti Querfurth, Anni Wachter und Hans Köstner. Foto: Marco Meißner
Georg Simon (vorne) blickt bei seiner Präsentation mit seinen Weggefährten auf den April 1945 zurück (hinten von links): Ilse Dauer, Betti Querfurth, Anni Wachter und Hans Köstner. Foto: Marco Meißner

Am 14. April 1945 beschossen die Amerikaner Nordhalben. Bei einem Gedenkgottesdienst und einem Bildungsabend mit Zeitzeugen erinnert die KAB am Dienstag, 14. April 2015, an die Schicksale der Menschen in dem Frankenwaldort. Vorab sprachen die Zeitzeugen mit uns über einige ihrer Erlebnisse.

Anni Wachters Finger gleitet über das Plakat der KAB-Veranstaltung. Dann bleibt er am Titel hängen. Ganz langsam zieht der Zeigefinger seine Bahn, unterstreicht die Worte, welche die 85-Jährige vorliest: "Nie wieder Krieg!" Anni Wachter nickt still. Für sie sind das nicht nur Worte.

Sie hat den Beschuss ihres Heimatortes erlebt. Und sie hat dabei geliebte Menschen verloren. "Man hat schwer damit zu kämpfen", gesteht sie bei der Vorbesprechung des Bildungsabends ein. In einem Keller erlebte sie den Einschlag einer Granate. Sie war eine von vier Personen, die überlebten. Für die anderen elf Menschen wurde der Keller zum Grab. Die Mutter und eine Schwester verlor Anni Wachter an diesem Tag, dem 14. April 1945.
"Gerade das, von dem man gesagt hat, das ist ein fester Keller, das ist uns zum Verhängnis geworden", erinnert sie sich.


Die Toten lagen hinter dem Kellerfenster

"Ich schaue heute noch nicht in so ein Kellerfenster", sagt Betti Querfurth. Auch 70 Jahre später hat die damals Elfjährige noch die Bilder der Toten vor Augen. Dabei hätte ihren Vater sogar das gleiche schreckliche Schicksal treffen können. Der hatte nämlich nach einem Hilferuf des Pfarrers einen Blindgänger auf einer Schaufel aus der Kirche transportiert. Die Granate war heiß und hat geraucht. Mitten im Gang ist sie auch noch von der Schaufel gefallen. Doch explodiert ist sie, Gott sei Dank, nicht, wie Betti Querfurth schildert.

Ilse Dauer - damals gerade fünf Jahre alt - weiß auch um die Schrecken des Krieges. Sie erzählt von zwei Kindern, die mit dem "Kettla" einer Granate gespielt hätten. Sie hätten zwar überlebt, wären aber für lange Zeit ins Krankenhaus gekommen. Vor dem Einmarsch der "Amis" haben die Kinder noch auf den Panzersperren herumgetollt - wovon die Eltern gar nicht begeistert waren, wie Ilse Dauer weiß. Als die Amerikaner am 13. April 1945 aus Richtung Tschirn kommend bei Nordhalben auftauchten, war damit endgültig Schluss. "Wir mussten dann in den Keller. Ich sehe heute noch die Mutter in einem Korbsessel; sie war kurz vor der Entbindung", blickt Ilse Dauer in die Vergangenheit. Einen Tag später, in der Nacht nach dem Beschuss, wurde ihre Schwester Edeltraud geboren.

13 Tote und 20 brennende Häuser durch den Beschuss listet die Chronik von Nordhalben auf. Viele Menschen sind mit diesen tragischen Ereignissen verbunden, auch Georg Simon. Sein Bruder starb, als er in einem Raum zwischen Oma und Opa Deckung suchte. "Es hat ihm den Hinterkopf weggerissen", sagt der heute 75-Jährige, der die Geschichte(n) dieses Tages in einer Präsentation aufbereitet hat. Trotzdem empfindet er keinen Hass gegenüber den Amerikanern. Im Gegenteil. Die Schuldigen am Leid der Nordhalbener sieht er an ganz anderer Stelle.


Keine weiße Fahne

"Die Nazis haben in der Nacht vorher keinen in die Kirche gelassen, damit keiner eine weiße Fahne raushängen kann." Die Folge war, dass die US-Soldaten mit Widerstand rechneten. Als endlich ein Nordhalbener den weißen Stoff hissen konnte, endete der Beschuss umgehend.

"Alles war schon gepackt, für den Fall, dass wir vertrieben werden", erklärt Georg Simon. Essen, Kleidung und wichtige Dinge sind vergraben worden. "Es hat geheißen, die Amis lassen euch verhungern. Die nehmen euch alles Essen weg", erinnert sich Anni Wachter an die Propaganda der Nazis. Doch die war haltlos. Die "Amis" haben zwar beim Feiern im Wirtshaus die eine oder andere Lampe zerschossen und auch gerne mit den Mädchen geflirtet, doch Übergriffe soll es keine gegeben haben.

