O'zapft is
Beim Oktoberfest fließt das Bier in Strömen. Als Winzer ausgerechnet beim Umzug der Festwirte und Brauereien umjubelt zu werden, ist eine ziemlich erstaunliche Erfahrung.
Hallo, ich bin aus Moos“, ruft der Polizist am Ende der Schwan-thaler Straße zu uns herüber, winkt und lacht. Der Unterfranke hat wie andere Würzburger und Bamberger Kollegen Dienst beim Umzug der Festwirte und Brauereien: 1887 gab es den zum ersten Mal, nur der Trachten- und Schützenumzug (seit 1835) ist noch geschichtsträchtiger.
Der Festzug der Wirte gehört zum Oktoberfest wie die alljährliche Debatte um den Preis für die Maß Bier. Oder die Kernfrage, ob die Krüge nun gut eingeschenkt wurden oder nicht. Bei gutem Wetter winken und klatschen gut und gerne 200 000 Menschen den blumengeschmückten Kutschen mit den Familien der Wiesn-Wirte zu, den Musikkapellen der Festzelte und den prunkvollen Gespannen der Münchner Brauereien, die von edlen Rössern (und gelegentlich sogar von Ochsen) gezogen werden – von der Sonnenstraße bis zur Theresienwiese.
Auch jetzt, bei teils heftigen Regenfällen, sind es kaum weniger Menschen. Wer sich Monate auf diesen Tag gefreut hat, lässt sich von ein paar Schauern eben nicht abhalten. Und wer wie ich als Zugteilnehmer mit dicker Gänsehaut den Leuten zuwinkt, spürt die Nässe kaum, kann dem Bild mit den vielen bunten Schirmen sogar etwas abgewinnen. Aus vielen geöffneten Fenstern, von Balkonen, ja selbst von einem Baugerüst winken Einheimische und Gäste uns zu. Es sieht kurios aus, wie die fesch herausgeputzten Mädels und Burschen mit ihren sündhaft teuren Trachten dastehen, eingehüllt in billigste, gelbe Plastiksäcke. „So ein Wetter hatten wir noch nie“, sagt Rupert Weikert, der neben mir läuft und seit 1984 keinen einzigen Umzug verpasst hat.
Nur – was haben die gut 35 Akteure der „Fränkischen Winzergruppe Sommerach“ überhaupt inmitten all der prächtigen Brauereiwagen zu suchen? So mancher Zuschauer mag sich erschrocken gefragt haben, ob er es beim Vorglühen am Samstagmorgen nicht doch ein wenig übertrieben hat. Dabei ist die Geschichte gar nicht so kompliziert: Neben all den Bierzelten von Paulaner, Löwenbräu, Hacker-Pschorr & Co. gab es schon immer auch ein Weinzelt. Und als 1984 die Anfrage der Nymphenburg Sektkellerei nach einer Trachtengruppe mit fränkischen Winzern kam, war zufällig Elmar Henke am Telefon.
„Die Chance mussten wir nutzen“, erzählt Sommerachs Bürgermeister. Im Eilverfahren wurde die Trachtengruppe gegründet, anstelle der Bierfässer ein übergroßer Bocksbeutel auf einen Holzwagen montiert – mit Zapfvorrichtung, versteht sich. Mit einem trockenen Silvaner vom Katzenkopf dem Regen trotzen, das hat was. „Bitte hierher“, ruft eine junge Frau im Dirndl, schenkt dem Winzer mit dem vollen Schoppenglas ihr schönstes Lächeln, haucht ihm nach einem ordentlichen Schluck einen Kuss auf die Wange.
Winzer hätte ich werden sollen, nicht Redakteur, geht es mir durch den Kopf, ich muss lachen. Mit der Winzerjacke und der flotten Kappe bin ich heute ehrenhalber bei den Sommerachern dabei. Vor zwei Jahren endete mein erster Zug-Auftritt jäh, weil das Sicherheitspersonal niemanden ohne Tracht mitmarschieren lässt.
Die Sitten sind ohnehin streng: 1984 mussten die Sommeracher ihre Winzertracht hochoffiziell vom Festring München abnehmen lassen. Und diesmal gab es helle Aufregung, weil die Winzer von der Mainschleife auf dem Weg vom Max-Josefs-Platz über den Marienplatz zur offiziellen Zugaufstellung am Sendlinger Tor ein Transparent („Gold für Sommerach bei 'Unser Dorf soll schöner werden'“) dabei hatten. „Sofort einrollen, sonst war's das für euch für immer“, stellt der Ordner unmissverständlich klar.