Wir haben immer versucht, mit den Nordhalbenern, die zum Set kamen, Videos und Bilder zu machen und haben das denke ich auch ganz gut hinbekommen. Mir ist vollkommen klar, dass es auch den ein oder anderen gab, der mal geflucht hat und uns am liebsten vom Hof gejagt hätte wegen der ganzen Absperrungen. Aber in der Summe habe ich mich nicht eine Sekunde unwillkommen gefühlt. Ganz im Gegenteil: Für ein Filmteam war das ein Traum.
Warum schied eigentlich Pößneck in Thüringen, wo das Haus der Familie Strelzyk ja noch steht, als Drehort aus?
Ich war dort, als ich Kontakt mit Peter Strelzyk aufgenommen hatte. Sie sind ja damals in das Haus zurückgezogen. Das war sehr inspirierend, weil ich einfach sehen konnte, wie die Situation dort war. Ich hab die kleine Straße gesehen, das Haus des Stasi-Nachbarn, den Original-Keller. Was aber auch sofort auffiel, war dass alles sehr renoviert aussah. Es wäre ein immenser Aufwand gewesen und ich hatte so ein Gefühl, dass ich dort nicht alles hätte so umsetzen können wie ich mir das vorgestellt hatte.
Und wie sind Sie dann auf Nordhalben gekommen?
Es ist durchaus üblich, dass bei so einer Produktion Location-Scouts losgeschickt werden. Und die suchen überall. Man hat auch mal im Ausland, etwa in Prag, geschaut, ob man etwas Passendes findet. Und irgendwann ist auch mal einer ins ehemalige Grenzgebiet gefahren.
Was hat Ihnen an Nordhalben gefallen?
Mir fiel sofort auf, dass man in die Weite blicken konnte. Das fand ich richtig stark! Man hat sofort den Thüringer Wald, diese hügelige Landschaft gespürt. Abgesehen von dem guten Gefühl, dass ich anhand der Struktur der Straßen und der Anlage des Ortes ein Stück weit an Pößneck erinnert wurde, hat mir vor allem diese Tiefe, die Möglichkeit in die Ferne zu schauen, irrsinnig gut gefallen. Das konnte ich mir gleich richtig schön auf der Leinwand vorstellen.
Sie, Ihre Hauptdarsteller und auch das Team haben mehrfach betont, dass in Nordhalben alle so freundlich und hilfsbereit gewesen sind. Welche Szene werden Sie diesbezüglich nicht vergessen?
Was für mich wirklich ein guter Moment war: Es gab eine Plansequenz, also eine ungeschnittene Szene, mit der Stoffverkäuferin im Stoffladen, die von einem Stasi-Offizier verhört wird. Wir filmten von außen und in der Reflexion des Schaufensters sollte man sehen, was draußen passiert.
Wir hatten die Szene eingerichtet, es hat alles wunderbar funktioniert, die Sonne stand perfekt. Plötzlich merkte ich, dass der Pfosten eines Straßenschildes genau im Weg stand. Das sieht man erst, wenn alles komplett eingerichtet ist, die Kamera den richtigen Winkel hat. Es hat alles gestimmt, aber dieses blöde Straßenschild hat mir das ganze Bild kaputt gemacht.
Was haben sie dann gemacht?
Ich guck so um mich, schau den Requisiteur an und frage in die Runde, was wir jetzt machen. Dann sagt er ganz vorsichtig, dass man es wegflexen könnte. Wir mussten aber natürlich erst nachfragen. Es gab einen Anruf beim Bürgermeister im Rathaus und fünf Minuten später war das Schild weg.
Waren Sie überrascht?
So etwas habe ich noch nie erlebt! Versuchen sie mal irgendwo in München ein Straßenschild wegzuflexen. Da flieg ich vorher noch zum Mond. Das zeigt, dass Nordhalben im Grunde wie ein großer Studiodreh war.
Wie kamen Sie eigentlich darauf, diesen Film zu drehen. 1982 waren Sie 14. Haben Sie damals "Mit dem Wind nach Westen", der die Flucht ebenfalls thematisierte, gesehen und waren beeindruckt?
Genau so war es. Als ich den Film in den 1980ern im Fernsehen gesehen habe, war ich in etwa so alt wie Frank Strelzyk, ein Teenager. Hinzu kam, dass ich so überhaupt keine Berührung mit der DDR hatte, weder Verwandte noch Bekannte. In meinem Leben war die DDR auch immer da, ich habe sie nicht in Frage gestellt. Ich bin 68er-Jahrgang, es gab zwei deutsche Staaten, das war normal. Und dann habe ich diesen Film gesehen, konnte ihn so hundertprozentig politisch auch nicht nachvollziehen.
