Flüchtlinge in Kronach: Eine Aufgabe, die zu meistern ist

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Mehrere Abteilungen müssen sich im Landratsamt mit Flüchtlingsfragen befassen. Foto: Anja Greiner
Mehrere Abteilungen müssen sich im Landratsamt mit Flüchtlingsfragen befassen. Foto: Anja Greiner

Ausländerbehörde, Jugendamt und Gesundheitsamt am Landratsamt Kronach arbeiten seit Wochen personell am Anschlag. Es gilt nun, Strukturen zu schaffen, damit der Ausnahmezustand nicht zur neuen Normalität wird. Ein Lagebericht.

Zwei Tage lagen zwischen dem Bild des toten Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi, der am Strand des türkischen Badeorts Bodrum angespült wurde und den Bildern vom Münchner Hauptbahnhof, als Hunderte Deutsche die Flüchtlinge begrüßten, die tagelang an der ungarischen Grenze ausgeharrt hatten. "Flüchtlinge Willkommen" stand auf den Schildern. Es wurde geklatscht.

Mindestens 8000 Flüchtlinge kamen in nur zwei Tagen in München an. Drei Busse aus München landeten in den folgenden Wochen auch in Kronach. Zwei bis drei Tage wurden die Flüchtlinge im Schulzentrum untergebracht, dann weiterverteilt auf andere Einrichtungen in Zirndorf, Gießen, Karlsruhe und Bielefeld. Aktuell sind über 200 000 Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland untergebracht. Rund 23 800 davon in Bayern. Am meisten in Nordrhein-Westfalen (46 000).

Mit Klatschen kommt jetzt keiner mehr weiter. Wer jemanden wirklich willkommen heißt, der muss mehr tun.
Die Folge: Ein Ausnahmezustand der zur Normalität geworden ist. Auch in Kronach. Seit Wochen arbeiten die Behörden im Kreis an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Momentan, sagt Bernd Graf, Sprecher des Landratsamtes, sei der laufende Betrieb eine Frage der Priotätensetzung.


Das Ausländeramt

Seit dem 31. August sind die Öffnungszeiten in der Ausländerbehörde des Landratsamtes eingeschränkt. Grund dafür sind "die steigenden Asylbewerberzahlen und die daraus resultierenden übermäßigen Belastungen der Mitarbeiter." Derzeit wird nach einer Assistenzkraft gesucht. Bis die Öffnungszeiten wieder verlängert würden, müssten nun einerseits die "Altfälle" aufgearbeitet werden, die während der vergangenen Wochen liegengeblieben seien, sagt Graf. Andererseits müsse die Entwicklung des Flüchtlingszustroms abgewartet werden.

Momentan bekommt der Landkreis pro Woche elf Asylbewerber zugewiesen, die dezentral untergebracht werden müssen. Größere Unterbringungsmöglichkeiten gibt es derzeit nicht, darum werden die meisten in privaten Mietwohnungen einquartiert. Die Suche nach Wohnraum und die Registrierung der neu ankommenden Flüchtlinge beanspruchen die meiste Arbeitszeit. Außerdem muss die Weiterverteilung der Flüchtlinge auf andere Bundesländer organisiert werden. "Sonderdienste und Überstunden fallen in erheblichem Umfang an", sagt Graf.


Das Jugendamt

Das größte Problem momentan sind fehlende Strukturen. Besonders deutlich wird das bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. "Solange nicht auf Regelstrukturen zurückgegriffen werden kann, sind die Mitarbeiter unmittelbar gefordert", sagt Graf. Sie müssen Notunterbringungen zur Erstversorgung finden und eine pädagogische Begleitung sicherstellen. Sie müssen Arztbesuche organisieren, Kleidung kaufen, Taschengeld auszahlen und eine psychologische Betreuung gewährleisten. Sind die jungen Menschen auf Jugendeinrichtungen verteilt, muss mit dem Trägern ein pädagogisches Konzept erstellt werden.

Für jeden unbegleiteten minderjährigen Flüchtling ist ein Vormund zu bestellen. Findet sich keiner, wird das Jugendamt zum Amtsvormund bestellt und hat als solcher die Pflicht, die Entwicklung seines Mündels persönlich zu begleiten und zu unterstützen. 350 Millionen Euro will der Bund nach den jüngsten Verhandlungen am Donnerstag für unbegleitete Flüchtlinge ausgeben. Ein Anfang, um Strukturen zu schaffen, die die Mitarbeiter entlasten.


Das Gesundheitsamt

Die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml hat kürzlich an Ärzte vor Ort appelliert, die Gesundheitsämter bei den notwendigen Untersuchungen der Flüchtlinge zu unterstützen.

