Radler als Freiwild und als Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse? Dieses Gefühl beschleicht unseren Autor manchmal. In seinem Kommentar legt er da, warum - und welches Erlebnis ihn zuletzt bestürzt hat.
1,50 Meter: So viel Seitenabstand müssen Autos beim Überholen von Radfahrern mindestens einhalten. Innerorts. Außerhalb von Ortschaften sowie beim Überholen von Kindern oder Senioren müssen es zwei Meter sein. Nicht sollen, dürfen oder können. Müssen. Scheinbar ist vielen Autofahrern nicht klar, was „müssen“ bedeutet.
Nachdem der Gesetzgeber Autofahrer jahrzehntelang lieb gebeten hatte, doch bitte keine Radfahrer zu gefährden, werden angesichts der seit Jahren steigenden Unfallzahlen seit April 2020 bei einem Verstoß gegen die Abstandsregelung ein Bußgeld von 30 Euro fällig. Wenn Kinder oder Senioren gefährdet wurden, sind es 80 Euro und ein Punkt in Flensburg. Abschreckung, könnte man sagen, sieht anders aus.
Selbst die Polizei nimmt keine Rücksicht
Vor einigen Tagen fuhr ich mit dem Rad den Unteren Kaulberg in Bamberg hinauf. Dort existiert kein Radweg, Radfahrer müssen auf der Straße fahren. Plötzlich tauchte neben mir die Spitze eines Transporters auf. Direkt neben mir. So knapp, dass mich der Außenspiegel beinahe berührte.
Was mich an dem Vorfall ärgerte, ist nicht die Tatsache an sich. Denn das gehört leider zum Alltag von Radfahrern in Deutschland. Der Mindestabstand von knapp einer Autobreite wird nur selten eingehalten. Vielmehr ärgert mich, wer den Transporter fuhr. Denn es handelte sich um einen Transporter der Polizei, der mich als Radfahrer da gefährdete. Die Beamten hätten ihr Blaulicht einschalten können, wenn sie es eilig gehabt hätten. Aber nein, sie fuhren recht gemächlich an mir vorbei, unmittelbar vor einer kaum einsehbaren Kurve.
Wenn sich nicht einmal jene an die Vorschriften halten, die sie durchsetzen sollen, was sagt dies über den Stellenwert von Fahrradfahrern in Deutschland aus? Sind Radler Freiwild auf deutschen Straßen?
Empathielose und menschenverachtende Kommentare
Ich bin sowohl als Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer unterwegs - und in jedem Fall trifft man auf andere Verkehrsteilnehmer, die sich absichtlich oder unabsichtlich nicht an Verkehrsregeln halten. Und ja, auch ich selbst bin nicht vor Fehlern gefeit. Und ja, auch viele Radfahrer verletzten diese Regeln. Trotzdem: Als Fahrradfahrer wäre man ja schon dankbar, wenn man zumindest als Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse behandelt wird - und nicht komplett ignoriert wird.
Als wir bei inFranken.de zuletzt auf die Tatsache hingewiesen haben, dass die Zahl der schweren Unfälle mit Radfahrern seit Jahren steigen und laut offizieller Unfallstatistik in der überwiegenden Mehrzahl der Unfälle Autofahrer die Schuld trugen, konnte man auf Facebook ein erschreckendes Stimmungsbild einiger Nutzer erkennen. Der Grundtenor: Von "Radfahrer sind doch selbst schuld" über das "geschieht ihnen recht" bis hin zu "kein Mitleid für einen Toten". Es ist also in Ordnung, wenn Menschen totgefahren oder verletzt werden?
Von daher erwarte ich nach wie vor, dass diese Fahrverbote restlos gestrichen werden. Diese sind unverhältnismäßig bei der geringen Überschreitung. Diesem Rechtsdrall darf Scheuer nicht nachgeben.
Ist doch Quatsch die Diskussion. Die meisten Menschen fahren doch Auto und Rad. Das Hauptproblem ist fehlende Rücksichtnahme - bei allen Beteiligten.
