Winzer im siebten Bierhimmel

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Winke, winke: Norbert Hohler (Bildmitte) beim Festumzug in der Schwanthaler Straße als Sommeracher Winzer.
Foto: David Büttner

O'zapft is

Beim Oktoberfest fließt das Bier in Strömen. Als Winzer ausgerechnet beim Umzug der Festwirte und Brauereien umjubelt zu werden, ist eine ziemlich erstaunliche Erfahrung.

Hallo, ich bin aus Moos“, ruft der Polizist am Ende der Schwan-thaler Straße zu uns herüber, winkt und lacht. Der Unterfranke hat wie andere Würzburger und Bamberger Kollegen Dienst beim Umzug der Festwirte und Brauereien: 1887 gab es den zum ersten Mal, nur der Trachten- und Schützenumzug (seit 1835) ist noch geschichtsträchtiger.

Der Festzug der Wirte gehört zum Oktoberfest wie die alljährliche Debatte um den Preis für die Maß Bier. Oder die Kernfrage, ob die Krüge nun gut eingeschenkt wurden oder nicht. Bei gutem Wetter winken und klatschen gut und gerne 200 000 Menschen den blumengeschmückten Kutschen mit den Familien der Wiesn-Wirte zu, den Musikkapellen der Festzelte und den prunkvollen Gespannen der Münchner Brauereien, die von edlen Rössern (und gelegentlich sogar von Ochsen) gezogen werden – von der Sonnenstraße bis zur Theresienwiese.

Auch jetzt, bei teils heftigen Regenfällen, sind es kaum weniger Menschen. Wer sich Monate auf diesen Tag gefreut hat, lässt sich von ein paar Schauern eben nicht abhalten. Und wer wie ich als Zugteilnehmer mit dicker Gänsehaut den Leuten zuwinkt, spürt die Nässe kaum, kann dem Bild mit den vielen bunten Schirmen sogar etwas abgewinnen. Aus vielen geöffneten Fenstern, von Balkonen, ja selbst von einem Baugerüst winken Einheimische und Gäste uns zu. Es sieht kurios aus, wie die fesch herausgeputzten Mädels und Burschen mit ihren sündhaft teuren Trachten dastehen, eingehüllt in billigste, gelbe Plastiksäcke. „So ein Wetter hatten wir noch nie“, sagt Rupert Weikert, der neben mir läuft und seit 1984 keinen einzigen Umzug verpasst hat.

Nur – was haben die gut 35 Akteure der „Fränkischen Winzergruppe Sommerach“ überhaupt inmitten all der prächtigen Brauereiwagen zu suchen? So mancher Zuschauer mag sich erschrocken gefragt haben, ob er es beim Vorglühen am Samstagmorgen nicht doch ein wenig übertrieben hat. Dabei ist die Geschichte gar nicht so kompliziert: Neben all den Bierzelten von Paulaner, Löwenbräu, Hacker-Pschorr & Co. gab es schon immer auch ein Weinzelt. Und als 1984 die Anfrage der Nymphenburg Sektkellerei nach einer Trachtengruppe mit fränkischen Winzern kam, war zufällig Elmar Henke am Telefon.

„Die Chance mussten wir nutzen“, erzählt Sommerachs Bürgermeister. Im Eilverfahren wurde die Trachtengruppe gegründet, anstelle der Bierfässer ein übergroßer Bocksbeutel auf einen Holzwagen montiert – mit Zapfvorrichtung, versteht sich. Mit einem trockenen Silvaner vom Katzenkopf dem Regen trotzen, das hat was. „Bitte hierher“, ruft eine junge Frau im Dirndl, schenkt dem Winzer mit dem vollen Schoppenglas ihr schönstes Lächeln, haucht ihm nach einem ordentlichen Schluck einen Kuss auf die Wange.

Winzer hätte ich werden sollen, nicht Redakteur, geht es mir durch den Kopf, ich muss lachen. Mit der Winzerjacke und der flotten Kappe bin ich heute ehrenhalber bei den Sommerachern dabei. Vor zwei Jahren endete mein erster Zug-Auftritt jäh, weil das Sicherheitspersonal niemanden ohne Tracht mitmarschieren lässt.

Die Sitten sind ohnehin streng: 1984 mussten die Sommeracher ihre Winzertracht hochoffiziell vom Festring München abnehmen lassen. Und diesmal gab es helle Aufregung, weil die Winzer von der Mainschleife auf dem Weg vom Max-Josefs-Platz über den Marienplatz zur offiziellen Zugaufstellung am Sendlinger Tor ein Transparent („Gold für Sommerach bei 'Unser Dorf soll schöner werden'“) dabei hatten. „Sofort einrollen, sonst war's das für euch für immer“, stellt der Ordner unmissverständlich klar.

Er und seine Kollegen machen einen harten Job – den schwersten bei den Sommerachern hat ganz klar Robert Then: Mit einem dicken Gurt um die Schulter schiebt er eine große Butte auf einem Holzwagen durch die Straßen. „Es war schon schlimmer“, erzählt der Winzer, der unter anderem meine Fototasche als Ballast dabei hat. „Früher hat jeder sein Zeug in die Butte gesteckt, bis mir mal der Kragen geplatzt ist. Da waren ganze Schminkkoffer mit drin.“ Mitten auf der Schwanthaler Straße ruft jemand nach mir, die Stimme erkenne ich sofort: Meine Tochter Lena winkt lachend vom Straßenrand, ihr Mann David macht das Foto auf dieser Seite – ein Familientreffen der besonderen Art.

Als solches bezeichnet Weinzelt-Chefin Doris Kuffler auch das jährliche Wiedersehen mit den Sommerachern. Die Geschäftsfrau hat die Winzer fest ins Herz geschlossen: „Solange ich hier bin, sind auch die Sommeracher dabei. Ich freue mich jedes Mal, wenn mir Elmar Henke das große Schoppen-Glas zur Wiesn-Eröffnung überreicht und ich mit unseren Gästen auf ein friedliches Fest anstoßen kann.“ 2006 landeten die beiden einen Medien-Coup, der bundesweites Echo fand: Damals nahm die Münchner „Abendzeitung“ das Schoppenfoto sogar auf die Titelseite, in dicken Lettern stand „O'zapft is“ drunter.

Dadurch machte Henke sogar die Bekanntschaft von Christian Ude, der wissen wollte, wer ihm da ins Zapfhandwerk pfuscht. „Wir haben uns seitdem jedes Mal getroffen“, so Henke, der auch zum neuen OB Dieter Reiter Kontakt aufnehmen will. „Bei seiner Premiere hat er sicher anderes im Kopf, das muss sich finden.“ So wie der Kontakt zu den Kufflers: Kaum zu glauben, dass 1984 beim ersten Einzug der Sommeracher kaum 50 Gäste im Zelt waren, die Bedienungen kaum etwas zu tun hatten. Als am Samstag das erste Lied erklang („Fränkischer Wein ist so wie das Blut der Erde“), da war das Weinzelt längst wegen Überfüllung geschlossen. Mittendrin im Trubel die Sommeracher Winzer bei Schweinsbraten oder Hähnchen, erstaunlich oft mit Hefeweizen: im siebten Bierhimmel sozusagen.

Eine Bilderserie vom Festumzug der Wiesn-Wirte im Netz: kitzingen.mainpost.de