Lichter der Trauer und Hoffnung

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In der Klagewand der Wallenfelser Kirche wurden Lichter für Verstorbene angezündet. Auf Zetteln an der Pinnwand daneben, kommen Unverständnis und Trauer zum Ausdruck. Fotos: Corinna Igler
In der Klagewand der Wallenfelser Kirche wurden Lichter für Verstorbene angezündet. Auf Zetteln an der Pinnwand daneben, kommen Unverständnis und Trauer zum Ausdruck. Fotos: Corinna Igler
In der Kirche gibt es Gelegenheit in der Bibel zu blättern und zu beten, um das Passierte zu verarbeiten.
In der Kirche gibt es Gelegenheit in der Bibel zu blättern und zu beten, um das Passierte zu verarbeiten.
 
Ein Zitat aus dem Johannesevangelium liegt aus.
Ein Zitat aus dem Johannesevangelium liegt aus.
 
Zur Trauerbewältigung kann man seine Gedanken in der Kirche auch an eine Pinnwand pinnen.
Zur Trauerbewältigung kann man seine Gedanken in der Kirche auch an eine Pinnwand pinnen.
 
Vor dem Haus, in dem insgesamt acht Babyleichen gefunden wurden, stehen Kerzen, Teddybären und Engelsfiguren. Auch Blumen wurden niedergelegt.
Vor dem Haus, in dem insgesamt acht Babyleichen gefunden wurden, stehen Kerzen, Teddybären und Engelsfiguren. Auch Blumen wurden niedergelegt.
 
Am Sonntag finden sich im Trauerbuch schon einige Einträge.
Am Sonntag finden sich im Trauerbuch schon einige Einträge.
 
In der Klagewand in der Wallenfelser Kirche brennt ein kleines Teelicht. Dort können Kerzen für die toten Babys angezündet werden
In der Klagewand in der Wallenfelser Kirche brennt ein kleines Teelicht. Dort können Kerzen für die toten Babys angezündet werden
 
In der Kirche können sich Trauernde in ein Buch eintragen, ihre Gedanken dort zum Ausdruck bringen.
In der Kirche können sich Trauernde in ein Buch eintragen, ihre Gedanken dort zum Ausdruck bringen.
 
An der Pinnwand hängen am Sonntag schon einige Zettel, die Unverständnis und Trauer ausdrücken.
An der Pinnwand hängen am Sonntag schon einige Zettel, die Unverständnis und Trauer ausdrücken.
 

In Wallenfels herrscht auch Tage nach dem grausigen Fund von acht toten Säuglingen in einem Wohnhaus noch große Betroffenheit. Während einige in der Kirche ihre Gefühle zum Ausdruck bringen, werden andere von penetranten Medienvertretern belästigt. Ein Stimmungsbild.

Ein kleines Mädchen klettert zwischen zwei Kirchenbänken. Es lächelt fröhlich hinter seinem Schnuller hervor. Die Erwachsenen um das Mädchen herum haben eine ernstere Miene, wirken noch immer wie in Trance.
Am Sonntagmorgen ist Familiengottesdienst in Wallenfels. Und, wie überall, Volkstrauertag. Doch Wallenfels trauert besonders. Die Klagewand in der Kirche ist voller flackernder Teelichter - für die Verstorbenen. Dazu zählen auch acht Babys, deren Leichen am Donnerstagabend und im Laufe des Freitags in einem Haus in der Flößerstadt gefunden wurden.

Seitdem ist in Wallenfels nichts mehr wie es war, wie Bürgermeister Jens Korn auch in der Kirche anspricht.
Samstagmorgen, 8 Uhr: An vielen Häusern sind die Rollos heruntergelassen. Im Radio läuft "far far away". Und irgendwie wirkt es bei der Fahrt durch Wallenfels fast ein bisschen so, als ob sich die kleine Flößerstadt auch insgeheim wünscht, weit weg zu sein. Immerhin ist der 2800-Einwohner-Ort seit Donnerstagabend weltweit in den Schlagzeilen. Nicht nur bundesweit berichten sämtliche Medien über den tragischen Fund der acht Babyleichen. Sogar BBC informiert.

Auch an dem Haus, in dem man die sterblichen Überreste von acht Säuglingen gefunden hat, sind die Rollos heruntergelassen. Auf dem Fensterbrett davor stehen Kerzen, liegen Teddybären, Engel und Blumen. Gegenüber hält ein Wagen mit Münchner Kennzeichen. Die Insassen starren hinüber auf die Kerzen und Blumen. Dann kommt ein Kleinbus - ein Fernsehteam.

"Guuuuuten Morgeeeeen", tönt es derweil gut gelaunt, immer, wenn die Tür zu der kleinen Bäckerei aufgeht. Man möchte meinen, es ist der einzige Ort, wo in Wallenfels an diesem Morgen Leben herrscht. Diejenigen, die hereinkommen, greifen als erstes zum Zeitungsständer. "Mutter versteckt 8 tote Babys!" steht dort in weißen Lettern, rot unterstrichen auf schwarzem Grund, auf der Bild-Zeitung. Geredet wird über diese Schlagzeilen in der Bäckerei aber nicht. Semmeln, Faschingskrapfen werden in die Tüten gepackt und dazu kommt bei fast jedem Kunden an diesem Morgen noch eine Zeitung.


