Anouschka Renzi überstrahlt sie alle

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Das glänzend aufspielende Ensemble wurde vom Publikum im Kronacher Kreiskulturraum mit donnerndem Applaus belohnt. Fotos: Heike Schülein
Das glänzend aufspielende Ensemble wurde vom Publikum im Kronacher Kreiskulturraum mit donnerndem Applaus belohnt. Fotos: Heike Schülein
Die Liebe zwischen Anna Karenina (Anouschka Renzi) und Graf Wronskij (Matthias Schuppli) ist übermächtig.
Die Liebe zwischen Anna Karenina (Anouschka Renzi) und Graf Wronskij (Matthias Schuppli) ist übermächtig.
 

Im Kronacher Kreiskulturraum war Leo Tolstois "Anna Karenina" mit erstklassigen Darstellern zu sehen und wurde mit donnerndem Applaus belohnt. Das galt besonders für die erstklassige Leistung von Anouschka Renzi.

Als das Stück mit dem Selbstmord von Anna Karenina endet, die sich in ihrer Verzweiflung vor einen Zug stürzt, dauerte es im Kreiskulturraum einen Moment, bis der donnernde Applaus einsetzte. Das lag aber keineswegs daran, dass das Epos nicht zu fesseln verstand oder nicht beim Publikum ankam.
Im Gegenteil: Man war noch zu aufgewühlt, zu schmerzvoll berührt und zu sehr in der Handlung, um sofort wieder im "Jetzt" ankommen zu können. Den Akteuren ging es nicht anders. Insbesondere die Hauptdarsteller Anouschka Renzi und Matthias Schuppli brauchten einige Augenblicke, bis sie den Beifall genießen konnten - so intensiv war ihr Spiel und so sehr gingen sie in den einzelnen Charakteren auf.

Berühmte Vorgängerinnen

Sicherlich werden sich einige vor der Aufführung gefragt haben, wie sich denn die "Renzi" in der Titelrolle macht, denn Anna Kareninas hat es schon viele gegeben
- von Greta Garbo über Vivian Leigh bis jüngst Keira Knightley. So viel vorweg: Anouschka Renzi brauchte sich hinter ihren berühmten Vorgängerinnen nicht zu verstecken. Ihr gelang es beeindruckend, die Tragik der Titelfigur zu unterstreichen.
Alles trägt sie auf ihren Schultern: große Leidenschaft, Eleganz, Charme und Mut, eine fast kindische Rebellion, aber auch Zerbrechlichkeit und das eher Düstere der Person, Egoismus und Zickigkeit. Alles, von "himmelhochjauchzend" bis "zu Tode betrübt", vereinigt die Figur Anna Karenina und - mit ihr - Anouschka Renzi, deren Spiel ganz und gar faszinierte.
Moskau, um die Jahrhundertwende. Ein Zufall führt die verheiratete Anna und Graf Wronskij (Matthias Schuppli) zusammen. Sie ist die Frau eines angesehenen Regierungsbeamten (Karl-Heinz Dickmann), treu sorgende Mutter ihres geliebten Sohnes und geschätztes Mitglied der St. Petersburger Gesellschaft. Er ein charismatischer und gut aussehender Offizier.

Nur kurze Blicke reichen

Eine übermächtige Liebe beginnt. Es ist nichts zu machen gegen diese Magie: Zwischen ihr und dem Grafen reichen nur kurze Blicke - und Liebe und Leidenschaft sind entfacht. Absolutes Glücksverlangen und familiäre Verpflichtungen zerreißen Annas Herz und ihre Seele.
Ihre Affäre bringt aber auch die russische Gesellschaft im zaristischen Russland des 19. Jahrhunderts in Aufruhr und besiegelt das tragische Schicksal nicht nur des Liebespaares, sondern so einiger Menschen um sie herum. Anna opfert alles: ihren Mann, ihren Sohn, ihr gesellschaftliches Ansehen. Hin und her gerissen zwischen Lüge und Wahrheit, verfällt sie dem Wahn, und ihre Liebe zu Wronskij verkehrt sich schließlich in Eifersucht, bis zum bitteren Ende.
Tolstois leidenschaftliches Liebes- und Ehedrama zeigt verzweifelt Suchende nach dem individuellen Glück und ist in diesem Motiv sehr aktuell. Anna Karenina gehört zu den ergreifendsten Romanen der Weltliteratur, aber auch zu den vielschichtigsten. Ein solch komplexes Meisterwerk in zwei Stunden auf eine räumlich-beschränkte Theaterbühne zu bringen, ist zweifelsohne gewagt.
Das - nach einer Bühnenfassung von Katalin Glavinic und Rolf Heiermann - von der Landesbühne Rheinland-Pfalz inszenierte Theaterstück ist aber gelungen, sehr gelungen sogar. Es konzentriert sich auf das Wichtigste des Stückes, die Charaktere. Dazu braucht es - mit Ausnahme der prachtvollen Kostüme - keine unnötigen Requisiten. Es fesselt gerade durch die Schlichtheit, umrahmt von - manchmal leider etwas zu lauten - schönen Klavierklängen.

Von Russland nach Italien

Eine multifunktionale Bühne lässt das Publikum mittels digitaler Videotechnik zwischen den verschiedenen Schauplätzen Moskau und St. Petersburg oder auch Italien hin- und herspringen. Sie markiert in einem Moment das italienische Urlaubsdomizil der Liebenden, dann ein Wohnzimmer und im nächsten Moment einen Ballsaal. Dadurch werden ständige Umbauten und Unterbrechungen des Spielflusses vermieden, was dem Stück sehr gut tut.
Das letzte Bühnenbild ist das eines heranfahrenden Zuges, vor den sich Anna - den vielen Konflikten ihrer neuen Lage nicht mehr gewachsen - wirft und ein "machtloses", zum Nichtstun verdammtes Publikum hinterlässt. Dieses hat bis dahin bereits zwei Stunden mit den Hauptdarstellern Anna Karenina, ihrem Mann und Geliebten gelitten. Dass alle Figuren sympathisch gezeichnet werden, macht alles nur noch tragischer.
Das glänzend aufspielende Ensemble, zu dem noch Holger Franke, Sandra Krolik, Barbara Maria Sava, Dagmar von Kurmin und Alexander Hanfland gehören, umfasst eine erstklassige Schauspieler-Riege. Sie alle wurden jedoch überstrahlt von Anouschka Renzi, die mit schier überwältigender Bühnenpräsenz spielte, als ginge es um ihr eigenes Leben und sich einer "Anna Karenina" als überaus würdig erwiesen hat.