Ilse Dauer weiß noch genau, was sie nach dem Abzug der US-Soldaten aus ihrem Haus erwartet hat, als sie wieder ins Erdgeschoss durften. "Da lag ein Häufchen Würfelzucker auf dem Tisch - war das eine Freude bei uns." Simon kennt auch noch die Furcht vor dem Krieg, vor den Amerikanern, die sich letztlich als Befreier, nicht als Monster herausgestellt haben. "Diese Angst, diese Beklemmung, die sich in sechs Jahren aufgebaut hat - das kam nicht erst an diesem Abend", weiß er die Ereignisse des 14. April 1945 in Nordhalben einzuordnen.

Dann schaltet er den Beamer ein und zeigt eine Präsentation. Sie erinnert an die Schicksale, an die Einschläge der Granaten, an die Toten. Und sie beinhaltet Stimmen von Zeitzeugen - auch derer, die an diesem Abend anwesend sind. Anni Wachter kann bei diesem Rückblick nicht sitzen bleiben. Man merkt, wie sie die Namen und Bilder im Vortrag ergreifen. Und das Schlusswort. Ihr stehen die Tränen in den Augen, als sie sich selbst fordern hört: "So etwas darf nie wieder geschehen!"


Angriff aus der Luft erlebt

Hans Köstner (86) ist mit damals 16 Jahren der älteste der Zeitzeugen, der am Dienstag beim Bildungsabend sprechen wird. Kurz vor dem Beschuss von Nordhalben sollte er noch zum Militärdienst eingezogen werden. Im Zug hätte er beinahe den Tod gefunden. "Ich habe zwei Einberufungen bekommen, am 7. und am 9. April", stellt Köstner fest. Das zeige, dass damals hinter den Kulissen wohl schon die Auflösungserscheinungen des Reichs für ein Durcheinander gesorgt haben. Mit dem Zug ist Köstner zunächst nach Kronach gefahren. Da war Endstation, weil Tiefflieger die Gleise zerstört und damit eine Weiterfahrt verhindert hatten.

Auf dem Rückweg bemerkte er einen Aufklärer. "Eine so genannte Lightning", erinnert er sich. Man hatte die jungen Leute damals unter anderem in Flugzeugerkennung geschult, so das Köstner gleich wusste, was da über dem Zug herumschwirrte. Dann folgte der Angriff. "Kurz vor der Goldbachbrücke haben zwei Spitfire-Jäger den Zug beschossen", erinnert sich der Nordhalbener. "Dampf ist rausgezischt. Die Geschosse hatten den Kessel durchschlagen." Doch nicht nur die Maschine war getroffen. "Ich habe keinen Schmerz gespürt. Es war wie ein Taubheitsgefühl im Bein. So, als hätte einer mit einem Prügel draufgeschlagen", erzählt Köstner von dem Querschläger, der ihn am Gelenk erwischt hat.

Um aus dem Zug zu kommen hat er sein taubes Bein mit den Händen über den Fensterrahmen geschleudert. Als er da saß, kam eine Spitfire im Tiefflug zurück. Der Nordhalbener weiß noch genau: "Wenn die Maschine 15 oder 20 Meter über dem Boden fliegt, dann siehst du den Piloten drin sitzen." Bei diesem Anblick dachte er, "mein letztes Stündlein hätte geschlagen". Der Flieger war allerdings kein schießwütiger "Cowboy". Anders als der Pilot, der in Nordhalben zu einem anderen Zeitpunkt sogar das Vieh beschossen hatte. Dieser Flieger drückte den Abzug nicht mehr durch. Hans Köstner durfte weiterleben. Der damals junge Mann wurde nach Hause gebracht und operiert. Starkes Wundfieber folgte. Doch er kam durch. "Und den Geschosskern von damals habe ich heute noch daheim."


Grausames Standgericht

Die Zeitzeugen erinnerten sich auch daran, dass wohl noch am 10. April 1945 ein Soldat in Nordhalben standrechtlich erschossen wurde. Dabei soll es sich vermutlich um einen Mann aus Österreich gehandelt haben. Das Standgericht Helm habe Pfarrer Fiedler mit zur Hinrichtung in der Fichtera bei einem Baum mitgenommen.

Der Leichnam des getöteten Soldaten sei dann zunächst auf dem Friedhof verscharrt worden. Später sei ein Grab angelegt worden. Angeblich habe der Mann in seiner Gefangenschaft noch gebetet: "Herr, erbarme Dich meiner armen Frau und Kinder." Am Baum habe man die Durchschüsse sehen können. Inzwischen sei der Baum jedoch gefällt worden.


Termine der Veranstaltungen

Der Gedenkgottesdienst findet am 14. April um 18 Uhr statt. Um 19 Uhr sprechen die Zeitzeugen beim Bildungsabend im Nordhalbener Jugendheim.