Ein neues Leben ohne Krieg

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Arif floh vor drei Monaten aus Pakistan nach Deutschland. Geld bekommen und nichts dafür zu tun, das wollte er nicht. Im "Lädla" der Caritas hilft er jetzt zwei Tage ehrenamtlich beim Einsammeln der Lebensmittelspenden. Foto: Anja Greiner
Arif floh vor drei Monaten aus Pakistan nach Deutschland. Geld bekommen und nichts dafür zu tun, das wollte er nicht. Im "Lädla" der Caritas hilft er jetzt zwei Tage ehrenamtlich beim Einsammeln der Lebensmittelspenden.  Foto: Anja Greiner

Seit drei Monaten ist Arif in Deutschland. Geflohen ist der 29-Jährige vor dem Terror in Pakistan. Weil er kein gutes Gefühl dabei hatte, Geld zu bekommen, ohne etwas dafür zu tun, engagiert er sich jetzt ehrenamtlich bei der Caritas.

Wo Arif auch hinkam, der Krieg war immer schon da. Er kam aus dem benachbarten Afghanistan, wo die russische Intervention 1979 und die anschließende Taliban-Herrschaft Spuren hinterließen. Die folgenden Kampfeinsätze der Amerikaner konnte Arif aus seinem Klassenzimmer beobachten. Auf der anderen Seite der Berge. In einem Dorf in Pakistan, nahe der afghanischen Grenze. Krieg und Terror kamen aber auch aus Pakistan selbst. Die Religionskämpfe zwischen Sunniten und Schiiten, das pakistanische Militär gegen die Taliban, und zahlreiche regionale Gruppen gegen den islamischen Terror. Es ist, im wahrsten Sinne des Wortes, zum Davonlaufen.


Neue Freunde gefunden

Arif ist heute 29 Jahre alt, sein Heimatland Pakistan kennt er nur im Krieg. Ein Kulli, sagt er, koste zehn Euro. Ein Maschinengewehr bekomme man für einen Euro. Es ist ein Beispiel, nicht die Zahlen sind das entscheidende, sondern das Verhältnis. Arif, schwarze Haare, braune Augen, wollte den Kulli nicht gegen eine Waffe eintauschen. Also floh er. Seit drei Monaten ist er nun in Deutschland. Seit sechs Wochen arbeitet er ehrenamtlich im Caritas-"Lädla".

Er sagt: "Ich wollte nicht einfach so Geld von der Regierung bekommen, ohne etwas dafür zu tun - das hat sich nicht gut angefühlt." Arif versteht ganz gut Deutsch, das Sprechen fällt ihm schwerer, meist antwortet er auf Englisch.

"Er kam zu mir mit einer Bekannten", sagt Birgit Weickert von der Sozialen Beratungsstelle der Caritas. Er würde gerne etwas tun, habe er gesagt. Und Weickert teilte ihn als Beifahrer für die Touren im Sozialladen ein. Montag und Dienstag holt er nun von 7.30 bis 12 Uhr Lebensmittelspenden ab und freut sich, dass er, wie er sagt, neue deutsche Leute kennen und die Kultur besser verstehen lernt. Manchmal hat er eine Mitfahrgelegenheit von Steinwiesen nach Kronach, manchmal fährt er mit dem Fahrrad. Knapp eineinhalb Stunden dauert die Fahrt dann.

"Wenn Sie mich fragen, wie Deutschland für mich ist, dann ist das für mich ein neues Leben", sagt er. "Ich bin 1986 in Pakistan geboren und ich bin im Juli, als ich nach Deutschland kam, nochmal geboren."
Er spielt seit kurzem Volleyball im Verein, nimmt an vier Tagen die Woche Deutschunterricht - alles durch ehrenamtliche Helfer ermöglicht.


Tolle Leute

Er sagt, dass er Glück hatte, dass er tolle Leute in Steinwiesen kennen gelernt habe. Allen voran eine Mitarbeiterin im Tourismusbüro, die ihm bei allem hilft. Sie hat ihn in den Verein gebracht und zur Caritas. Sie ist meine beste Freundin hier", sagt er. Was er nicht sagt, dass die Arbeit, der Sport, das Treffen mit anderen Menschen ihn auch von seinen Erinnerungen an knapp 30 Jahre Krieg und Terror ablenkt.