Bislang musste Matthias Georgi, stellvertretender Leiter des Gesundheitsamtes, noch nicht auf externe Hilfe zurückgreifen. "Bisher haben wir es hinbekommen; wenn die Zahlen jetzt enorm steigen, wird es sicher schwieriger werden", sagt er und: "Die Belastungen sind da." Die Überstunden hielten sich aber noch in Grenzen.

Bei der medizinischen Versorgung der Flüchtlinge wird unterschieden in Kurzscreenings und Gesundheitsuntersuchungen. Das Kurzscreening hat per Gesetz spätestens am folgenden Arbeitstag nach der Ankunft zu erfolgen. Es ist eine erste Inaugenscheinnahme, bei der offensichtliche Verletzungen versorgt werden. Zehn Minuten dauere das im Schnitt pro Person. In der Regel sind vier Personen vor Ort. Manchmal ist ein Dolmetscher dabei, manchmal müssen die Sprachtabellen ausreichen, in denen einzelne Begriffe aufgelistet sind, und manchmal geht es nur mit Händen und Füßen. Die Gesundheitsuntersuchung muss spätestens drei Tage nach der Ankunft erfolgen. Dabei wird auf Tuberkulose geröntgt und Blut abgenommen.


Die Kämmerei

Nein, einen Nachtragshaushalt werde es wegen der Flüchtlingssituation im Landkreis sicherlich nicht geben, sagt Kreiskämmerer Günther Daum. "Wir werden das abfedern können." Zumal das Gros der Kosten, wie Miete für die Unterkünfte oder die Verpflegung für die Flüchtlinge, vom Freistaat getragen werde. Manches gehe direkt zu Lasten des Staatshaushaltes, manches werde vom Kreis vorfinanziert und später wieder zurückfließen. Ein standardisiertes Vorgehen gebe es noch nicht - die Prioritäten seien in den vergangenen Monaten anders gesetzt worden: Im Mittelpunkt hätten die Menschen gestanden. Der Gedanke an das Geld, sagt Daum, habe hinten angestanden. Zwangsurlaub für die Bürokratie sozusagen.

Das am Donnerstag verabschiedete Hilfspaket der Bundesregierung sieht nun vor, pro Flüchtling und Monat Kosten von 670 Euro zu übernehmen. Welche Mehrkosten tatsächlich auf den Kreis zukommen werden, hat Daum noch nicht durchkalkuliert. Sicher ist, es muss mit mehr Personalkosten gerechnet werden. Diese Kosten müssen von der Behörde selbst getragen werden. Eine Assistenzstelle im Ausländeramt wie sie derzeit ausgeschrieben ist, beziffert Daum in einer groben Schätzung auf 40 000 Euro.


Die Wohlfahrt

"Vielleicht trauen sich die Leute nicht, wenn sie mit mir sprechen", sagt Gerd Weickert, aber bislang habe er noch nichts Negatives gehört. Weickert ist bei der Diakonie für Migrations- und Flüchtlingsfragen in Michelau und Redwitz zuständig. "Die meisten Menschen", sagt er, "wollen sich für Flüchtlinge engagieren. Die grundsätzliche Stimmung ist gut."

Seit Elmar Jonas vor drei Wochen aus seinem Urlaub zurückkam, würden sich beinahe täglich mindestens zwei Leute melden, die ehrenamtlich die Flüchtlinge unterstützen wollen. Jonas, ebenfalls bei der Diakonie für die Flüchtlingsarbeit zuständig, spricht von einer "überwältigenden Hilfsbereitschaft". Nicht zuletzt wohl auch wegen der momentan guten wirtschaftlichen Lage. Steige die Arbeitslosenzahl, sinke im Gegenzug womöglich die Hilfsbereitschaft wieder, sagt Jonas.

Und ja, er kenne sie, die Bedenkenträger in seiner Nachbarschaft. Die, die sich fragen, wo das alles hinführt und wer dafür am Ende die Rechnung bezahlt. "Menschen, die für alles einen Sündenbock suchen", nennt Jonas sie. Und dabei ist die Flüchtlingssituation, auch wenn es derzeit den Anschein hat, kein neuer Umstand. "Als ich 1994 hier angefangen habe", sagt Jonas, "lebten im Kreis Kronach 500 Flüchtlinge verteilt auf 26 Unterkünfte - die Spätaussiedler noch nicht mitgezählt". Momentan leben (auch alle Flüchtlinge eingerechnet) 436 Asylbewerber im Landkreis Kronach.

Wenn Bernd Graf vom Landratsamt von den Bedenken erzählt, mit denen er konfrontiert wird, so lassen sich diese in einem Satz zusammenfassen: "Wo soll denn das überhaupt noch hinführen?" Ein erster Teil der Antwort auf diese Frage könnte das jüngste Hilfspaket der Bundesregierung über vier Milliarden Euro sein. Ein zweiter könnte schlicht Optimismus lauten. Oder wie Kreiskämmerer Günther Daum es ausgedrückt hatte: "Wir schaffen das." Und man möchte klatschen.