Ja, ihre Rechte kennen die Radfahrer sehr gut. Mit den Pflichten schaut es aber schon nicht mehr so gut aus. Verkehrt in der Einbahnstraße, ohne Licht, auf dem linken Fußgängerweg, mit "Vollgas" durch die Fußgängerzone, ... Radwege müssen nicht benutzt werden, wenn sie "ungeeignet" sind. Für manche sind sie schon ungeeignet, wenn darauf mal ein Fußgänger laufen könnte. Außer, man kann damit rote Ampeln umfahren, Dann wird auch schon mal schnell auf den Gehweg gewechselt, an der Ampel vorbei gefahren und in den fließenden Querverkehr reingezwängt (dann ist der Geh-/Radweg wieder doof)...
So lange ich tagtäglich zigfach solches Verhalten beobachten muss, fällt es mir schwer, meinerseits entsprechende Rücksicht auf Radfahrer zu nehmen, wenn diese selber immer wieder durch rücksichtsloses Verhalten negativ auffallen.
@ ArnoNym
Das hier ist bereits erlaubt:
"Verkehrt in der Einbahnstraße,"
https://www.zeit.de/mobilitaet/2018-03/strassenverkehr-radfahrer-suv-ausweichen
"In Städten nehmen Geländewagen häufig viel Raum in Anspruch, Radfahrer dürfen gekennzeichnete Einbahnstraßen in beide Richtungen nutzen. Wer muss im Zweifel Platz machen?"
""Letztlich wird aber die Generalklausel des Paragraf 1 StVO maßgeblich sein, die eine besondere Rücksichtnahme verlangt", sagt der auf Verkehrsrecht spezialisierte Anwalt und fügt hinzu: "Kann der Seitenabstand nicht eingehalten werden, dann müssen beide anhalten und sich verständigen, wer die Engstelle zuerst und auf welche Weise passieren darf. Dabei wird man einem kleinen und wendigeren Fahrzeug eher zumuten dürfen, dass es etwa zu einer Ausweichbucht zurücksetzt, als einem großen Lastzug."
"Auf das vorliegende Problem angewendet, heißt das: Zwar sind beide Fahrer legal auf der Straße unterwegs, aber für den Pkw-Fahrer ist der Radfahrer eine Ausnahme, weil er entgegen der Fahrtrichtung fährt. Außerdem ist es für die Person im Auto schwieriger, wieder zurückzusetzen, um die nächstgelegene Kreuzung zu erreichen. "
@ ArnoNym
Oder siehe hier:
https://www.news.de/panorama/855707728/radfahren-regeln-2018-was-radfahrer-duerfen-und-was-nicht-buergersteig-radweg-einbahnstrasse-freihaendig-fahren-kopfhoerer/1/
"Dürfen Radler verkehrt herum in die Einbahnstraße fahren?"
"Entgegen der Fahrtrichtung dürfen Radler Einbahnstraßen nur befahren, wenn das Zeichen "Radverkehr frei" (1022-10) es ihnen explizit erlaubt. Besondere Schilder machen dann Autofahrer manchmal auf die Radler aus ungewohnter Richtung aufmerksam."
Was aber nicht erlaubt ist, ist abends ohne Licht zu fahren:
"ohne Licht"
Licht muss zwingend an sein. Das sollte aber schon lange bekannt sein.
Und auch das hier ist anders als Sie denken:
"Radwege müssen nicht benutzt werden, wenn sie "ungeeignet" sind."
Radfabhrer müssen auch zu schmale Radwege nutzen:
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bayvgh-radfahrer-muessen-auch-zu-schmale-radwege-benutzen/
"Fahrradfahrer haben es schwer. Denn ob ein Radweg benutzt werden muss oder nicht, ist eine Sache des Einzelfalls. Der BayVGH hat nun entschieden, dass eine Radwegbenutzungspflicht sogar auf solchen Wegen angeordnet werden darf, die nach der StVO gar nicht als Radweg geeignet sind."