Er hatte drei Schulfreunde, die wurden erst entführt, dann getötet. Obwohl. Sie sind nicht einfach nur getötet worden, sagt er. Dann fällt ihm das Wort nicht ein. "Wie bei einem Baum", sagt er und macht mit dem Arm eine sägende Bewegung. Zerstückelt habe man sie.

Kurz vor seiner Flucht - Arif war Student an einer kleinen Universität, Elektroingenieurwesen, viertes Semester - sei ein Studienfreund von ihm gezielt entführt und nach einer Woche tot an seine Familie zurückgeschickt worden.


60 Millionen Menschen fliehen

Keiner, sagt er, will sein eigenes Land verlassen, vor allem nicht seine Familie. Er hat eine kleine Schwester und einen Bruder - mit seiner Mutter leben sie noch in Pakistan. Wie es ihnen geht, weiß er momentan nicht. Sein Vater ist selbst vor zehn Jahren nach Deutschland geflohen und lebt jetzt in Berlin. Er hat Arif in Steinwiesen besucht. Sollte Arifs Asylantrag genehmigt werden, will er vielleicht auch nach Berlin.

In Steinwiesen wohnt er in einer Wohnung mit acht anderen Asylbewerbern. Die Chancen für eine Aufenthaltsgenehmigung stünden nicht allzu schlecht. Eine genaue Auskunft darüber, wie lange sich das Asylverfahren noch hinziehe, bekomme er nicht. Die zuständigen Stellen am Landratsamt wissen es schlicht selbst nicht. Die Mitarbeiter sind seit den rasant gestiegenen Flüchtlingszahlen der vergangenen Wochen ohnehin an ihren Belastungsgrenzen. Ein beschleunigtes Asylverfahren, wie es derzeit für Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak gilt, wird bei Flüchtlingen aus Pakistan nicht angewandt.

2014 wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BamF) rund 170 000 Erstanträge auf Asyl gestellt, heuer waren es allein im September über 40 000. Insgesamt waren es 2015 bislang über 270 000. Die meisten Anträge stammen von Flüchtlingen aus Syrien (rund 16 000) gefolgt von Albanien (rund 6000) und Afghanistan (rund 2000). Mit gut 1000 Asylanträgen liegt Pakistan auf Platz 7 der Hauptherkunftsländer im September. Weiter vorne liegt Pakistan wenn es um die Liste der Länder geht, die am meisten Flüchtlinge beherbergen.
Laut dem Report 2014 der UNO-Flüchtlingshilfe UNHCR sind weltweit fast 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Der Großteil davon, etwa 38 Millionen Menschen, flieht innerhalb seines eigenen Landes. Ein weiterer Teil flieht in die Nachbarstaaten. 2014 kamen 1,51 Millionen in Pakistan an. Nur die Türkei nahm mit 1,59 Millionen Menschen noch mehr Flüchtlinge auf. Über welche Route Arif nach Deutschland kam, daran könne er sich nicht mehr erinnern. Vielleicht will er es auch nicht erzählen. "Wir waren nie in Städten, mal im Bus, dann zu Fuß, viele Berge, meistens nachts." Vor einem Jahr habe er es schon mal auf dem legalen Weg versucht. Sein Visa-Antrag sei abgelehnt worden. Nach insgesamt drei Monaten auf der Flucht wurde er im Juli von der Polizei in Passau aufgegriffen, in einer Erstaufnahmeeinrichtung registriert, erst nach Mitwitz und schließlich nach Steinwiesen gebracht.


Folgen einer Flucht

Arifs Nase ist zweimal gebrochen, er hat eine fünf Zentimeter lange Narbe auf der linken Kopfseite - manchmal ist ihm schwindelig. Sein Rücken schmerzt. Das sind nur die körperlichen Folgen einer Flucht und deren Vorgeschichte. Jeder, sagt er, der das erlebt hat, sei auch psychisch ein Wrack. Die Bilder, die Träume. Hier in Deutschland habe er nun das Gefühl, ein bisschen zur Ruhe zu kommen. Das erste Mal. Seit 29 Jahren.