Journalisten fragen in Bäckerei

Die Kunden kennen sich, es wird sich unterhalten. Geburtstagsgrüße an die Mutter einer Kundin werden ausgerichtet. Über den schrecklichen Fund der Babyleichen oder darüber, dass die vermeintliche Mutter am Vorabend in einer Kronacher Pension festgenommen wurde, verliert keiner ein Wort. Nur ein älterer Herr will von den beiden Verkäuferinnen hinter der Theke wissen, ob "da vorne" denn noch "das Fernsehen" steht. Beide zucken mit den Schultern: "Des wiss' me aa niä."

Auch Bürgermeister Jens Korn holt Frühstückssemmeln - und greift zum Zeitungsständer. "Was schreibt denn die Bild?" Er blickt drauf, sieht das verpixelte Bild der Mutter der toten Babys und zieht eine Augenbraue hoch. "Man muss doch auch daran denken, dass die Frau Kinder hat, Eltern und andere Verwandte, die das lesen", sagt eine Kundin dazu.

Derweil ist immer wieder das laute "Guuuuuten Morgeeeeen" zu hören. Die Verkäuferin kennt fast jeden, der hereinkommt, beim Namen. Die beiden Frauen, die kurz vor 9 Uhr die Tür zur Bäckerei aufstoßen, nicht. Die beiden fragen die Verkäuferin, was denn von dem Schock in der Flößerstadt noch zu spüren sei. "No des geht weiter", antwortet sie, ohne die beiden jungen Frauen anzuschauen. "Mir wissen aa näx. Des wedd alles rauskumma", fügt sie hinzu und verschwindet in die Backstube.
Ihre Kollegin macht den beiden Frauen einen Kaffee. An der Tür befragen sie eine ältere Dame, die die Bäckerei betritt. Kurz darauf verabschieden sie sich, fotografieren draußen noch die Bäckerei.
Die Verkäuferinnen kennen diese Situation. Viele Journalisten haben in den vergangenen Tagen in der Bäckerei gestanden, Fragen gestellt. "Obä woss wölln denn mier dezu souch? Mier homms doch niä mit gricht", sagt die Rothaarige.

In der Kirche hängt ein Mann einen Zettel an eine Pinnwand. "Wir trauern", steht darauf. Er legt buntes Papier auf das Tischchen davor. Hier können Trauernde ihre Gedanken aufschreiben und mit Reißzwecken an die Wand heften.

Am Sonntagmorgen hängen dort schon einige. "Warum durften die 8 Kinder ihr Leben nicht leben?", steht auf einem. "Wie konnte so etwas nur passieren?", auf einem anderen.
Im Trauerbuch daneben fällt ein "Warum?" ins Auge. Und die Frage "Wie kann so etwas unbemerkt bleiben?" Darüber hat Bürgermeister Jens Korn geschrieben: "Diese Tragödie macht uns sprachlos. Wir trauern um die Kinder, die nicht leben durften."


Lichter gegen die Dunkelheit

Und auch das Mitgefühl mit den Angehörigen ist groß: "Gib den Angehörigen Kraft!", "Die armen Geschwisterkinder!", steht da etwa geschrieben.

Im Familiengottesdienst wird ein Zwiegespräch nachgestellt. "Haben wir denn gar nichts dieser düsteren Stimmung entgegenzusetzen?", fragt dabei eine Frau. Auch wenn es in dem Zwiegespräch um den dunklen Monat November geht, steht der Satz symbolisch für den Zustand, in dem sich die Wallenfelser derzeit befinden. Pater Poja will dieser Dunkelheit Lichter entgegensetzen. Vom Licht der Trauer - "jeden Tag werden irgendwo auf dieser Welt Menschen umgebracht, auch kleine Menschen, die nur wenige Pfund wiegen" - bis hin zum Licht der Hoffnung - "Hoffnung auf Einsicht und Reue bei den Personen, die sich schuldig gemacht haben am Tod anderer".

Auch in den Fürbitten wird das für alle noch immer unfassbare Ereignis dieser Tage aufgegriffen. Die Wallenfelser bitten "für diejenigen, die kein Recht auf Leben auf dieser Welt erhalten haben, für diejenigen, die beim Tod der acht Kinder Schuld auf sich geladen haben" und um "Trost für die Trauernden, die unter dem Tod der acht Säuglinge leiden".

Jens Korn geht in seiner Rede zum Volkstrauertag darauf ein, dass "die letzten zwei Tage alles verändert haben. Wir können nicht fassen, dass sich bei uns etwas abgespielt hat, was wir nur aus dem Fernsehen kennen, etwas, von dem wir dachten, dass das bei uns nicht geschehen kann."

Viele fragten sich, ob man hätte helfen können. Mit dem Volkstrauertag werde ein passendes Signal ausgesandt: Der Appell zum Frieden. "Wer mit sich selbst in Frieden lebt, wird keinem anderen, auch keinem Kind, Gewalt antun", ruft Korn dazu auf, den Menschen im Umfeld zu helfen, ihren Frieden zu finden.
Die Trommler, die an der Kirchentür stehen, fangen an zu trommeln. Eine Frau wischt sich eine Träne unter ihrer Brille weg.

Und am Altar stehen die Kinder, die am Familiengottesdienst teilgenommen haben, zwischen den Bänken umhergeklettert sind, mit Kerzen in der Hand. Auch acht weitere Kinder hätten darunter sein können.