Im August 2016 wird Bens Antrag auf Namens- und Personenstandsänderung genehmigt. Die erste von acht Operationen ist nur einen Monat später in Hamburg. "Mir wurden die Brüste und die weiblichen Geschlechtsorgane entfernt", erzählt er. Auf die erste Operation habe er sich sehr gefreut. Bei der letzten Operation im Oktober 2019 wird ihm eine Penispumpe eingesetzt. "Das Gefühl, als ich aufgewacht bin, war überwältigend. Ich wusste, dass ich endlich fertig bin."
Keine Vorwürfe
Ben fühlt sich perfekt: "Ich kann in die Sauna gehen, ohne mich zu schämen." Der 21-Jährige weiß, dass es in zehn Jahren noch bessere Operationsergebnisse geben wird, doch das ist ihm egal: "Ich möchte mich wohlfühlen und habe die für mich bestmöglichen Varianten ausgesucht." Außer einer großen Narbe am Arm weist nichts auf die zahlreichen Operationen hin. Hier wurde Gewebe für den Aufbau seines Glieds entnommen.
Im Nachhinein weiß Ben, dass er sich eher an seinen Vater hätte wenden müsse. "Dann hätte ich bereits vor dem Ausbruch der Pubertät mit der Umwandlung beginnen können. Seiner Mutter macht er trotz allem keine Vorwürfe. "Ich weiß nicht, ob ich als Elternteil anders reagiert hätte als sie damals."
"In ländlichen Bereichen braucht es eben etwas mehr Zeit und vor allem Aufklärung"
Die Selbsthilfegruppe Trans-Ident Lichtenfels setzt sich für Menschen ein, die körperlich dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden, aber einem anderen Geschlecht angehören. Katja Leppers hat die Gruppe im März 2016 gegründet. Im Interview spricht sie unter anderem darüber, zu welchem Zeitpunkt sich Betroffene für eine Geschlechtsanpassung entscheiden.
Was tut die Gruppe Trans-Ident Lichtenfels für ihre Mitglieder?
Katja Leppers: Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, Transsexuellen und deren Angehörigen Hilfen auf ihrem Weg anzubieten. Wir beraten sie in allen Fragen, die ihre Transsexualität, beziehungsweise Transidentität, betreffen. Also zeigen wir Möglichkeiten auf, diesen Weg zu gehen und dabei möglichst Fehler zu vermeiden. Wir verfolgen keinerlei kommerzielle Ziele und wollen auch keine Therapie durch medizinische oder psychologische Fachkräfte ersetzen.
Trans-Ident ist die einzige Selbsthilfegruppe für trans Menschen in der Region. Wie groß ist das Einzugsgebiet?
Der Einzugsbereich ist nicht auf Landkreise oder Orte beschränkt. Der Raum nördliches Oberfranken und Thüringen wurde für unsere Selbsthilfegruppe (SHG) festgelegt, da es in den angrenzenden Regionen bereits weitere SHGs unter dem Dach von Trans-Ident gibt. Es ist aber nicht verpflichtend, in dieser Region zu leben, um hier teilnehmen zu können. Alle Betroffenen sind willkommen - auch deren Angehörige oder einfach Interessierte, die mehr über das Thema erfahren wollen.
Wann wird den Betroffenen klar, dass sie im falschen Geschlecht geboren wurden?
Das kann in verschiedenen Altersgruppen passieren. Die meisten bemerken aber bereits im Kindes- oder Jugendalter, dass bei ihnen andere Vorlieben und Denkweisen vorherrschen. Auch treten temporäre Gefühle, sich dem anderen Geschlecht als zugehörig zu empfinden, auf. Durch den schulischen Erfolgsdruck, die Lehre und das Arbeitsleben oder die Gemeinschaft, tritt der Wunsch dann immer wieder in den Hintergrund, bis sich die angesprochenen Umstände verändern. Bei mir war das Gefühl ab dem 38. Lebensjahr dauerhaft und vorherrschend.
Und zu welchem Zeitpunkt treten Betroffene der Gruppe bei?
Auch der Zeitpunkt ist hier sehr variabel. Betroffene im Jugendalter kommen mit einem oder beiden Elternteilen. Manchmal ist auch die Großmutter dabei, als Stütze. Betroffene jenseits der 50er brauchen mehrere Anläufe und kommen erst zu uns, wenn der innere und äußere Druck sehr groß geworden sind.
Wie profitieren Betroffene von der Teilnahme an den Treffen?
Sie oder er kann einfach nur zuhören, mitdiskutieren oder eigene Erkenntnisse mit einbringen. Das entscheidet die Person alleine. So werden Informationen ausgetauscht, die die eigene Transition besser verstehen lassen. Erfahrungswerte zeigen, dass fast allen recht schnell klar wird, dass dieser Austausch auch sehr befreiend wirkt.
Über welche Themen wird bei den monatlichen Treffen gesprochen?
Im Prinzip berührt es alle Bereiche, die im Rahmen mit der Veränderung zum anderen Geschlecht einhergehen. So werden unter anderem die benötigten Arztbereiche, der Ablauf einer Namens- und Personenstandsänderung, die Hormontherapie und der Alltagstest angesprochen. Natürlich werden da auch Situationen des täglichen Miteinanders in der Frauen- und Männerrolle beschrieben und wie im Einzelnen reagiert wurde. So sind Erfahrungswerte nutzbar und nicht jede(r) muss alle Hürden selber nehmen.
Wie schätzen Sie die Akzeptanz gegenüber Transsexuellen in der Gesellschaft ein?
Auch wenn es vereinzelt zu Pöbeleien oder Übergriffen kommt, ist die Akzeptanz in unserer Gesellschaft eher positiv. Ich glaube, dazu hat die öffentliche Aufklärung in den Medien auch ein gutes Stück weit beigetragen. In anderen EU-Staaten, wie beispielsweise in Rumänien, sehen die Möglichkeiten wesentlich schlechter aus, allein was Behördengänge anbelangt. Generell gibt es diesbezüglich vor allem zwischen Städten und ländlichen Regionen große Unterschiede. So ist die Akzeptanz in den Städten, besonders in Großstädten größer. Dort wird man schon seit Jahrzehnten mit diesem Thema konfrontiert. In ländlichen Bereichen braucht es eben etwas mehr Zeit und vor allem Aufklärung.
Denken Sie, dass noch Nachholbedarf besteht, was die Aufklärung zum Thema Transidentität betrifft?
Mehr Information trägt zu besserem Verständnis bei. Es ist immerhin ein großer und breitgefächerter Themenbereich. Viele können da schon mit den einzelnen Begriffen nichts anfangen und kehren vieles unter einen Teppich. Um dies zu vermeiden, sollte nach wie vor die Aufklärung in unserer Gesellschaft stattfinden. Am besten schon in der Grundschule oder aber auch bei den Selbsthilfegruppen, wie Trans-Ident Lichtenfels. So könnte die Transphobie, also die Vorurteile gegenüber Transsexuellen, bald ein Stück weit der Vergangenheit angehören.
Trans-Ident Lichtenfels
Kontakt Wer Teil der Selbsthilfegruppe werden möchte, kann sich mit Katja Leppers (Mail: katja@trans-ident,de / Handy: 0171 / 9501990) in Verbindung setzen. Der Stammtisch trifft sich jeden ersten Dienstag im Monat im Landgasthof Karolinenhöhe in Trieb.