Thomas lehnt sich auf der Bank nach vorne und presst die Augen fest zusammen. Dann wird er ganz leise, seine Stimme ist kaum noch zu hören. "Viel schlimmer als die Tritte ist aber, dass mir keiner aus der Gruppe geholfen hat." Vielleicht standen die Jugendlichen unter Schock, waren eingeschüchtert. Doch bei Thomas hat sich das Gefühl der Hilflosigkeit eingebrannt. Erst als weitere Passanten in die Auseinandersetzung eingriffen, ließen die jungen Männer von ihm ab und flohen.
Danach fehlt von ihnen jede Spur. Und bei Thomas beginnt es zu rattern. "Wie kann es sein, dass mich ein Arschloch so herrichtet? Ich bin eigentlich kein nachtragender Mensch, aber da habe ich Hass gespürt." Dass die Täter nach dem Angriff zunächst weiterhin auf freiem Fuß sind, lässt ihm keine Ruhe. Nachts fährt er in Kronach mit gebrochener Nase und geprellten Rippen Streife. Immer und immer wieder. "Ihre Gesichter hatte ich eingescannt. Du könntest tausend Leute hier aufreihen und die beiden darunter mischen - ich würde sie sofort erkennen."
Thomas' Leid vor Gericht: Wie der 52-Jährige Jugendlichen helfen wollte und selbst zum Opfer wurde
Einige Tage darauf glaubt er, einen der Männer vor der Praxis seines Arztes wiederzuerkennen und wird panisch. Er alarmiert die Polizei. Zwei Personen werden an diesem Tag festgenommen. Ob es wirklich die beiden Täter waren, weiß Thomas bis heute nicht.
Unangenehmes Wiedersehen
Als im April 2019 der Prozess am Coburger Landgericht beginnt, sitzt Thomas seinen Peinigern schließlich gegenüber. 19 und 23 Jahre alt sind sie, angeklagt wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung. Am Ende wird der 19-Jährige zu drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, sein Freund kommt mit 60 Arbeitsstunden davon. Das Gericht konnte ihm die Tritte gegen Thomas' Kopf nicht eindeutig nachweisen. Doch Thomas kennt die Wahrheit. "Er hat mir die Nase kurz und klein geschlagen und kommt dann so fein aus der Sache raus."
Erst als ein Rechtsmediziner detailliert Thomas' Verletzungen schildert, wird ihm klar: Es hätte nicht viel gefehlt, ein weiterer Tritt, ein letzter Faustschlag - und Thomas wäre an dem Abend am Marienplatz gestorben. Dass der 23-jährige Angeklagte nicht zum Urteil erscheint, wirkt auf ihn wie ein Schuldeingeständnis.
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"Ich weiß nicht, ob mein Mandant noch einmal hilft, denn die Folgen für ihn sind massiv", mahnte Thomas' Anwalt in seinem Plädoyer. Doch der 52-Jährige bereut es nicht, geholfen zu haben. Und er würde es wieder tun. Einer der Schüler, der beim Angriff ebenfalls verprügelt wurde, saß danach mit ihm im Krankenwagen. Thomas erinnert sich noch daran, wie der 17-Jährige vor Panik hyperventilierte.
Mittlerweile ist zwischen ihnen eine Freundschaft entstanden. Der 17-Jährige begeistert sich ebenfalls für Motorräder, holt sich Tipps. Was wäre aus ihm geworden, wenn Thomas damals nicht eingegriffen hätte? "Vielleicht war ich einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort, da reden wir manchmal drüber", sagt Thomas. Bald wollen die beiden zusammen eine Motorradtour machen. Sich einfach mal den Wind um die Nase wehen lassen.
*Name von der Redaktion geändert.
Hilfe für Betroffene
Der Weiße Ring unterstützt Menschen, die Opfer von Kriminalität geworden sind. Für den Kreis Kronach leitet Inge Schaller die Außenstelle in Ludwigsstadt mit der Telefonnummer 09263/975910.