Aber es hat Sie nicht los gelassen...
Dass zwei Familien dieses Risiko eingehen, ihr Leben riskieren, um in Freiheit leben zu können, hat mich total berührt. Und die Geschichte hat mich alle paar Jahre lang immer wieder eingeholt. Und für mich war klar: Wenn ich einen Thriller mache, dann diese Geschichte.
In welchen Bereichen haben Sie bewusst Unterschiede zu "Mit dem Wind nach Westen" gesetzt?
Ich sage es mal diplomatisch: Aus heutiger Sicht ist der Film nicht ganz zeitgemäß. Es ist eine amerikanische Produktion mit einer oberflächlichen Sicht auf die Dinge. 1982 gab es natürlich auch noch keine Einsicht in über 2000 Seiten Stasi-Akten zu den Familien Strelzyk und Wetzel.
Inwieweit hat das das Drehbuch beeinflusst?
Die Stasi-Akten haben eine große Rolle gespielt. Die beiden Drehbuchautoren Kit Hopkins und Thilo Röscheisen haben sie studiert und die für den Film relevanten Dinge einfließen lassen. Günter Wetzel war ja auch von der ursprünglichen Verfilmung so gar nicht begeistert und war anfangs dementsprechend skeptisch. Insofern bin ich extrem erleichtert, dass er unseren Film richtig gut findet. Alleine das unterscheidet uns schon von dem Film aus den 80ern.
"Ballon" war ihr erster nicht-komödiantischer Film. Warum gerade jetzt?
Die Weichen dafür sind letztendlich vor sechs bis sieben Jahren gestellt worden. Damals habe ich angefangen, an dem Projekt zu arbeiten. Klar, hat es auch etwas mit dem Alter zu tun. Ich kann Dinge heute auch ein Stück weit besser nachvollziehen. Diesen Film hätte ich vor 20 Jahren nicht gemacht. Heute bin ich selbst Vater. Mir ist immer wichtig, dass ich den Schauspielern auch etwas über die Situation und die Emotion erzählen kann. Dabei hilft es, wenn man Lebenssituation besser selbst nachvollziehen kann. Hinzu kommt, dass ich mich 20 Jahre lang unter dem Deckmantel der Komödie austoben konnte. Man hat nicht so oft die Möglichkeit in Deutschland einen Western oder einen Science-Fiction-Film zu drehen. Aber jetzt habe ich auch eine große Lust verspürt, einmal etwas anderes auszuprobieren.
Stichwort Dialekt: Um den ZDF-Film "Tannbach", der an den fränkisch-thüringischen Grenzort Mödlareuth angelehnt ist, gab es große Diskussionen, weil die Schauspieler nicht Fränkisch, sondern einen oberbayerisch angehauchten Dialekt sprachen. Sie wiederum haben sich komplett gegen eine thüringische Dialektfärbung entschieden. Warum?
Es gab Überlegungen und wir haben teilweise auch Szenen mit einer Färbung geprobt. Ich wollte kein Risiko eingehen, dass es auf irgendjemanden unfreiwillig komisch wirkt. Ich fand es gut, dass man eine leichte natürliche Färbung heraushört - bei Karoline Schuch manchmal einen leichten thüringischen Akzent und bei Friedrich Mücke das Berlinerische. Mehr Dialekt fand ich dann aber irgendwie belastend für den Film und habe mich dagegen entschieden.
Also sind Sie kein Fan davon, Dialekte nachzumachen - wie etwa auch beim Franken-Tatort der Fall?
In meinen Kinokomödien haben wir immer mit Dialekten gespielt. Unser Credo war aber immer: Entweder wir beherrschen den Dialekt und machen ihn 1A oder wir lassen ihn weg. Für mich selbst als Bayer ist es auch ein absoluter Albtraum, wenn irgendwelche Darsteller versuchen Bayerisch zu reden und man merkt, dass sie nicht von hier kommen. Das macht dann auch keinen Spaß. Selbst wenn der Dialog lustig ist, ist man abgelenkt, wenn der Dialekt einfach nicht stimmt. Deshalb bin ich der Meinung: dann lieber weglassen.
Das Gespräch führte Andreas Schmitt.